Teller, die Fragen aufwerfen
Interview mit Chef de cuisine Sonja Frühsammer
An einem regnerischen Nachmittag im Dezember – das Restaurant des Wissenschaftskollegs beginnt gerade, sich nach dem Mittagessen zu leeren – kommt die neue Chef de cuisine Sonja Frühsammer aus der Küche und antwortet auf die Fragen der Redaktion des Fellowclub-Newsletters.
Redaktion: Heute gab es ein leckeres Gericht mit gebackenem Kürbis, wie hast du den denn so würzig und knusprig hinbekommen?
Sonja Frühsammer: Der Kürbis wird ausgehöhlt, in Scheiben geschnitten, dann mit Olivenöl mariniert und schließlich mit einer Kruste überbacken, die man sonst eher vom Lammrücken her kennt. Die besteht aus Parmesan, Mie de Pain (also Semmelbröseln) und Thymian. Das Rezept haben wir heute zum ersten Mal ausprobiert. Entscheidend ist, wie lange man den Kürbis im Ofen backt. Ich empfehle maximal zehn Minuten. Wenn der Kürbis zu lange in der Röhre bleibt, wird er zu weich. Dazu gab es einen Gemüsefond, der mit Kräutertee und vielen frischen Kräutern angesetzt ist und später zu einer Soße abgebunden wird.
R: Da muss man erst einmal darauf kommen!
SF: Den Unterschied macht der Tee – und nicht nur bei diesem Gericht. Gute Tees haben so tolle und ungewöhnliche Aromen, die bekommt man anders gar nicht so leicht hin. Wichtig ist übrigens, dass man den Tee nicht mit zu heißem Wasser aufgießt und die Soße auch später nicht kocht, beim Siedepunkt gehen einige ätherische Öle verloren.
R: Kürbis ist ja hier in Berlin ein typisches Herbst- und Wintergemüse. Gibt es andere regionale und saisonale Produkte, mit denen du im Winter besonders gern kochst?
SF: Ich liebe Rosenkohl, Bete, Spitzkohl und Schwarzwurzeln. Am schwierigsten ist es im Februar, wenn die Auswahl geringer ist und die Gäste alle verfügbaren Gemüse schon einige Male gegessen haben.
R: Was in aller Welt kann man denn aus Schwarzwurzeln zubereiten?
SF: Zum Beispiel gab es beim Weihnachtsessen letzte Woche knusprige Chips auf der Vorspeise. Die sind ganz einfach zu machen: Schwarzwurzeln schälen, waschen, in Scheiben schneiden, frittieren und abkühlen lassen. Das ist lecker und witzig.
R: In der Tat! Apropos regional: Du wohnst ja selber außerhalb von Berlin und baust auch selber an.
SF: Ja, derzeit habe ich Lauch und Brokkoli im Hochbeet und habe auch Winterspinat und Feldsalat ausgesät. So lange es geht, ernte ich auch die Blüten verschiedener Gemüsesorten, weil sie das Aroma einer Pflanze konzentrieren. Für viele Gerichte können sie das i-Tüpfelchen sein.
R: Du selber bist kein regionales Produkt, sondern in Adelaide in Australien geboren.
SF: Das stimmt, aber meine Eltern sind nach Berlin gezogen, als ich noch ganz klein war. Insofern habe ich von Australien nicht viel mitbekommen.
R: Und wie fing es mit dem Kochen an bei dir?
SF: Wir waren drei Schwestern zu Hause, und meine Mutter war alleinerziehend und berufstätig. Da wurde reihum gekocht. Ich fand vor allem das Einkaufen toll, aber auch das Experimentieren. Später haben meine beiden Schwestern studiert. Ich habe das auch ausprobiert, aber das war nichts für mich. Der Zufall wollte es dann, dass ich durch die studentische Arbeitsvermittlung einen Job in der Kantine von Siemens, im damaligen Kraftwerk Union, bekommen habe. Der französische Küchenchef hat zusätzlich auch für Gäste von Siemens fantastisch gekocht. Bei diesen Geschäftsessen ging es oft um viel Geld und entsprechend aufwendig wurde gekocht. Da gab es dann auch mal Langusten. Diese Welt hat mich fasziniert, und so habe ich eine Lehre begonnen.
R: Von der Kantine zum eigenen Gourmetrestaurant war es aber ein weiter Weg.
SF: Das waren damals noch ganz andere Zeiten! Im Berlin der 1980er war die Gastronomie eher einfach. Aber ich habe schon in der Berufsschule mitbekommen, dass andere Lehrlinge in deutlich besseren Restaurants arbeiteten als ich. Nach der Lehre habe ich mir einen Restaurantführer gekauft und begonnen, mich in den besten Restaurants zu bewerben. Damals konnte ich bestenfalls davon träumen, dass ich jemals selber auf das höchste Niveau kommen würde. Die Haute Cuisine war noch ganz und gar männlich geprägt. Mir hat einmal der Inhaber eines renommierten Restaurants – damals unter den Top Ten! – ins Gesicht gesagt, dass er keine Frauen einstelle, weil sie nur das Team durcheinanderbringen.
