Peter Utz, Dr. phil.
Professor der Neueren Deutschen Literatur
Universität Lausanne
Geboren 1954 in Biel, Schweiz
Studium der Germanistik und Geschichte an der Universität Bern
Arbeitsvorhaben
"Autrement dit - anders gesagt": eine Übersetzungslektüre zwischen den Sprachkulturen
Weil die Übersetzung das Eigene anders sagen muss, wird dieses selbst zu einem anderen ( Übersetzung ist immer ein "autrement dit". Diesen fremden Blick der literarischen Übersetzung will das Projekt als heuristisches Instrument zur Lektüre von scheinbar bekannten Texten der deutschen Literatur nutzen: Kanontexte von E. T. A. Hoffmann über Fontane bis zu Kafka und Musil werden im Spiegel ihrer französischen Übersetzungen neu gelesen. Eine solche Fremdlektüre legt in diesen Texten Stellen frei, für welche die bisherige germanistische Deutungstradition blind bleiben musste. Denn im Abstand der Übersetzung zum Original öffnet sich ein Zwischenraum, der nicht nur die Differenz zwischen zwei Sprachkulturen und den historischen Abstand zwischen Original und Übersetzung enthält, sondern der als hermeneutischer Echoraum nach beiden Seiten hin das Differente im Original und in der Übersetzung lesbar macht. In solchen Lektüren wird die Übersetzungswissenschaft von einer normativen und instrumentellen zu einer hermeneutischen und autoreferentiellen Disziplin, die anstelle der reproduktiven die produktive Dimension des Übersetzens untersucht. Und in einer kulturwissenschaftlichen Perspektive wird das Übersetzen zum paradigmatischen Prozess des kreativen Umgangs mit kultureller Differenz.Lektüreempfehlung
Utz, Peter. Die ausgehöhlte Gasse: Stationen der Wirkungsgeschichte von Schillers "Wilhelm Tell". Königstein: Athenäum, 1984.
-. Das Auge und das Ohr im Text: Literarische Sinneswahrnehmung in der Goethezeit. München: Fink, 1990.
-. Tanz auf den Rändern: Robert Walsers "Jetztzeitstil". Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1998. Französische Ausgabe: Robert Walser: Danser dans les marges, übersetzt von Colette Kowalski. Genève: Zoé, 2001.
Kolloquium, 08.03.2005
"Autrement dit" - anders gesagt. What literature gains by translation
Wenn literarische Übersetzungen wissenschaftlich überhaupt beachtet werden, dann meist als ein kulturelles Verlustgeschäft: Zwischen den Sprachkulturen müsse das Unverwechselbare, das "Eigene", unweigerlich verloren gehen. Diese nationalkulturell bestimmte Optik versucht das Projekt umzudrehen: Weil die Übersetzung das "Eigene" anders sagen muss, wird dieses selbst zu einem anderen - Übersetzung ist immer ein "autrement dit". Dann können wir es auch als ein "anderes" neu lesen. Dazu darf man aber die Übersetzung nicht als die eo ipso defizitäre Schwundstufe des Originals verstehen, sondern als eine sinnstiftende Lektüre dieses Originals, die in einer anderen Sprache ausformuliert ist. Konstelliert man diese fremden Lektüren mit dem Original, dann werden in dieser fremden Beleuchtung im Original neue Aspekte und Textschichten sichtbar. Zudem werden durch dieses Verfahren Übersetzungswissenschaft und Literaturwissenschaft zusammengeführt, und das Übersetzen wird in einer kulturwissenschaftlichen Perspektive neu situiert.
Der Vortrag stellt dieses experimentelle Verfahren zunächst an einer exemplarischen Textstelle von Robert Musils Roman "Der Mann ohne Eigenschaften" (1930) in französischer und englischer Übersetzung vor. Dabei wird das "autrement dit", das dem Projekt den Namen gibt, auch konkret gerechtfertigt. Dann verallgemeinert er in sechs Thesen die kulturwissenschaftliche Dimension dieses Projektes: das Übersetzen als Paradigma des kulturellen Umgangs mit dem Fremden. Aus den konkreten Fallbeispielen der deutschsprachigen Literatur, die in diesem Rahmen untersucht werden, greift der Vortrag schließlich einige Passagen aus Theodor Fontanes Roman "Effi Briest" (1896) heraus. Liest man sie in der Mehrfachbeleuchtung durch ihre französischen und englischen Übersetzungen, so wird in Fontanes Roman die literarische Kritik kultureller Fixierungen erkennbar.
Ich werde den Vortrag, auch wenn er primär deutschsprachige Literatur und ihre französischen Übersetzungen betrifft, in englischer Übersetzung halten, gestützt auf ein "Hand out" mit Textbeispielen in den drei Sprachen. So wird das Übersetzungsproblem nicht nur Gegenstand des Vortrags, sondern zugleich - mit einem englischen und einem französischen Lehnwort - auch sein Handicap und vielleicht seine Chance.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Utz, Peter ([s.l.], 72007)
Anders gesagt - autrement dit - in other words : das Erkenntnispotential literarischer Übersetzungen Veranstaltung des Wissenschaftskollegs
Utz, Peter (München, 2013)
Kultivierung der Katastrophe : literarische Untergangsszenarien aus der Schweiz
Utz, Peter (München, 2007)
Anders gesagt - autrement dit - in other words : übersetzt gelesen: Hoffmann, Fontane, Kafka, Musil Autrement dit
Utz, Peter (Carouge-Genève, 2004)
L'écriture miniature : microgrammes
Utz, Peter (Carouge-Genève, 2003)
Le territoire du crayon : proses des microgrammes Aus dem Bleistiftgebiet <franz.>
Utz, Peter (Frankfurt am Main, 1998)
Tanz auf den Rändern : Robert Walsers "Jetztzeitstil"
Utz, Peter (Bern, 1994)
Wärmende Fremde : Robert Walser und seine Übersetzer im Gespräch ; Akten des Kolloquiums an der Universität Lausanne, Februar 1994 Travaux du Centre de Traduction Littéraire ; 25
Utz, Peter (München, 1990)
Das Auge und das Ohr im Text : literarische Sinneswahrnehmung in der Goethezeit
Utz, Peter (Königstein im Taunus, 1984)
Die ausgehöhlte Gasse : Stationen der Wirkungsgeschichte von Schillers "Wilhelm Tell" Hochschulschriften