Marcus Willaschek, Dr. phil.
Professor of Philosophy
Goethe-Universität Frankfurt am Main
Born in 1962 in Arnsberg, Germany
Studied Philosophy, Biology, Psychology, and Law at the University of Münster
Arbeitsvorhaben
Time, Subjectivity, and Death
Subjectivity and time have both been central topics of philosophical reflexion since antiquity. Moreover, both are currently the focus of intensive scientific and philosophical research. However, there is little work on the interrelations between them. This project explores the hypothesis that time and subjectivity might be interdependent phenomena. More specifically, it pursues the idea that while subjective experience is necessarily related to the temporal present (or “now-indexical”), the distinction between past, present, and future (sometimes called the “passage of time”) is essentially subjective (or “I-indexical”) in that it depends on a first-person perspective. To say that the passage of time is subjective, however, is to deny neither that we all share the same present nor that the passage of time is a real phenomenon. Rather, the aim is to argue from the reality of subjective experience to the “inter-subjective” reality of the passage of time. Thus, the project aims to show that the phenomena expressed by “I”- and “now”-thoughts are interdependent parts of a whole – the conscious life of a person – that has the structural property of “I-now-indexicality.”If this hypothesis could be substantiated, it would have far-reaching consequences for the philosophies of mind and of time. Moreover, this hypothesis stands in the context of a larger project about the value of life and the badness of death, which emphasizes the I-now-indexical character of human life and of the values that structure it. Thus, the project is meant to contribute to our understanding of what it is to lead a human life and how to cope with its finitude.
Recommended Reading
Willaschek, Marcus. Der mentale Zugang zur Welt: Realismus, Skeptizismus und Intentionalität. Frankfurt/Main: Klostermann, 2003.
—.Kant on the Sources of Metaphysics: The Dialectic of Pure Reason. Cambridge: Cambridge University Press, 2018.
—. “Death and Existential Value: In Defence of Epicurus.” Philosophy and Phenomenological Research 106, no. 2 (2023): 475–492.
Kolloquium, 09.01.2024
Tod, Wert und die Struktur des Lebens
In meinem Vortrag möchte ich einen Überblick über ein größeres Projekt geben, von dem ich nur Teile während meiner Zeit am Wissenschaftskolleg bearbeiten kann. Das Projekt geht von der bereits in der Antike gestellten Frage aus, ob der Tod (aus einer rein selbstinteressierten Perspektive betrachtet) für die betroffene Person ein Übel ist. Der erste Teil des Projekts beschäftigt sich mit Epikurs berühmt-berüchtigtem Argument für die Behauptung, dass „der Tod uns nichts angeht“. Diesem Argument zufolge kann mein Tod, verstanden als meine zukünftige Nichtexistenz, nicht schlecht für mich sein, da er mir keinen Schmerz bereiten kann: Solange ich existiere, kann mir der Tod keine Schmerzen bereiten, weil er noch nicht eingetreten ist; und wenn er eingetreten ist, kann er mich nicht mehr betreffen, weil ich nicht mehr existiere. (Man mag einwenden, dass wir den Tod antizipieren und insofern unter ihm leiden können, aber Epikur hat eine brillante Antwort auf diesen Einwand). Thomas Nagel hat in einem einflussreichen Aufsatz aus dem Jahr 1970 gegen Epikurs Argument eingewandt, dass der Tod für die betroffene Person trotzdem schlecht sein kann, weil er sie der Güter beraubt, die sie sonst genossen hätte. Dieser „deprivation account“ dominiert heute die philosophische Diskussion über den Tod.
Um diese Auffassung zu kritisieren und Epikur teilweise zu verteidigen, wende ich mich dem zweiten Teil des Projekts zu, der von der Frage ausgeht, was ein menschliches Leben zu dem einer bestimmten Person macht. Ich möchte zeigen, dass das Leben einer Person (im Gegensatz zum Leben im rein biologischen Sinne) darin besteht, dieses Leben aktiv zu führen und die Welt aus einer Ich-, Hier- und Jetzt-Perspektive zu erleben. Diese Perspektive wirkt sich auch auf viele der Werte aus, die unser Leben strukturieren. Sie sind wesentlich an die Erste-Person-Perspektive und die Gegenwart gebunden (wobei ich den Raum einmal beiseitelasse). Werte, die man sich selbst als gut oder schlecht aus der Ersten-Person-Perspektive und als gegenwärtig zuschreiben kann, bezeichne ich als „existenzielle Werte“. Was der „deprivation account“ übersieht, ist die Tatsache, dass das Übel des Todes nicht von dieser Art ist. Er kann nur aus einer drittpersonalen und retrospektiven Perspektive zugeschrieben werden. Wenn wir davon ausgehen, dass existenzielle Werte für uns wichtiger sind als Werte, die nur aus einer drittpersonalen Perspektive zugeschrieben werden können, gelangen wir zu einer Variante von Epikurs Argument: Während der Tod für die Person, die stirbt, schlecht sein mag, weil er sie der Güter des Lebens beraubt, sollte uns dieser Verlust nicht in der gleichen Weise beunruhigen, wie uns der Verlust von Gütern innerhalb unseres Lebens beunruhigen würde. In diesem Sinne ist der Tod weniger schlimm, als es vielleicht den Anschein hat.
Im dritten Teil des Projekts wende ich mich der Frage zu, ob es einen Grund gibt, die Tatsache zu beklagen, dass einem, je älter man wird, umso weniger Lebenszeit bleibt. Ich beziehe diese Frage auf eine aktuelle Debatte über „zeitliche Neutralität“ und „future bias“, bei der es um die Frage geht, ob es rational zulässig ist, zu bevorzugen, dass gute Dinge in der Zukunft und schlechte Dinge in der Vergangenheit liegen. Ich möchte zeigen, dass dies rational zulässig ist, wenn man einige alltägliche Annahmen über die Struktur der Zeit zugrunde legt. Es stellt sich heraus, dass diese Annahmen auch der Art und Weise zugrunde liegen, in der wir unser persönliches Leben zwar in der Gegenwart, aber auf die Zukunft gerichtet führen. Auf diese Weise hoffe ich zu zeigen, dass die Klage, dass einem immer weniger Zeit zum Leben bleibt, rational sein kann, doch der Grund dafür ist nicht das Übel des Todes als solcher, sondern die Tatsache, dass das Leben einer Person sowohl endlich als auch im Wesentlichen auf die Zukunft ausgerichtet ist.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Willaschek, Marcus (Oldenbourg, 2023)
Vernunft und Realismus : zur Aktualität der kantischen Philosophie
Willaschek, Marcus (Oxford [u.a.], 2023)
Death and existential value : in defense of Epicurus
Willaschek, Marcus (München, 2023)
Kant : die Revolution des Denkens
Willaschek, Marcus (Cambridge, 2018)
Kant on the sources of metaphysics : the dialectic of pure reason
Willaschek, Marcus (Frankfurt am Main, 2003)
Der mentale Zugang zur Welt : Realismus, Skeptizismus und Intentionalität Philosophische Abhandlungen ; 87
Willaschek, Marcus (Stuttgart, 1992)
Praktische Vernunft : Handlungstheorie und Moralbegründung bei Kant