Editorial
Das Wissenschaftskolleg wird gelegentlich als Elfenbeinturm bezeichnet. Doch durch seine Fellows ist das Kolleg mit der ganzen Welt verbunden und registriert wie ein Seismograph weltweite politische Erschütterungen. Dies zeigt sich einerseits in den Themen, über welche die Wissenschaftler am Kolleg arbeiten - in diesem Jahr etwa über Flüchtlingspolitik, Klimawandel, Autoritarismus und politische Gewalt. Andererseits manifestiert sich die Weltlage aber auch in den Lebens- und Arbeitssituationen von Wissenschaftlern, die in den Grunewald kommen. Die Zahl der Fellows, die in ihren Heimatländern politischem Druck oder Verfolgung ausgesetzt sind, wächst, und immer häufiger ist das Kolleg nicht eine willkommene Unterbrechung akademischer Routinen, sondern Station eines Exils, dessen Ende nicht abzusehen ist. Die Freiheit der Wissenschaft, um die es im Wissenschaftskolleg stets ging, ist für die „scholars at risk“ alles andere als eine luftige Idee.
Im letzten Jahr war ein Fellow am Kolleg zu Gast, der von Donald Trump’s „Travel Ban“ zur überstürzten Rückreise gezwungen war. In diesem Jahr gibt es zwei Wissenschaftler ohne gültigen Pass und zwei, die in ihren jeweiligen Heimatländern wegen ihres intellektuellen oder politischen Engagements vor Gericht zitiert werden. Einer von ihnen ist der polnische Historiker Paweł Machcewicz. Er hat in seiner Heimatstadt Gdańsk in neun Jahren intensivster Arbeit ein neues Museum für die Geschichte des Zweiten Weltkrieges geschaffen wurde jedoch im Frühjahr 2017 von der polnischen Regierung entlassen. Im November letzten Jahres hat eine Gruppe von Fellows Paweł Machcewicz nach Gdańsk begleitet, wo er sie durch sein in der Umgestaltung begriffenes einstiges Museum geführt hat. Den Bericht über die Reise können Sie – neben Beiträgen zum fünften Geburtstag des College for Life Sciences und über einen Traum über die Zukunft des Berliner Humboldt Forums - in dieser Ausgabe des Newsletters lesen.
Die drängenden Themen unserer Zeit schlagen sich auch in den Workshops des Fellow Forums nieder, für die frühere Fellows eine Förderung beantragen können. Bei der von Diana Mishkova veranstalteten Tagung „Rethinking Post-socialism“ ging es etwa um die Aufkündigung des liberalen Konsenses, der zumindest für kurze Zeit nach 1989 im ehemaligen Ostblock zu bestehen schien. Auch das diesjährige Jahrestreffen des Fellowclubs (28.-30. Juni 2018) wird ein Thema behandeln, das zu den sich rapide ändernden Zeitumständen passt: „1918/2018: globale Ereignisse und nationale Erinnerung“. Wir würden uns freuen, Sie alle bei dieser Gelegenheit im Kolleg begrüßen zu dürfen.
Vera Kempa & Daniel Schönpflug
im Namen des Vorstands des Fellowclubs