Berlin mit Maske
Nachdem ich seit März 2020 nur selten die Stadtgrenze von Oxford überschritten hatte, war es ziemlich aufregend, ein Flugzeug nach Berlin zu besteigen. Der Blick aus dem Fenster in meinem neuen Domizil, der Villa Walther, fiel endlich mal wieder auf eine andere Umgebung und entfachte in mir die Lust, Berlin zu erkunden. Kurz bevor ich Großbritannien im August verlassen hatte, war das Land wieder zu den „vorpandemischen“ Regeln zurückgekehrt: Schluss mit allen Kontaktbeschränkungen, privaten und öffentlichen, Schluss mit dem Tragen von Masken. Der Alltag in Berlin unterschied sich davon vor allem dadurch, dass hier beim Besuch von Veranstaltungen und Lokalen Impfnachweise vorzulegen und das Tragen einer Maske in öffentlichen Verkehrsmitteln und Innenräumen Pflicht waren.
In Berlin wurde man in öffentlichen Verkehrsmitteln per Durchsage (in Deutsch und Englisch) darauf hingewiesen, dass „FFP2-Masken“ vorgeschrieben sind und Schilder klärten über das Verbot von Stoffmasken auf. Verglichen mit Berlin habe ich in Großbritannien selten gesehen, dass Mund und Nase mit weißen FFP2-Masken bedeckt sind, dort herrschen die blauen medizinischen Masken oder solche aus Stoff vor. Am häufigsten aber sieht man in Großbritannien Letztere. Viele Leute haben schon früh, nämlich 2020, damit begonnen, sie in Heimarbeit herzustellen und dann zu verkaufen, und der Trend setzte sich fort, als größere Modemarken gleichgemusterte oder farbige Mund-Nasen-Bedeckungen entwarfen und vertrieben. Sogar die Universitäten haben sie in den Katalog ihrer Verkaufsartikel aufgenommen, sodass die Leute Masken mit dem Emblem ihres Colleges oder ihres Departments erwarben.
Von September bis November änderte sich in Berlin kaum etwas am Leben in der Pandemie. In der Zeit vor meinem Abflug aus Großbritannien hatte ich weitgehend isoliert gearbeitet, sodass mich erst das Wiko wieder mit einem sozialeren Umfeld vertraut machte. Unter der Bedingung, dass man regelmäßig einen Schnelltest durchführte, in den Innenräumen eine Maske trug und so oft wie möglich die Fenster aufriss, wurden Mittag- und Abendessen gemeinsam eingenommen und fanden die Dienstagskolloquien mit persönlicher Anwesenheit der Teilnehmer statt. Als die Reihe an mir war, im Dienstagskolloquium vorzutragen, war dies seit März 2020 mein erster Vortrag vor einem Publikum!
Im November begannen die Fallzahlen in Deutschland wieder zu steigen. Ich kämpfte mit den technischen Problemen meines Handys, die Nachrichtenapp so einzurichten, dass ich die einschlägigen Artikel aus Deutschland erhielt, um bei allen Änderungen der Coronamaßnahmen auf dem Laufenden zu sein. Leben in der Pandemie, das hieß am Wiko, dass eine Schar von Fellows eine Booster-Impfung erhielt und sich in den darauffolgenden Tagen mehr oder weniger abgeschlagen fühlte. Die Gespräche beim Mittagessen drehten sich darum, wo man sich am besten boostern lassen könne – wo ist die verkehrsgünstigste Anlaufstelle mit den kürzesten Warteschlangen – und welche Symptome sich bei dem einen oder anderen nach der Impfung eingestellt haben. Ein Gang zur Grunewald-Apotheke, um die dritte Impfung in seinen Impfnachweis aufzunehmen, schloss sich unweigerlich an. Vergessen werde ich auch nicht, dass der Gast eines Fellows, der nur für ein Wochenende gekommen war, am Ende vierzehn Tage in Quarantäne verbringen musste, weil er sich mit dem Virus infiziert hatte.
Bei alldem war es für mich ein großes Glück, Berlin im Dezember zu erleben. Die Weihnachtsmärkte waren geöffnet, und Berlin lässt sich bei der Weihnachtsbeleuchtung nicht lumpen. Das wurde mir klar, als ich im fahlen Tageslicht das etwa 10 Meter hohe, erleuchtete Bärengerüst am Verkehrskreisel vor dem S-Bahnhof Halensee sah. Und wie umwerfend war es erst bei Nacht! Ein Spaziergang über den Kurfürstendamm mit seinen von Lichterketten umwundenen Bäumen, die von Halensee bis zum Zoologischen Garten die Straße säumen, war einfach zauberhaft. Meine Zeit als Fellow ging im Dezember zu Ende und meine Rückreise nach Großbritannien stand bevor. Aufgrund der steigenden Fallzahlen und dem Auftreten von Omikron schien sich das Leben in der Pandemie aufs Neue zu verändern. Wer durch die Stadt lief, um die Weihnachtslichter und -märkte zu bestaunen, sah immer häufiger Corona-Testzentren, in denen die Bürger sich kostenlos abstreichen lassen konnten. Veranstaltungen und Restaurants durften nur noch von Leuten besucht werden, die entweder geimpft oder genesen waren (2G) bzw. die geimpft oder genesen waren und zusätzlich einen tagesaktuellen negativen Test vorlegten (2G+). Als es ans Abreisen ging versuchte ich mich, über den neuesten Stand der Reisebeschränkungen zu unterrichten. Wieder einmal hieß es, ein Test vor dem Flug und ein PCR-Test bei der Ankunft seien für Reisende nach Großbritannien obligatorisch. Nach zwei Coronatests und einer kurzen Quarantäne, in der ich auf die Testergebnisse wartete, bin ich nun wieder in England. Die Monate am Wiko waren zweifellos der Höhepunkt meiner bislang durchgestandenen Pandemiejahre: 2020 – 2021 – 2022 … Wer weiß?
Rachel Wheatley
Übersetzung: Christiana Goldmann