Zwischen Humor und Resignation – die Musik des Komponisten Klaus Ospald
Reinhart Meyer-Kalkus
Viele Werke zeitgenössischer Musik brauchen ihre Zeit, um die Ohren der Zuhörer zu erreichen, und so schmerzlich es für die Komponisten auch ist, daß sie keinen oder nur wenig unmittelbaren Anklang finden, so reifen sie in solcher Latenz einem besseren Verständnis entgegen. Hat solche Verborgenheit nicht dazu beigetragen, daß etwa Karlheinz Stockhausens selten gespielte Musik der 1950er und 1960er Jahre ihre Frische und überwältigende Ansprechbarkeit behalten hat? Oder die seines Kölner Antipoden Bernd Alois Zimmermann? Vielleicht wird es Klaus Ospalds Kompositionen einmal ähnlich ergehen. Die Verborgenheit seines OEuvres könnte eine Chance sein, um eines Tages unverbraucht hervorzutreten, wiederentdeckt und neu interpretiert zu werden.
Gewöhnlich verschwanden Ospalds Kompositionen nach ihrer Uraufführung auf den für zeitgenössische Musik spezialisierten Festivals und Rundfunk-Konzertreihen in den Archiven. Nur zwei im Handel erhältliche CDs machen einige - keineswegs die repräsentativsten - seiner Kompositionen zugänglich. Sucht man im Internet nach Auskunft über den 1956 in Münster geborenen Komponisten, findet man nur verstreute Spuren. Er ist ein Verborgener, ein Abgeschiedener auch hier - kein Verzeichnis seiner Werke, kein CV, kein Schriftenverzeichnis, nichts mit dem seine Kollegen ihre 'Internetauftritte' bestreiten und ihre Präsenz im Musikbetrieb behaupten. Ospald spielt offenkundig nicht mit. Dem entspricht, daß die wenigen mündlichen Äußerungen und Werk-Kommentare von einer gewissen Schroffheit sind. Anfang der 1990er Jahre zerschlug sich das Angebot einer Professur für Komposition an einer deutschen Musikhochschule, seitdem fehlt ihm - abgesehen von einem Lehrauftrag an der Würzburger Musikhochschule - eine institutionelle und materielle Einbindung, die heute für deutscher Komponisten zur Regel geworden ist. Seit Arnold Schönberg sind deutsche Komponisten ja gewöhnlich Herr Professor! Viele empfanden es deshalb als Überraschung, als Ospald auf Vorschlag von Helmut Lachenmann im Jahre 2013/14 als Composer-in-residence ans Wissenschaftskolleg zu Berlin berufen wurde und sich damit in eine Reihe mit einigen der bedeutendsten Komponisten der letzten 30 Jahre (wie Kurtág, Rihm, Ligeti, Lachenmann, Zender, Mundry, Hosokawa, Widmann, Andre u. a.) gestellt sieht.
Ospalds Werkverzeichnis - soweit es die von ihm anerkannten Kompositionen betrifft - umfaßt rund 30 Werke aus den Jahren 1980 bis 2012, darunter Kammermusik (wie ein Klaviertrio, ein Klavierquartett, ein Streichquartett mit Gesangsstimme, ein Stück für zwei Gitarren), weiterhin ein größeres Stück für Musiktheater ('Dr. Faustus Lichterloh' auf einen Text von Gertrude Stein, 1988/89), eine 'Sinfonia' für großes Orchester (1995-97), schließlich eine Reihe von Ensemble-Stücken, überwiegend mit Solo- und Chorstimmen. Diese Ensemble-Stücke lassen sich in zwei Zyklen gruppieren: 5 Werke gehören dem Zyklus 'schöne welt schöne welt' auf Texte des Wiener Dichters Konrad Bayer in den Jahren 1989-2004 an, 6 weitere Werke dem späteren Zyklus 'La ginestra o il fiore des deserto' auf Texte des italienischen Dichters Giacomo Leopardi (in den Jahren 2005-2012), darunter das kürzlich in Zürich uraufgeführte '... in questa rimota parte ...'. Diese beiden Zyklen bilden die Hauptwerke von Ospalds Musik, sie verkörpern auf exemplarische Weise die Vielschichtigkeit seiner Musik: ihren Humor, der alle Spielarten des Satirischen, Burlesken und Grotesken umfaßt, wie ihre meditative Seite mit einer in der zweiten Schaffensphase mehr und mehr sich zurücknehmenden Musik voller Klage- und Trauergesänge. Ospalds Musik hat einen unmittelbar beredten und ansprechenden Charakter, einen humanen Ton, der wie ein Echo auf Gustav Mahler und Alban Berg klingt. Mit chaotisch anmutender Polyphonie stürzt sie sich ins Weltgetümmel und zieht sich daraus immer wieder auf Klang-Inseln resignativen Eingedenkens zurück.
