Lian Yang
Dichter, Romancier und Essayist, Vorstandsmitglied von PEN International
London
Born in 1955 in Bern, educated in China
Photo: Wissenschaftskolleg zu Berlin
Arbeitsvorhaben
Die poetische Figur des Anderen in der Neuen Welt
The latest developments in the Middle East and in China provided widely divergent contexts for our "New World". To me, the "new" here means "the deep"; every culture and even every person has to address some deeper questions: where will the fast-changing global politics and the economic landscape take us? What value and principles can we hold onto in this stormy situation? Actually, who am I?China is not only a political and economic case, but also one of profound cultural transformation. As a poet, I experienced the nightmare of the Cultural Revolution; then, during the 1980s and layer by layer, introspections on Chinese history and tradition; the Tiananmen Massacre in 1989; and since then, being a Chinese poet and thinker in exile and turning "exile" positively into a grammar to share and understand other cultures with their thinkers. The question "What did we gain from exile?" is still the basis of the internal journey in my literary writings and helps me to observe the world.
In 2003, when I met the great Arabic poet Adonis at the Poetry International Jordan, it opened up a direct exchange between interdependent thinkers in the Chinese and Arabic worlds. I also began my series of projects of discussions with international poets, especially with Eastern European poets, since we shared some common historical experiences that could be understood as important references of our situation today but which, sadly, have been ignored by the world. My essay "The contemporary significance of Cold War experiences" expressed this thought.
During my stay at the Wissenschaftskolleg, I would like to continue the projects of my own writings, mainly poetry and essays, to draw a map of thinking of China, to show how China has been transformed from a Cold War version of a Communist state into a much more complex part of the global capitalist system, whose ideology (or even religion) is selfishness and cynicism. This theme will also become the meeting point to continue discussions with the poet-thinkers from Eastern Europe. We shall try to discover what the "New World" means to us as people and as poets and how to respond to it with the depth and creative quality of poetry. We will translate the poems ourselves, like other poets' translating projects I have been engaged in with poets from other languages (but not with German poets yet); the profound and rich discussion throughout all layers of poetry, from the very linguistic to literary concepts and realistic attitudes, will be documented as an ever-growing living book.
I shall also try to follow the model of the Jade Ladder, the anthology of contemporary Chinese poetry in English translation based on poets' translations and to organize a German-Chinese poets' translation project to create multi-voice translations between contemporary German and Chinese poetry.
Finally, I shall write a book titled Unique Mother Tongue, based on a wonderful sentence "Poetry is our unique mother tongue", to show how poets can respond to the challenge of the New World.
Recommended Reading
Yang, Lian. Aufzeichnungen eines glückseligen Dämons. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2009.
- Where the Sea Stands Still. Newcastle upon Tyne: Bloodaxe Books, 1999.
- Concentric Circles. Tarset: Bloodaxe, 2005.
- Jade Ladder. Tarset: Bloodaxe, 2012.
Kolloquium, 04.06.2013
Uns selbst beobachten, wie wir Segel setzen
Die jüngsten Entwicklungen im Nahen Osten und in China schaffen stark divergierende Kontexte für unsere "Neue Welt". Sie thematisieren die tiefgehenden Fragen, die jede Kultur und jede Person betreffen: Auf welche Weise können wir angesichts der sich rasch wandelnden globalen und wirtschaftlichen Politik unsere wahre Situation verstehen? An welchen Werten und Prinzipien können wir uns in dieser stürmischen Realität festhalten? Wie kann die zeitgenössische chinesische Dichtung diesen grundlegenden Herausforderungen begegnen, oder was das betrifft: Wie kann Dichtung ihnen überhaupt begegnen, gleichgültig, an welchem Ort?
Wenn man auf die zeitgenössische Geschichte Chinas zurückblickt, gab es nie ruhige Buchten auf unseren Seekarten, sondern nur Tsunamis und Mahlströme. Die chinesischen Dichter erlebten den Albtraum der Kulturrevolution; in den 1980er Jahren durchdachten sie Schicht um Schicht die Geschichte und Tradition Chinas noch einmal neu - bis zum Tian'anmen-Massaker 1989, das die bittere Frucht dieses Prozesses war. Ein chinesischer Dichter im Exil zu sein, hat seit diesem Zeitpunkt den Begriff "Exil" in etwas Positives gewendet; er gestattet uns, uns zu vertiefen und unsere Ansichten mit anderen Kulturen zu teilen. Die Frage, was wir durch das Exil gewonnen haben, regt das Bild an, das der Titel des Vortrags evoziert: "Uns selbst beobachten, wie wir Segel setzen" - man steht an einer Küstenklippe und sieht sich selbst auf einem Schiff Segel setzen, um in die Weite des Meers hinauszusegeln. Dieses Bild verwandelt alle äußeren Reisen in innere Reisen. Die Tiefe des Denkens und des schöpferischen Schreibens, das wir aus unseren chinesischen Erfahrungen gewonnen haben, geht nun weiter und drängt uns, in der weltweiten spirituellen Krise Stellung zu beziehen.
