Carlo Severi, Ph.D.
Directeur de Recherches
Centre national de la recherche scientifique, Paris
Studium der Sozialanthropologie an der Ecole des Hautes Etudes
en Sciences Sociales, Paris
Arbeitsvorhaben
Schritte zu einer Anthropologie des Gedächtnisses
The arts of memory of the Western intellectual tradition have been extensively explored by historians, historians of art, and historians of ideas. In sharp contrast, virtually no attention has been devoted to non-Western arts of memory. In particular, all the memory techniques linked with so-called oral traditions have been utterly neglected or taken for granted.My project for next year at the Wissenschaftskolleg is to explore in detail a number of these iconographical techniques in a cognitively-oriented perspective. In particular, I will work on American Indian picture-writings and on the iconic representation of proper names in Papua-New Guinea.
Recommended Reading
Severi, Carlo and Michael Houseman. Naven, or The Other Self: A Relational Approach to Ritual Action. Leiden et al.: Brill, 1998.
Severi, Carlo. "The Kuna Picture-Writing. A Study in Iconography and Memory." In The Art of Being Kuna: Layers of Meaning Among the Kuna of Panama, edited by Mari Lyn Salvador, 245-273. Los Angeles: UCLA Fowler Museum of Cultural History, 1997.
-. "Cosmology, Crisis, and Paradox: on the White Spirit in the Kuna Shamanistic Tradition." In Disturbing Remains: Memory, History, and Crisis in the Twentieth Century, edited by Michael Roth and Charles G. Salas. Los Angeles: Getty Research Institute, 2001.
Kolloquium
Die Anthropologie der Erinnerung. Fallstudie und Forschungsprojekt
Reihen kleiner Figuren, Kreise, Boote, Fahnen, Blätter oder Blumen, alle akkurat koloriert, auf Balsaholz oder auf den linierten Seiten von Schulheften. Die Medizinmänner und Häuptlinge der Kuna-Indianer (unter denen ich meine anthropologischen Feldstudien durchgeführt habe) haben diese Art von Bildern seit mindestens einem Jahrhundert hergestellt. Wie andere Bilderschriften der amerikanischen Indianer haben auch diese Bilder westliche Gelehrte irgendwie verwirrt. Die Kunsthistoriker hatten Schwierigkeiten, sie als rein ästhetische Gebilde zu verstehen; die Schrifthistoriker fanden sie zu bildlich, um sie für ein verlässliches Informationsmedium zu halten. Das Ergebnis ist, dass wir sie oft in Museen mit dem kryptischen Etikett versehen finden: "Zeichnungen, die als Gedächtnisstütze dienen". Doch wie genau ist ihre Beziehung zur Erinnerung beschaffen? Auf welche Weise werden sie tatsächlich zum Memorieren verwendet? Welche Art von Texten werden durch ihre Hilfe erhalten? Welche indigenen Vorstellungen von Erinnerung und Bildlichkeit sind mit dieser Technik verknüpft? Wir neigen zu der Auffassung, dass eine Zeichnung ohne Lautwert eine ungenaue und nicht besonders verfeinerte Art der Textkodierung ist.
"Verwechsle nie eine Zeichnung mit einem Text", warnte der große Kunsthistoriker E. Gombrich in seinem berühmten Buch The Sense of Order. Die Bedeutungsproduktion in einem Zeichen (sign) ist vollkommen verschieden von der einer Zeichnung (design). Letztere sollte ästhetisch verstanden werden; ein Zeichen dagegen sollte entziffert werden, indem man impliziten Regeln folgt. Das hat zur Folge, dass die Kommunikation durch Zeichen tendenziell leicht und genau ist, während die Kommunikation durch Bilder schwierig, immer arbiträr und zwangsläufig vage ist. Wenn wir mit einem Dokument konfrontiert werden, das zwischen Zeichen und Zeichnung steht - wir werden feststellen, dass in einem Piktogramm der Kuna mehr enthalten ist, als in einer "arbiträren" Zeichnung und weniger in einem "konventionellen" Zeichen - fühlen wir uns unwohl. Doch die Feldforschung zeigt, dass diese amerikanischen Indianer die Zeichnungen immer noch verwenden, um längere Texte zu transkribieren, eine effektive Methode, die anstelle einer phonetischen Repräsentation das Memorieren der Texte sicher stellt. Wie kommt es, dass die Zeichnungen der Kuna fast so effektiv wie Schrift sind, ohne dass sie die wichtigste Eigenschaft von schriftlichen Systeme aufweisen, nämlich eine konsistente Repräsentation sprachlicher Lautwerte? Wie ist es möglich, dass diese eher groben Zeichnungen Zeichen ersetzen oder zumindest eine ähnliche Funktion in der Bewahrung sorgfältig ausgearbeiteter Texte annehmen?
In meinem Vortrag möchte ich zunächst zeigen, dass die Piktographie der Kuna ihre eigene innere Logik hat und daher als Ausgangspunkt für die vergleichende Analyse sehr vieler Bilderschriften amerikanischer Indianer dienen kann; darüber hinaus erscheint uns das Verständnis dieser Zeichnungen nicht deswegen schwierig, weil sie arbiträr oder durcheinander sind, sondern weil sie einigen unserer tief verwurzelten Vorurteile gegenüber "mündlichen" Traditionen, Schrift und Erschaffung des kollektiven Gedächtnisses widersprechen.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Severi, Carlo (Chicago, 2015)
The Chimera Principle : An Anthropology of Memory and Imagination The malinowski monographs
Severi, Carlo (Torino, 2011)
L'oggetto-persona : rito, memoria, immagine Piccola Bibliotheca Einaudi ; 696
Severi, Carlo (2009)
La parole prêtée : comment parlent les images
Severi, Carlo (Paris, 2009)
Paroles en actes Cahiers d'anthropologie sociale ; 5
Severi, Carlo (2009)
Severi, Carlo (2008)
Nous et eux : réflexions sur la différance culturelle
Severi, Carlo (2007)
Carlo Ginzburg et l'anthropologie de la croyance
Severi, Carlo (2006)
Doña Sebastiana oder der doppelte Feind
Severi, Carlo (2003)
Pour une anthropologie des images : histoire de l'art, esthétique et anthropologie