Walter Laqueur, Dr. h.c. (mult.)
Direktor des International Research Council
Center for Strategic and International Studies, Washington, DC
International Research Council
Geboren 1921 in Breslau; verstorben 2018 in Washington, DC.
Arbeitsvorhaben
Politische Gewalt
Roots of terrorism: Historical changes. Political/ideological causes. Ethnic and social conflicts ("objective reasons"). Is there a terrorist personality? (Psychological and biological/genetic roots of violence and aggression). The role of religious fundamentalism. The role of economic-social factors. Where does terrorism occur? Where does it not occur - the geopolitics of political violence. Changes in the character of terrorism.Recommended Reading
Laqueur, Walter. Generation Exodus: The Fate of Young Jewish Refugees from Nazi Germany. Hanover et al.: Brandeis University Press, 2001. German transl.: Geboren in Deutschland. Der Exodus der jüdischen Jugend nach 1933. Berlin: Propyläen, 2000.
-. The New Terrorism. Fanatiscism and the Weapons of Mass Destruction. New York: Oxford University Press, 1999. German transl.: Die globale Bedrohung. Neue Gefahren des Terrorismus. Berlin: Propyläen, 1998.
Kolloquium, 17.12.2002
Politische Gewalt
Auf jeder Ebene gibt es Literatur beträchtlichen Ausmaßes zu spezifischen Terroristengruppen wie z. B. den Iren, den Anarchisten und den Russischen Sozialrevolutionären während des 19. und 20. Jahrhunderts - von Protagonisten und Gegnern des Terrorismus, Monographien, Biographien und Autobiographien, ganz zu schweigen von Romanen (wie etwa von Dostojewski, Henry James und Joseph Conrad). Doch die systematische Erforschung des Terrorismus als einem allgemeinen Phänomen ist erst jüngeren Datums. Sie geht auf die frühen 70er Jahre zurück, und bis vor ein paar Jahren war die Zahl der Forscher sehr gering.
In meinem Vortrag möchte ich mich mit einigen Themen und Problemen befassen, mit denen die Terrorismusforschung konfrontiert war. Zunächst versuchten die Forscher vor allem, Terrorismus zu definieren und zu beschreiben; das war fast von Anbeginn an ein schwieriges Unterfangen, teils aufgrund der großen Unterschiede zwischen dem Terrorismus in verschiedenen Ländern und Kulturen - das erschwerte Verallgemeinerungen oder führte sogar in die Irre -, teils auch aufgrund der Veränderungen, die im Laufe der Zeit in der Motivation, Ideologie, in den Zielen und Strategien stattfanden.
Ein weiteres großes Hindernis bestand in der unvermeidlichen Politisierung des Themas. Um nur ein Beispiel anzuführen: Man glaubte in den 70er Jahren im Allgemeinen, dass der Terrorismus eine Bewegung der extremen Linken sei - daher wurde er von einigen enthusiastisch begrüßt, von anderen nachdrücklich abgelehnt. Jedoch hat das Beweismaterial sowohl davor als auch danach klar gezeigt, dass der Terrorismus keine Ideologie, sondern eine Strategie ist, die ebenso von der extremen Rechten wie auch von nationalistischen und religiösen Gruppen verwendet werden kann, die weder links noch rechts sind.
Warum entsteht Terrorismus? Einige Sozialwissenschaftler versuchten, Modelle anzuwenden, die sie aus anderen Bereichen übernahmen, aber das funktionierte fast nie. Sogar jene Modelle, die scheinbar offensichtlich zutrafen, stammten nicht aus der Arbeit am Material oder nur zum Teil. Z. B: "Terrorismus entsteht, wenn die Repression am größten ist" (aber in repressiven Regimen wie im Faschismus oder Kommunismus gab es keinen Terrorismus). "Terrorismus wird von Armut verursacht" (oder relativem Mangel); das Beweismaterial zeigt, dass Armut zwar eine Rolle spielt, aber für gewöhnlich keine entscheidende. In den fünfzig ärmsten Ländern der Welt gibt es kaum Terrorismus. "Terrorismus entsteht, wenn die Ansprüche zweier ethnischer Gruppen kollidieren." Das trifft in einigen Fällen zu (Kaschmir, Palästina, Ulster, Baskenland). Doch die blutigsten terroristischen Feldzüge innerhalb einzelner Staaten und Länder (Algerien, Kolumbien, Tadschikistan) hatten keinen ethnischen Hintergrund.
Andere Anfangsschwierigkeiten lagen in der weitverbreiteten Weigerung, die Tatsache zu akzeptieren, dass Terrorismus und Guerilla nicht das gleiche sind, sondern dass sie sich in einigen grundsätzlichen Punkten unterscheiden. Sogar heute gibt es noch eine starke Abneigung gegen die Verwendung des Ausdrucks 'Terrorismus' ("Der Terrorist des einen ist der Freiheitskämpfer des anderen"), während 'Guerilla' und andere Bezeichnungen als akzeptabel gelten. Ich werde mich mit den Gründen dafür befassen.
Wenn objektive Umstände nicht gänzlich für die Entstehung des Terrorismus verantwortlich zu machen sind, gibt es vielleicht andere Wurzeln - eine Neigung zu Aggression und Gewalt? Wie kann man erklären, dass in einer bestimmten Gruppe von Leuten, die alle mit der gleichen Intensität an ihr Ziel glauben, nur wenige zu Terroristen werden und die anderen nicht? Die Terrorismusforschung ist bis vor kurzem vor dieser Frage zurückgewichen; im beigefügten Artikel, der vor kurzem in der TLS erschienen ist, habe ich auf die Notwendigkeit hingewiesen, diese Fragestellung in der Forschung weiter zu verfolgen. Eine andere Frage, die bisher noch nicht angesprochen worden ist, ist die Geopolitik des Terrorismus, mit anderen Worten: wo entsteht kein Terrorismus, obwohl alle anscheinend notwendigen Voraussetzungen gegeben sind.
Schließlich möchte ich Ihnen einen sehr kurzen Überblick über die Errungenschaften und Unzulänglichkeiten der Terrorismusforschung während der letzten drei Jahrzehnte geben.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Laqueur, Walter (Berlin, 2004)
Jerusalem : jüdischer Traum und israelische Wirklichkeit Jerusalem beyond Zionism <dt.>
Laqueur, Walter (2003)
Der Exodus der jüdischen Jugend nach 1933
Laqueur, Walter (New York, 2003)
No end to war : terrorism in the twenty-first century
Laqueur, Walter (München, 2003)
Krieg dem Westen : Terrorismus im 21. Jahrhundert
Laqueur, Walter (2002)
Laqueur, Walter (München, 2001)
Die globale Bedrohung : neue Gefahren des Terrorismus Dawn of Armageddon <dt.>
Laqueur, Walter (London, 2000)
Weimar : a cultural history 1918 - 1933 A Phoenix Press paperback
Laqueur, Walter (Berlin, 2000)
Geboren in Deutschland : der Exodus der jüdischen Jugend nach 1933 Portrait of a generation <dt.>
Laqueur, Walter (Berlin, 2000)
Faschismus : gestern, heute, morgen Fascism <dt.>