Ruth Bielfeldt, Dr. phil.
Professorin für Klassische Archäologie
Ludwig-Maximilians-Universität München
Geboren 1971 in Heidelberg, Deutschland
Studium der Klassischen Archäologie, der Philosophie und der Griechischen Philologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, der Università degli Studi di Firenze und der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Project
Der Koloss von Rhodos: neue Perspektiven
283 v. Chr., gut zwei Jahrzehnte nach der erfolgreich abgewehrten Belagerung durch Demetrios Poliorketes, errichteten die Rhodier dem Gott Helios eine gigantische Bronzestatue: den Koloss von Rhodos. Das einstige Weltwunder ist heute eine archäologische Schimäre: der Ort der Aufstellung, das Aussehen der Figur und die Gusstechnik der Figur sind bislang ungeklärt und werden trotz der beharrlichen Bemühungen einiger Archäologen aller Voraussicht nach für immer ungeklärt bleiben.Meine Monografie zum Koloss von Rhodos stützt sich auf eine bisher nicht ausgeschöpfte poetische Quelle: das aller Wahrscheinlichkeit nach zum Koloss gehörige, in der Anthologia Palatina und in der Suda teilweise überlieferte Weihepigramm AP 6, 171. Das nur neun Zeilen lange, in dorischem Griechisch verfasste Epigramm ist ein kondensierter poetischer Text, in dem die Rhodier ihre kollektive Autorschaft aussprechen und in dem sie Anlass und Bedeutung der Statue für Rhodos darlegen und ihren Anspruch einer Universalherrschaft markieren. Zugleich aber hat das Epigramm exegetischen Charakter: es liefert Elemente einer Sehanleitung auf die Figur in ihrem lokalen Umfeld, ihrer globalen und kosmischen Reichweite. Es thematisiert den divinen Status des in der Figur verkörperten Gottes Helios, die Kolossalität der Figur als dynamische raum-zeitliche Bilddimension, die Beziehung von Figur, Landschaft und Himmelskörper, und nicht zuletzt die geopolitische und politische Situierung des Kolosses als zwischen Ost und West, zwischen Oligarchie und Demokratie.
Zentrales Thema des Projekts ist die Übergröße der rhodischen Statue. Meine Arbeit sehe ich somit als einen ersten Schritt zu einer Hermeneutik des Kolossalen. Kolossalität darf jedoch nicht als festes Maß verstanden werden, das durch ein allgemein validiertes metrisches Messverfahren quantitativ zu bestimmen wäre; vielmehr ist es eine spezifische Bilddimension und damit eine relative, qualitative Größe, deren Erfass- bzw. Nichterfassbarkeit sich allein aus dem spezifischen naturräumlichen, gebauten, bildlichen und konzeptuellen Kontext ergibt, in den das Übergroße hineingestellt ist. Kolossalität, so die Ausgangsvermutung, ist grundsätzlich verknüpft mit der Frage der Kommensurabilität bzw. der Inkommensurabilität des Übergroßen und der ihn umgebenden Welt(en) bzw. der darin enthaltenen Naturdinge und Artefakte. Als Untersuchungsgegenstand verlangt Kolossalität daher weniger arithmetisierte Archäologie denn eine phänomenologische Hermeneutik.
Lektüreempfehlung
Bielfeldt, Ruth, Hg. Ding und Mensch in der Antike. Gegenwart - Vergegenwärtigung. Heidelberg: Winter, 2014.
-. "Sight and Light: Reified Gazes and Looking Artefacts in the Greek Cultural Imagination." In Sight and the Ancient Senses, herausgegeben von Michael Squire, 123–142. London: Routledge, 2015.
-. Orestes auf römischen Sarkophagen. Berlin: Reimer, 2005.
Colloquium, 04.06.2019
In the Absence of the Monument: the Colossus of Rhodes
The Colossus of Rhodes, the Rhodian war monument from the year 282 B.C., now languishes strangely between fame and oblivion. The one-time Wonder of the World is an archaeological chimera: the site of its erection, its appearance, and the technology of the bronze-casting process are all unknown and will probably remain unknown forever, despite the persistent efforts of some archaeologists. The complete archaeological absence of the huge monument has led to a lack of scholarly interest and ironically to the absence becoming the real qualitative trait of the Colossus: the question of whether it existed (if it existed at all) has almost become irrelevant. What is meaningful solely the monument's continued existence as a vessel for literary and artistic imagination and as a mirror of soaring human ambitions. Indeed, the more imaginary the Colossus, the easier it can be anthropologically generalized and inserted within a series of major human endeavors extending from the Tower of Babel to the Burj Khalifa.
In my presentation, I argue for the historical reality and singularity of the Colossus. My aim is to provide a basis for a new phenomenological approach to the lost monument that will retain its validity even in the absence of physical traces. This approach relies on texts, more precisely on a network of early Hellenistic texts for which we have to explore new ways of reading, before we can make them fruitful for an archaeological hermeneutics. These texts tie together politics, myth, and utopia, but above all, they map out the places and horizons of perception in which the monument, a dynamic spatio-temporal dimension, was embedded: Rhodes, the world, the cosmos, and Olympus.
Publications from the Fellows' Library
Bielfeldt, Ruth (2018)
Candelabrus and Trimalchio : embodied histories of Roman lampstands and their slaves
Bielfeldt, Ruth (2016)
Sight and light : reified gazes and looking artefacts in the Greek cultural imagination
Bielfeldt, Ruth (2014)
Lichtblicke - Sehstrahlen : zur Präsenz römischer Figuren- und Bildlampen
Bielfeldt, Ruth (Heidelberg, 2014)
Ding und Mensch in der Antike : Gegenwart und Vergegenwärtigung Akademiekonferenzen ; Band 16
Bielfeldt, Ruth (Heidelberg, 2014)
Ding und Mensch in der Antike : Gegenwart und Vergegenwärtigung ; [ ... Kolloquium, ... das im Januar 2008 in Heidelberg stattfand] Akademiekonferenzen ; Bd. 16