Gunther Teubner, Dr. Dr. h.c.
Professor of Law
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Geboren 1944 in Herrnhut, Sachsen, Deutschland
Studium der Rechtswissenschaft in Göttingen und Tübingen und der Rechtssoziologie in Berkeley
Focus
Verfassung jenseits des Nationalstaats
Project
Civil Constitutions in the World Society
Mit diesem Projekt versuche ich, das Schwerpunktthema "Verfassung jenseits des Nationalstaates" in einem doppelten Sinne zu konkretisieren. Erstens: Ist es sinnvoll, jenseits des National-Staats konstitutionelle Prozesse im globalen Raum zu identifizieren? Zweitens: Ist es sinnvoll, jenseits des National-Staats nach Verfassungselementen in nicht-staatlichen, gesellschaftlichen, "privaten" globalen Kontexten zu suchen? Ich will in dem Projekt versuchen, einige empirische und normative Voraussetzungen der Verfassung transnationaler privater Regimes zu klären.Meine Ausgangsvermutung ist, dass sich die Positivierung von konstitutionellen Normen auf der globalen Ebene, die sich bisher hauptsächlich im politischen System internationaler Beziehungen abspielte, auf unterschiedliche gesellschaftliche Sektoren ausdehnt, die parallel zu politischen Verfassungsnormen zivilgesellschaftliche Verfassungsnormen erzeugen. Wenn man sich von einer Staatszentrierung des Verfassungsbegriffs löst, wird die Sicht auf die realen Möglichkeiten einer "globalen Konstitutionalisierung ohne Staat" frei. Mit dieser Formel will ich nicht eine abstrakte normative Forderung für ferne, ungewisse Zukunften aufstellen, sondern ich vermute einen Realtrend, der sich heute im globalen Maßstab beobachten lässt. Meine These heißt: Die Verfassung der Weltgesellschaft verwirklicht sich nicht exklusiv in den Stellvertreter-Institutionen der internationalen Politik, sie kann aber auch nicht in einer alle gesellschaftlichen Bereiche übergreifenden Weltverfassung stattfinden, sondern sie entsteht inkrementell in der Konstitutionalisierung einer Vielheit von autonomen weltgesellschaftlichen Teilsystemen.
Lektüreempfehlung
Teubner, Gunther. "Globale Zivilverfassungen: Alternativen zur staatszentrierten Verfassungstheorie." Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 63 (2003): 1-28.
Teubner, Gunther. "Die anonyme Matrix: Menschenrechtsverletzungen durch "private" transnationale Akteure." Plenarvortrag Weltkongress der Rechtsphilosophie und Sozialphilosophie, 24.-29. Mai 2005, Granada. Der Staat 45 (2006): 161-187.
Teubner, Gunther mit Andreas Fischer-Lescano. Regime-Kollisionen: Zur Fragmentierung des Weltrechts. Frankfurt: Suhrkamp, 2006.
Colloquium, 15.01.2008
Fragmented Foundations: Constitutionalism Beyond the Nation-State
Wie reagiert die Verfassungstheorie auf die Herausforderungen, die sich aus den aktuellen zwei großen Trends - Privatisierung und Globalisierung - für das Problem der governance ergeben? So sollte man im Unterschied zur Staatsverfassungsfrage des 18. und 19. Jahrhunderts die heutige "Verfassungsfrage" formulieren. "Verfassung jenseits des Nationalstaates" gewinnt damit einen doppelten Sinn. Erstens: Ist es sinnvoll, konstitutionelle Prozesse im transnationalen Raum zu identifizieren? Zweitens: Ist es sinnvoll, nach Verfassungselementen in nicht-staatlichen, gesellschaftlichen, "privaten" globalen Kontexten zu suchen?
Wenn man sich von einer Staatszentrierung des Verfassungsbegriffs löst, wird die Sicht auf die realen Möglichkeiten eines gesellschaftlichen Konstitutionalismus frei. Meine These heißt: Emergenz einer Vielzahl von Zivilverfassungen. Die Verfassung der Weltgesellschaft verwirklicht sich nicht exklusiv in den Stellvertreter-Institutionen der internationalen Politik, sie kann aber auch nicht in einer alle gesellschaftlichen Bereiche übergreifenden Weltverfassung stattfinden, sondern sie entsteht inkrementell in der Konstitutionalisierung einer Vielheit von autonomen weltgesellschaftlichen Teilsystemen.
Ein zentrales Problem des gesellschaftlichen Konstitutionalismus ist die "Drittwirkung der Grundrechte", d.h. die Frage, ob Menschenrechte nicht nur die Staaten, sondern auch unmittelbar transnationale "private governments" verpflichten. Können Bürger gegen Grundrechtsverletzungen durch multinationale Unternehmen gerichtlich vorgehen? Sofern die Drittwirkung der Grundrechte nur als Beziehung zwischen privaten Bürgern verstanden werden, kann sie wenig ausrichten. Stattdessen müssen gesellschaftliche Grundrechte so formuliert werden, dass sie sich direkt gegen die Grundrechtsgefährdungen richten, die von anonymen Machtprozessen außerhalb der Politik ausgehen.
Publications from the Fellows' Library
Teubner, Gunther (The Hague, 2012)
Societal constitutionalism and the politics of the common
Teubner, Gunther (Oxford [u.a.], 2012)
Constitutional fragments : societal constitutionalism and globalization Verfassungsfragmente <dt.>
Teubner, Gunther (Berlin, 2012)
Verfassungsfragmente : gesellschaftlicher Konstitutionalismus in der Globalisierung Suhrkamp Taschenbücher Wissenschaft ; 2028
Teubner, Gunther (Frankfurt am Main, New York, 2011)
Verfassungen ohne Staat? Zur Konstitutionalisierung transnationaler Regimes
Teubner, Gunther (2010)
Fragmented foundations : societal constitutionalism beyond the nation state
Teubner, Gunther (Baden-Baden, 2009)
Teubner, Gunther (2006)
Die anonyme Matrix : zu Menschenrechtsverletzungen durch "private" transnationale Akteure