Thomas Hauschild, Dr. phil.
Professor der Ethnologie
Eberhard Karls Universität Tübingen
Geboren 1955 in Berlin
Studium der Ethnologie, Religionswissenschaft und Deutschen Volkskunde an der Universität Hamburg
Arbeitsvorhaben
"Kampf der Kulturen": mediterrane Mikrogeografie und Konfliktbewältigung durch regionale Adaptation
Der Gedanke, dass Kultur (z. B. als selbstgestalterische "Mentalität") das menschliche Verhalten durchgängig bestimmen würde, ist prägend für konservative Rhetorik und nationalstaatliche Identitätspolitik. Derselbe Grundgedanke ist aber auch tief in den deutschsprachigen und US-amerikanischen Kulturwissenschaften verankert. Paradoxerweise führt eine reduktionistische Anwendung, z. B. der Foucaultschen Machtkritik im Zusammenhang mit einer textfixierten, letztlich philologisch-historischen Methode partikularer Kulturforschung zu solcher Übereinstimmung.Als Gegenentwurf zu "Kultur als Text" werde ich zehn mediterrane Kultformen aus Judentum, Christentum und Islam sowie deren politische Fortschreibungen (Fundamentalismen, charismatische Bewegungen) untersuchen. Der Verankerung der Kulte in den Netzwerkbeziehungen und Ökonomien ihrer Mikrolandschaften gilt dabei besondere Aufmerksamkeit. Zugleich gibt der Kulturvergleich den Blick frei für überregional und universal durch die großen Religionen hindurch verbreitete Kulturelemente (Personenkult, Trancepraktiken, religiöse Kunst, Magien, Synkretismen).
In der Zusammenschau von universalen, auch biologischen Aspekten des religiösen Handelns mit lokalen Geografien und Ökonomien entwerfe ich ein Bild von potentiell Frieden stiftenden Gemeinsamkeiten der scheinbar zum "Kampf der Kulturen" aufgestellten populären Religionen. Zugleich werden Möglichkeiten und Grenzen ihrer "kulturspezifischen" Verwertung in politischen Rhetoriken sichtbar.
Lektüreempfehlung
Hauschild, Thomas. "Christians, Jews, and the Other in German Anthropology." American Anthropologist 4 (1997): 746-753.
Hauschild, Thomas. Magie und Macht in Italien. Gifkendorf: Merlin, 2002, 2003.
Hauschild, Thomas mit Sina Kottmann und Martin Zillinger. "Les syncrétismes en Méditerranée." In Paix et guerres entre les cultures. Entre Europe et Méditerranée, herausgegeben von Emilio La Parra und Thierry Fabre, 139-174. Paris: Actes du Sud, 2005.
Hauschild, Thomas. "Beyond Politics. Ecstatic Experience, Fetishism, and the 'Clash of Civilizations' in the Mediterranean." (Manuscript beim Autor erhältlich.)
Kolloquium, 06.02.2007
Bilderkult und Trance in mediterranen popularen Religionen. Vom Kulturalismus zur Theorie der Praxis
In meinem Vortrag sind drei Themen miteinander verbunden, oder, wenn man so will, vermengt:
1. Die widersprüchliche Rolle von Politik im Rahmen der Kulturtheorie:
Kulturtheoretischer Essentialismus und Konservatismus werden als Verbindung betrachtet, auf der anderen Seite erkenne wir oft nicht, dass auch der heute sehr weit verbreitete kulturelle Relativismus eine potentiell konservative Seite hat. Sie liegt in der Vorstellung von der Einzigartigkeit einzelner Kulturen. Anstatt nach grundlegenden Faktoren zu suchen, welche menschliche Kultur hervorbringen, um von ihr umgeformt zu werden, liegt das Hauptaugenmerk vor allem in der deutschen und US-amerikanischen wissenschaftlichen Welt einseitig auf der Betrachtung einzelner Kulturen oder "Zivilisationen". Kultur als raumbezogene Variation universaler menschlicher Charakteristika zu betrachten, ist weit jenseits dieser kulturalistischen Perspektiven.