R: Das Alt Luxemburg, damals ein Sternerestaurant, war für dich eine wichtige Station. In den 1990er-Jahren, nach der Geburt deiner Kinder, folgten die Kantine von Meta Design und das Wissenschaftskolleg, wo du und dein Mann als Selbstständige gearbeitet habt. Der Durchbruch kam dann ab 2009.
SF: Ich hatte Lust, in der Küche noch mehr auszuprobieren. Mein Mann Peter, früher selbst Sternekoch, ist der perfekte Gastgeber und Sommelier. So beschlossen wir, unser eigenes Gourmet-Restaurant aufzumachen. Es entstand das Frühsammers auf dem Gelände des Tennisclubs Grunewald.
R: Dem Frühsammers war ein enormer Erfolg beschieden. Mehr als fünfzehn Jahre lang war es eine der besten Adressen in Berlin. Was war euer Geheimnis?
SF: Ich habe immer versucht, Teller herzustellen, die man nicht so leicht vergisst. Wie frustrierend ist es, wenn man in ein schönes Restaurant geht und am nächsten Tag denkt: Was habe ich eigentlich gegessen? Ich versuche Dinge zu kochen, von denen man aufwacht. Vielleicht, indem ich etwas ganz Scharfes dazutue. Oder wo Dinge wie Schwarzwurzelchips vorkommen. Mir schwebt eine Küche vor, die überrascht, die Fragen aufwirft.
R: Viele Gäste wollten offenbar immer wieder überrascht werden. Und nicht nur die Gäste: 2014 wurde dir ein Michelin-Stern verliehen, den du in den folgenden Jahren immer wieder verteidigt hast. Was verändert das?
SF: Der Stern bedeutet vor allem Wertschätzung. Man ist sichtbarer, man bekommt tolle Einladungen, und es ist viel leichter, gutes Personal zu finden. Für mich war der Stern ein Ansporn, nie nachzulassen. Letztlich weiß jeder Koch immer am besten, ob sein Essen gut oder weniger gut ist. Davon abgesehen ist es natürlich wichtig, den Gästen gut zuzuhören.
R: Nach vielen Jahren auf Sterneniveau bist du 2023 zurück ans Wissenschaftskolleg gekommen. Was hat dich daran gereizt?
SF: Irgendwann wollte ich nicht mehr selbständig sein, nicht mehr auf die Mitarbeiter aufpassen, keine Listen mehr führen. Diese ganze Bürokratie, die in der heutigen Gastronomie nötig ist, war mir einfach zu viel. Und so war ich auf der Suche nach einem neuen Zuhause. Die Restaurantleiterin des Kollegs, Dunia Najjar, kenne ich schon lange und wusste, dass es toll ist, mit ihr zu arbeiten. Mich hat es auch gereizt, tagtäglich mit kultivierten, interessanten Menschen zu tun zu haben. Und wie herrlich ist es, auf den Punkt kochen zu können, weil alle Gäste gleichzeitig zu Tisch kommen.
R: Und eine Küche, die überrascht und Fragen aufwirft, ist ja für das Wissenschaftskolleg wie geschaffen. Bei uns ist das Essen ja ein Teil des wissenschaftlichen Programms. Und wenn die Speisen inspirierend sind, dann wirkt sich das unmittelbar auf die Konversation am Tisch aus. Dann kommen angeregte Gespräche zustande und die Leute wollen, so wie heute, gar nicht zurück in ihre Büros. Und je länger das Jahr geht, umso größer das Staunen der Fellows, dass der Küche nie die Ideen und die Puste ausgehen. Konzentration und Kreativität über zehn Monate ist ja genau das, was wir im Kolleg von den Fellows erwarten. Die Küche lebt es vor.
SF: Wenn es so funktioniert, haben wir unser Ziel erfüllt! Für mich ist die Arbeit hier am Kolleg auch eine große Verantwortung. Hier bin ich für die tägliche Ernährung, fürs Wohlbefinden und die Gesundheit einer ganzen Gruppe verantwortlich.
R: Du bist ja erst ein paar Monate wieder hier. Trotzdem die Frage: Gibt es Träume und Ideen für die Zukunft des Restaurants hier am Kolleg?
SF: Jetzt bin ich erst einmal sehr froh und finde, dass es gut so ist, wie es ist. Aber wenn sich alles richtig eingespielt hat, haben wir schon noch ein paar Ideen. Zum Beispiel möchten wir hin und wieder auch gemeinsam mit den Fellows kochen. Das gab es früher durchaus auch schon, dass einzelne oder kleine Gruppen zu uns an den Herd kamen. Daran wollen wir anknüpfen. Das wäre ein aufregender Tag für die Fellows, aber auch eine Inspiration für uns.