Focus Group 2015/2016
Die Ursprünge von Sprache in Biologie, Kultur und Gesellschaft
Die Ursprünge und die Evolution von Sprache bleiben eines der schwierigsten ungelösten Rätsel der Wissenschaft. Teils liegt das daran, dass eine Lösung viele verschiedene Perspektiven und die Beteiligung mehrerer Disziplinen erfordert, teils daran, dass Sprache außergewöhnlich komplex ist – sie ist die beachtlichste Leistung, die das Gehirn vollbringt. Die Schwerpunktgruppe geht dieses Problem von verschiedenen Seiten an und versucht folgende Fragen zu beantworten:
- Biologie: Welche informationsverarbeitenden Bausteine muss das Gehirn für Sprache mobilisieren? Wie funktioniert der Rekrutierungsprozess und wie entfaltet er sich in der Sprache? Welches sind die neurobiologischen und genetischen Fundamente für die Bausteine und den Rekrutierungsprozess? Welche Rolle spielt die Epigenetik in der Sprachevolution möglicherweise?
- Gesellschaft: Welche ökologischen Bedingungen begründen den Nutzen der menschlichen Sprache? Auf welche Weise treiben kommunikative Bedürfnisse die Bildung von Begriffen, eine gesteigerte Ausdruckskraft und Gesprächskomplexität voran? Welche Rolle spielt Sprache bei der Entstehung von Kooperation und von sozialen Institutionen – und andersherum, wie begünstigt die Entstehung von sozialen Institutionen das Wachstum und die Verbreitung von Sprache?
- Kultur: Wie können wir die kulturelle Entwicklung von spezifischen begrifflichen und sprachlichen Strukturen erklären, etwa die Phrasenstruktur, die Kasusgrammatik, ein Tempus- und Aspektsystem, die Artikel oder grammatische Kongruenzsysteme etc.? Welche Grammatiktheorien passen am ehesten zu einer evolutionstheoretischen Auffassung von Sprache als einem komplexen adaptiven System? Anhand welcher Strukturen können Sprechende Neuerungen einführen? Warum diversifizieren Sprachen sich und welche Mechanismen sorgen dafür, dass eine Sprache gemeinschaftlich genutzt werden kann?
Die Gruppe verwendet verschiedene Methoden zur Erforschung dieser Fragen:
- philosophische Diskussionen, um ein besseres begriffliches Fundament zu legen;
- Experimente der kognitiven Psychologie, um ein besseres Verständnis davon zu gewinnen, wie der Spracherwerb, einschließlich gestischer Symbole, bei Kindern funktioniert;
- detaillierte, auf Datenkorpora gestützter empirische Analysen von menschlichen Sprachphänomenen;
- mathematische Modelle der Evolution und Entwicklung von Modellen der Sprachevolution anhand von Computersimulationen und Roboterexperimenten.
Luc Steels