2. Mediterranismus und Dekonstruktion:
Gerade als die junge regionale Subdisziplin "Ethnologie/Anthropologie des Mittelmeerraumes" einen guten Punkt der Entwicklung erreicht hatte, Anfang der 80er Jahre, wurde sie heftig als mediterrane Illusion kritisiert. An ihre stelle traten Analysen des Verhältnisses von lokaler, nationaler und globaler Kultur sowie die für die beteiligten Kontinente zuständigen regionalen Konstruktionen: Nordafrika, Nah- und Mittelost-Forschung, Europaforschung. Erst in den letzten Jahren wurde erkannt, dass es sehr wohl mediterrane Gemeinsamkeiten liegt, die gleichwohl in einem Schema von Patchwork oder von "unity in diversity" gefasst und auf geographische Parameter, geostrategische Lagerungen und gemeinsame historische Erfahrungen bezogen werden können. Mittlerweile fordert selbst der wichtigste Protagonist der Mediterranismus-Kritik, Michael Herzfeld, dass es eine Forschung zumindest über Gemeinsamkeiten mediterraner Ideologie geben müsse.
3. Fallbeispiele zum "spatial turn" und zum mediterranen Vergleich.
Insgesamt sehe ich eine Situation der Revision, in der überschießende Essentialismuskritik wie überschießende Mediterranismuskritik maßvolleren Modellen Raum geben, die jedoch das Erbe der quellenkritischen Skepsis und der Kritik am Eurozentrismus keineswegs aufgeben sollten.
In diesem Sinne werde ich ein regionales ethnographisches Beispiel darlegen, das die materiellen Hintergründe eines erstaunlichen Falles von kultureller Kontinuität in einer mediterranen Nische beleuchtet - Kult und Magie um das Heiligtum von San Donato in Ripacandida (Basilicata, Italien). Dann werde ich die Charakteristika lokalen religiösen und magischen Handelns, die ich in meinem süditalienischen Fallbeispiel entwickelt habe, im Zusammenhang nordafrikanischer Kulte und Magien diagnostizeren - freilich in veränderten funktionalen Zusammenhängen.
Abschließend versuche ich, vorsichtige kulturtheoretische Schlussfolgerungen im Hinblick auf eine Theorie kultureller "Reserven" und auf den "spatial turn" der Kulturwissenschaften aus diesen Beobachtungen zu ziehen. Daran knüpfen sich Überlegungen zur Bewertung von Samuel Huntingtons Thesen über den "Kampf der Kulturen" an, die angesichts der erstaunlichen Gemeinsamkeiten von Religion, Magie und anhängenden Kunstformen in mediterranen Gesellschaften unhaltbar erscheinen müssen.
Literaturen:
ALBERA, DIONIGI, ANTON BLOK, AND CHRISTIAN BROMBERGER (eds.)
2001. L'anthropologie de la Méditerranée/ Anthropology of the Mediterranean. Paris: Maisonneuve et Larose, Maison méditerranéenne des sciences de l'homme.
DIR, YAMINA
2005 Bilder des Mittelmeerraumes. Phasen und Themen der Forschung seit 1945, Berlin: LIT.
HAUSCHILD, THOMAS
2002 Macht und Magie in Italien, Gifkendorf: Merlin.
HERZFELD, MICHAEL
1987. Anthropology through the looking-glass: Critical ethnography in the margins of Europe. Cambridge, Cambridgeshire; New York: Cambridge University Press.
HORDEN, PEREGRINE AND NICHOLAS PURCELL
2000. The corrupting sea. A study of Mediterranean history. Oxford; Malden, Mass.: Blackwell.
KRISS, RUDOLF, AND HUBERT KRISS-HEINRICH
1962. Volksglaube im Bereich des Islam, Band II. Amulette, Zauberformeln und Beschwörungen. Wiesbaden: Otto Harrassowitz.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Hauschild, Thomas (Frankfurt am Main, 2012)
Weihnachtsmann : die wahre Geschichte
Hauschild, Thomas (Frankfurt/Main, 2009)
Image, trance, and the other in Mediterranean folk religion
Hauschild, Thomas (Frankfurt am Main, 2008)
Ritual und Gewalt : ethnologische Studien an europäischen und mediterranen Gesellschaften
Hauschild, Thomas (London [u.a.], 2007)
Hauschild, Thomas (Chicago, 2007)
Yoga between Indo-Aryan nationalism and multisited fieldwork
Hauschild, Thomas (2007)
Hauschild, Thomas (2006)
Hauschild, Thomas (Gifkendorf, 2003)
Magie und Macht in Italien : über Frauenzauber, Kirche und Politik Merlins Bibliothek der geheimen Wissenschaften und magischen Künste ; Band 13
Hauschild, Thomas (Münster, 2002)
Inspecting Germany : internationale Deutschland-Ethnographie der Gegenwart ; [Internationale Tagung zur Kultur- und Sozialanthropologischen Deutschlandforschung] Forum europäische Ethnologie ; 1