Diese Spannweite von Ospalds Musik dokumentiert sich bereits in der Wahl der beiden Textdichter für die Vorlagen seiner Stücke: einerseits Konrad Bayer, der Dichter des Wiener Aktionismus der 1950er Jahre mit seinem Verzweiflungsdadaismus, der der Welt ihren Infantilismus vorspielt: "das ist lustig/das ist schön/das ist das/zugrundegehn" (Text zu Ospalds '... und es regnete tang und die verwirrung war allgemein' (1989) für Mezzosopran und Kammerensemble); andererseits Giacomo Leopardi (1798-1837), ein Bruder aus dem Geiste Arthur Schopenhauers mit seinen Elegien auf den Untergang einer blühenden Menschenwelt unter alles verschlingenden Naturgewalten. Liebevoll vitale Zuwendung zu einer aus den Fugen geratenen Welt und zugleich Meditation aus menschenferner Abgeschiedenheit, dieser Dualismus ist ein durchgängiger Stilzug von Ospalds Musik, explosiv verschränkt in Werken der Synthese wie seiner 'Sinfonia' (1995-97) auf Hyperions Schicksalslied von Friedrich Hölderlin. Höhepunkte hat dieses so überaus reiche, nie repetitive, immer für klangliche Überraschungen gute Werk in seinen großen Ensemblewerken für Solo- und Chorstimmen aus den letzten zehn Jahren. Ospald verwendet hier solistische und chorische Gesangsstimmen als integralen Bestandteil seiner Kompositionen und verlangt ihnen ein ganzen Spektrum vokaler Äußerungen ab, vom Sprechen und Flüstern über Sprechgesang bis hin zur Kantilene, solistisch wie chorisch. Gesangsästhetisch fühlt er sich der Musik des 17. Jahrhundert verbunden, allerdings bindet er die Stimme, darin dem strukturellen Ansatz von Stockhausen und Nono folgend, wie eine Orchesterstimme ins instrumental gedachte Umfeld ein. In einem seiner schönsten Orchesterwerke für Chor und groß besetztes Bläser-Ensemble 'One shade the more, one ray the less' (2009) stehen der polyphonischen Stimm-Führung in wild gezackten Rhythmen statische harmonische Klangblöcke gegenüber, die sich wie dunkle Lavamassen gegeneinander verschieben. Dem Mitgerissenwerden durch vorwärtsstürmende Passagen chaotischen Durcheinanders kontrastiert ein Nachlauschen auf vergehende Klänge. Ospald bedient sich dabei einer mit feinem Ohr ausgehörten Welt des Enharmonischen (also kleinerer Intervalle als der der temperierten Tonleiter) mit ihren Oszillationen, Schwebungen und Irritationen. Seine Musik erzählt nichts, und ist - abgesehen von kurzen ungestümen Passagen - auch keine dramatische Musik, sie ist Musik der existenziellen Erfahrung und der Reflexion gegenüber einer zudringlichen Welt, der sie aus weiter Entfernung ihre Echos zurückwirft.