
Editorial
Was hat sich im Wissenschaftskolleg zu Berlin verändert, fragte ich mich, als ich Ende Januar diesen Jahres in den Grunewald kam, um am traditionellen Berliner Abend teilzunehmen.
Natürlich gibt es neue Gesichter: Nicht nur bei den Fellows (wie zu erwarten), sondern auch am Empfang, in der Küche und im gesamten Team. Solche Veränderungen sind normal, aber gleichzeitig auch überraschend für jemanden, der sich als Fellow an eine Version des Hauses gewöhnt hatte. In diesem Kontext ist es gut zu wissen, dass es einen Anker der Kontinuität im Fellowclub gibt – ich denke an Nina Kitsos, der wir eine rasche Genesung wünschen. Auch die materielle Umgebung ist gewisser Veränderung unterworfen; die Sofas in den Clubräumen erstrahlen in neuem Glanz. Schwerer zu erfassen sind die intellektuellen Veränderungen im Kolleg: Zum Beispiel, wie das Institut seine Verbindungen zur sich wandelnden Welt außerhalb des Grunewalds und seine Rolle darin wahrnimmt. Die vorliegende Ausgabe des Newsletters vermittelt Einblicke in dieses Thema und bietet gleichzeitig eine Reflexion über akademische Freiheit, die im Zentrum dieser Ausgabe steht.
Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, der Aufstieg der Rechten in Europa und in den USA, um nur einige der jüngsten Phänomene zu nennen, haben zu einer zunehmenden Polarisierung geführt und auch die Wissenschaft blieb nicht verschont. Wie kann das Wiko Fellows aus Konfliktgebieten aufnehmen und gleichzeitig den Wissenschaftlern eine friedliche und fruchtbare Zeit versprechen? Barbara Stollberg-Rilinger hat im Frühjahr 2024 im Podcast der Süddeutschen Zeitung eine vielschichtige Reflexion über „Wissenschaft und Forschung in Zeiten der Krise“ angestellt. Dessen Name ist, wie ich finde, sehr treffend, um den Denkstil der Rektorin zu beschreiben: In aller Ruhe. Wir haben den Podcast für diese Ausgabe transkribiert und ins Englische übersetzt. Die im Interview geäußerte Prämisse, dass Konflikte diskursiv angegangen werden können und müssen, hat mir besonders gut gefallen. Aber wie Sie dem Podcast entnehmen können, erfordert es eine Menge Arbeit und Geschick, sich in einem aufgeheizten diskursiven Umfeld zu bewegen.
Eine der strategischen Antworten des Wissenschaftskollegs auf die nicht enden wollende Krise mit sich stets verändernder Topografie war eine noch stärkere Unterstützung des freien wissenschaftlichen Austauschs. Zu diesem Zweck hat das Wissenschaftskolleg unlängst die Elkana-Fellowships ins Leben gerufen. Mit diesem Instrument wurde zuletzt der digitale Relaunch des Belarusian Historical Review unterstützt, ebenso wie die in Ankara ansässige School of Human Rights. Deren Ziel ist ‒ wie Elçin Aktoprak (Fellow 2022/2023) in dieser Ausgabe berichtet ‒, einen alternativen Raum für akademische Debatten in der Türkei aufzubauen. Ihre Spende für das Programm ist herzlich willkommen!
Während meines Aufenthalts Ende Januar in der Wallotstraße 19 fand eine Veranstaltung anlässlich des 80. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz-Birkenau statt. Auch der Newsletter greift das Thema des Holocaust in einem Interview mit der Künstlerin und Forscherin Natalia Romik (Elkana-Fellow 2024/2025) auf, deren Ausstellung „Architekturen des Überlebens“ im Jahr 2024 im Jüdischen Museum in Frankfurt zu sehen war. Eine der Aufgaben, die sich die Künstlerin stellte, war es, das, was unsichtbar sein sollte – die Verstecke der polnischen Juden während der Shoah –, sichtbar zu machen und für derartig ambivalente Orte und Objekte eine adäquate skulpturale Form zu finden.
Das Jahrestreffen des Fellowclubs im Juni steht ebenfalls im Zeichen der künstlerischen Forschung und ist fotografischen Erkundungen zwischen Dokumentation und Kunst gewidmet. Drei photographers in residence werden ihre Arbeiten vorstellen: Hannah Darabi (Fellow 2024/2025), Arwed Messmer (Fellow 2023/2024) und Frédéric Brenner (Fellow 2016/2017). Ergänzt wird die Podiumsdiskussion durch einen Besuch in der Berlinischen Galerie und natürlich durch das traditionelle Sommerfest ...
Ich erlaube mir, die Einladung zu diesem Sommertreffen ein wenig persönlicher zu gestalten. Es ist das zehnjährige Jubiläum des Jahrgangs 2014/2015. Da ich und die zweite Stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Fellowclubs, Simone Reber, zu diesem Jahrgang gehören, möchten wir unsere ehemaligen Co-Fellows herzlich einladen, am 19. und 20. Juni nach Berlin zu kommen.
Bis dahin werde ich mich auf die Vorbereitung des kommenden Fellow Forums zum Thema Cooperation in a Transdisciplinary Context vorbereiten, das ich gemeinsam Judith Bronstein und Danai Papageorgiou im März an den Ufern des Halensees veranstalten werde.
Mit freundlichen Grüßen
Alexei Evstratov im Namen des Vorstandes des Fellowclubs