Dominik Perler, Dr. phil.
Professor für Theoretische Philosophie
Humboldt-Universität zu Berlin
Geboren 1965 in Fribourg, Schweiz
Studium der Philosophie und Russistik an den Universitäten Fribourg
und Göttingen und an der Cornell University
Arbeitsvorhaben
Formen des Zweifels: Skeptizismus im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit
Philosophische Debatten im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit (ca. 1300-1700) kreisten um eine Reihe von skeptischen Fragen: Können wir die Dinge in der Welt so erkennen, wie sie wirklich sind? Können wir ihre Eigenschaften und kausalen Verknüpfungen bestimmen? Haben wir überhaupt einen Zugang zu Dingen außerhalb unseres eigenen Geistes? Während meines Forschungsjahres möchte ich anhand ausgewählter Beispiele untersuchen, wie diese Fragen im historischen Kontext gestellt wurden, welche Strategien zu ihrer Beantwortung entwickelt wurden und wie sie die Entstehung moderner Erkenntnistheorien prägten. Drei Ziele stehen dabei im Vordergrund. Erstens sollen bislang vernachlässigte Quellen zum Skeptizismus (u. a. von William Crathorn, Nikolaus von Autrecourt, Francisco Sanches) erschlossen und kommentiert werden. Zweitens sollen die verschiedenen skeptischen und anti-skeptischen Strategien rekonstruiert und miteinander verglichen werden. Drittens soll untersucht werden, welche Rolle diese Strategien für die Erklärung von Wissen spielten. Besonderer Wert wird dabei auf eine epochenübergreifende Auswertung der "scholastischen" und "modernen" Texte gelegt. Dadurch soll auch die grundsätzliche Frage nach den Kontinuitäten und Diskontinuitäten zwischen Mittelalter und früher Neuzeit für einen ausgewählten Bereich neu gestellt werden.Lektüreempfehlung
Perler, Dominik. Repräsentation bei Descartes. Frankfurt/Main: Klostermann, 1996.
Perler, Dominik und Ulrich Rudolph. Occasionalismus. Theorien der Kausalität im arabisch-islamischen und im europäischen Denken. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 2000.
Perler, Dominik. Theorien der Intentionalität im Mittelalter. Frankfurt/Main: Klostermann, 2002.
Kolloquium, 25.01.2005
Radical Doubts. The Emergence of Scepticism in Medieval Philosophy
Im täglichen Leben halten wir es für selbstverständlich, dass wir zahlreiche Dinge wissen. So weiß ich, dass ich mich am Wissenschaftskolleg aufhalte und dass ich den anderen Fellows mein Forschungsprojekt vorstellen werde. Doch weiß ich mit Gewissheit, dass das Wissenschaftskolleg und die anderen Fellows tatsächlich existieren? Könnte es nicht sein, dass ein Wissenschaftler jetzt gerade mein Gehirn manipuliert und mir zahlreiche Gedanken eingibt, darunter auch die Gedanken an das Wissenschaftskolleg und an andere Menschen, ohne dass diese Dinge existieren? Könnte es nicht sein, dass all die Dinge, von denen ich ein Wissen beanspruche, nur der Inhalt einer süßen Illusion sind?
Seitdem Descartes die Hypothese von einem Täuschergott in die philosophischen Debatten eingeführt hat, ist der Skeptizismus zu einem Kernproblem der Erkenntnistheorie geworden. Es scheint ungenügend, einfach zu erklären, wie wir Wissen von zahlreichen Dingen erwerben. Vielmehr müssen wir zuerst die radikalen skeptischen Hypothesen widerlegen und zeigen, dass wir überhaupt Wissen haben können. Doch warum ist der Skeptizismus zu einem ernsthaften Problem geworden? Und warum verstehen zahlreiche Philosophen unter Wissen eine Relation zwischen einer "inneren" Welt von Gedanken und einer "äußeren" Welt von materiellen Gegenständen - eine Relation, die jederzeit von einem allmächtigen Wesen manipuliert werden kann?
In meinem Vortrag möchte ich aufzeigen, dass diese Art von Skeptizismus kein "natürliches" philosophisches Problem ist, das unausweichlich in jedem Kontext entsteht. Es ist vielmehr das Resultat einer bestimmten Erkenntnistheorie, die eine radikale Kluft zwischen einer inneren und einer äußeren Welt aufreißt. Diese Kluft findet sich nicht im antiken Skeptizismus. Sie ist auch nicht die Erfindung Descartes' und anderer frühneuzeitlicher Philosophen. Vielmehr haben Transformationsprozesse in der spätmittelalterlichen Philosophie und Theologie zur Entstehung dieser Kluft geführt. Vor allem zwei Verschiebungen im Theoriengefüge sind dafür verantwortlich: (a) der Übergang von einem Modell, das den menschlichen Geist als eine kognitive Fähigkeit auffasst, die Gegenstände in der Welt "assimiliert" und in gewisser Weise mit ihnen identisch wird, zu einem Modell, das den Geist als den Ort innerer Repräsentationen bestimmt; (b) der Übergang von einer Theorie, die Gott als den letzten Garanten für erfolgreiches Erkennen auffasst, zu einer Theorie, die ihn als ein absolut freies und allmächtiges Wesen präsentiert, das in jeden kognitiven Vorgang eingreifen kann.
Mit meiner Analyse dieser beiden Verschiebungen verfolge ich zwei Ziele. Zum einen möchte ich verdeutlichen, dass wir verschiedene spätmittelalterliche Aristoteliker (unter ihnen Thomas von Aquin, Wilhelm von Ockham, Petrus Johannis Olivi, Wilhelm Crathorn) in den Blick nehmen müssen, wenn wir die Entstehung des Skeptizismus verstehen wollen. Wir können nicht einfach auf die Rezeption antiker Quellen verweisen, wie einige Philosophiehistoriker meinten, oder den Skeptizismus als ein rein modernes Phänomen charakterisieren. Hier handelt es sich um ein Phänomen, das im Kontext der spätscholastischen Debatten verankert werden muss. Es war nämlich eine kritische Analyse aristotelischer Erkenntnistheorien, die einige Philosophen dazu brachte, einen antiaristotelischen Skeptizismus zu entwickeln. Zum anderen möchte ich auch darauf aufmerksam machen, dass wir den Skeptizismus nur verstehen können, wenn wir uns auf die zugrunde liegende Theorie des Geistes konzentrieren. Wenn wir ihn vermeiden möchten, müssen wir die Gegenüberstellung von "innerer" und "äußerer" Welt kritisch in den Blick nehmen. Diese Gegenüberstellung ist nämlich nicht von Natur aus gegeben, sondern in einem bestimmten theoretischen Rahmen geschaffen worden.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Perler, Dominik (2011)
Robert Fludd: die Welt im Kopf
Perler, Dominik (2011)
Perler, Dominik (Frankfurt am Main, 2002)
Theorien der Intentionalität im Mittelalter Philosophische Abhandlungen ; 82
Perler, Dominik (1994)
Philosophische Werke ; 2 ; Abhandlung über das Wasser und die Erde : lateinisch - deutsch Philosophische Werke ; 2.