Zeitgenössisch, chinesisch, Dichtung: Drei Worte, die auf drei Gegenüberstellungen hinweisen, nämlich auf die Gegenüberstellung von Tradition und Moderne, vom Chinesischen und anderen Sprachen und auf die Gegenüberstellung von Dichter und Dichtung. Jedes Gedicht, das auf Chinesisch geschrieben wird, ist sowohl "konzeptionell" und "experimentell". Das heißt: Da es kein vorgefundenes Modell gibt, das wir einfach nachahmen können, muss der einzelne Denker, die einzelne Denkerin Elemente aus allen möglichen Quellen auswählen und integrieren, um seinen oder ihren Geist zu entwickeln; daher ist jede Zeile einer Dichtung der Beginn einer neuen Kultur. Aus diesem Grund unterscheidet sich die dichterische Leidenschaft grundlegend von kollektiven Emotionen - sie beruht ausschließlich auf dem eigenen Selbst. Jedes Gedicht muss also ein unwiederholbares "Projekt des Denkens und der Künste" sein. Kurz gesagt: Der wahre Kern des Schreibens von Gedichten liegt nicht nur in der Frage "Warum schreiben?", sondern auch in der Frage "Wie schreiben?". Wir schreiben endlos unsere eigene "Vergangenheit" neu, indem wir in die Gegenwart eintauchen und unserer gemeinsamen globalen Zukunft ins Gesicht sehen. Alle kollektiven Trennungen - nationale, religiöse, sprachliche, orientalische-okzidentale und sogar die sich entwickelnde diachronische Zeit - sind künstliche Begriffe. Sie müssen überwunden und wiedergewonnen werden, um eine der vielen Schichten unserer Individualität zu werden. Auch wenn die Relevanz von Dichtung zunehmend infrage gestellt wird, bilden das schöpferische Denken und Handeln in jeder Form konzentrische Kreise in unserem Verständnis des Lebens.
"Neue Welt" - das bedeutet eine tiefgründigere und anspruchsvollere Zukunft für alle Menschen. Überholte wirtschaftliche und kulturelle Strukturen haben sich verändert; die Welt ist jetzt eine gemeinsame, wir alle teilen zum ersten Mal dieselbe Wirklichkeit. Ein Dichter zu sein, bedeutet heute, ein wirkliches Individuum zu sein, das sich mit immer dürftigeren Wahlmöglichkeiten politischer Ideen konfrontiert sieht, wobei diese Ideen mit einer immer stärkeren wirtschaftlichen Herrschaft verbunden sind - und dies mit zunehmend durcheinander geratenen Werten und wachsendem Zynismus. Wie können wir vermeiden, als bloße Ankläger aufzutreten, und eine aktive Antwort als Dichterinnen und Dichter geben? Heute erobert das "poetische Andere" die ursprüngliche Bedeutung des "Dichters" für alle Individuen zurück. In dieser ozeanweiten Welt ist die "Kultur" das Schiff und die "Dichtung" in einer breiteren Bedeutung der Ballast, der das Schiff stabil hält und vor dem Umkippen bewahrt. Und wir segeln weiter.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Yang, Lian (Eastburn, South Park, Hexham, Northumberland, 2023)
Yang, Lian (Berlin, 2023)
Erkundung des Bösen Zusammenstellung::Erkundung des Bösen
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"Chao sheng" ji qi ta Pilgerfahrt : Gedichte von Yang Lian
Yang, Lian (Bristol, 2015)
A massively single number International chinese poetry prize anthology
Yang, Lian (2013)
Yang, Lian (München, 2013)
Konzentrische Kreise : Gedichte Band ... der Edition Lyrik-Kabinett ; 27
Yang, Lian (Newcastle, 2012)
Jade ladder : contemporary Chinese poetry
Yang, Lian (2011)
Neue Welt - die Globalisierung als Prüfstein Europas
Yang, Lian (Stuttgart, 2011)
Europas kulturelle Außenbeziehungen Kulturreport ; 4.2011
Yang, Lian (Frankfurt am Main, 2009)
Aufzeichnungen eines glückseligen Dämons : Gedichte und Reflexionen