Ulrich F. Keller, Dr. phil.
Professor der Kunstgeschichte
Georg-August-Universität Göttingen
Study Center of the University of California
Born in 1944 in Göttingen, Germany
Studied Art History, Archaeology and German Literature Studies at the Universities of Freiburg, Frankfurt, Berlin, Vienna, Florence and Munich
Schwerpunkt
ImageScience (Medien und Politik)
Arbeitsvorhaben
Die Maskierung der Präsidentschaft: die illustrierte Presse und die Transformation der amerikanischen Politik, 1840-1940
It can be shown that from the 1840s on the illustrated press caused a shift in American politics from abstract, programmatic speech/text to personalized visual performance. This was instrumental in moving the center of political power from Congress to an increasingly "imperial" presidency, masking programmatic goals, depoliticizing democracy and introducing new forms of controlling the electorate, while also opening up new approaches towards integrating the geographically, ethnically and politically quite heterogeneous country. Political scientists have identified important aspects of this process, but, together with practically all media historians, they erroneously assume that the aestheticization of American politics started only with television around 1950. My study tries to trace the impact of the picture press, which made itself strongly felt since the 1870s, at the latest, but has thus far not been subject to serious academic research. It was the picture press, which, following 100 years of rare presidentialappearances, created a grand visual stage for constant, spectacular presidential action. Around 1800 the US presidency was a legalistic and literary construct without visual component to speak of; by 1900 it had turned into a largely photographically
mediated institution of central, rather than peripheral importance for the nation. Without an iota changing in the constitution, the picture press completely reorganized the American political system.
Recommended Reading
Keller, Ulrich F. Reitermonumente absolutistischer Fürsten: staatstheoretische Voraussetzungen und politische Funktionen. Munich: Schnell und Steiner, 1971.
-. The Ultimate Spectacle: A Visual History of the Crimean War. Amsterdam: Gordon and Breach, 2001.
August Sander. Menschen des 20. Jahrhunderts. Munich: Schirmer-Mosel, 1980.
Kolloquium, 31.10.2006
Masken und Lächeln: Die Umgestaltung der amerikanischen Politik durch die Bildpresse in den Jahren 1840 - 1950
Eine Menge Belegmaterial weist daraufhin, dass das Aufkommen von bebilderten Zeitungen eine allmähliche, aber dennoch einschneidende Neuorganisation der amerikanischen Politik in Gang brachte. Es scheint, dass Zeitungsillustrationen erstens als Instrumente verwendet wurden, um das komplexe Konstrukt 'Amerika' auf neue Art vorstellbar zu machen (vgl. Anderson) und um die nationale Identität und den nationalen Konsens zu festigen; und um zweitens das bestehende politische System zur Nachahmung dieser imaginären Modelle aufzufordern, indem verfassungsrechtliche Sicherungen im Prozess über Bord geworfen wurden. Eine Folge war u. a., dass dem personengebundenen, dramatischen Auftritt durch die Bildreportage der Vortritt gegenüber der abstrakten programmatischen Rede einräumt wurde, und somit dem Präsidenten einen großen Vorteil an Öffentlichkeitswirksamkeit gegenüber dem Kongress verschaffte; dadurch wurde die von den Gründervätern gewollte Hegemonie des Kongresses zugunsten der zunehmend 'kaiserlichen' Führung durch den Präsidenten im 20. Jahrhundert abgedrängt. Und während Wahlkämpfe bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ein sehr beliebter 'Volksport' waren, bei dem man Sprechchöre anstimmte, sich zu Umzügen versammelte, Resolutionen und Ratifizierungen formulierte, trugen die bebilderten Tageszeitungen dazu bei, eine neue Herrschaft der Zeitungspublicity einzuführen, die für den Frühstückstisch bestimmt war, körperliche Anstrengung überflüssig machte, die körperliche Kontrolle des Wählers durch eine mentale ersetzte - und auf diese Weise Gleichgültigkeit produzierte und die Wahlbeteiligung in den Keller sinken ließ. Da einige Politologen (Tulis, Schlesinger, Lowi) mehrere wichtige Aspekte dieses Prozesses festgehalten haben, schlage ich hier keine monokausale Erklärung vor, mit der die gesamte politische Veränderung dem Einfluss der Bildpresse zugeschoben wird. Vielmehr vertrete ich die These, dass diese Forscher - und mit ihnen fast alle Historiker, nicht nur die der Mediengeschichte - irrtümlicherweise angenommen haben, dass die Ästhetisierung der amerikanischen Politik erst mit dem Fernsehen in den 1950er Jahren begann, also fast ein Jahrhundert nach der nachweislich ersten Liebesaffäre zwischen der Bildpresse und der amerikanischen Politik.
Eine methodische Nebenbemerkung: Kunsthistoriker wie ich und richtige Historiker oder Politologen stellen sehr verschiedene Fragen. Wenn ich die Muster der Veränderung im politischen System der USA untersuche, dringe ich auf das Territorium dieser Nachbardisziplinen ein - allerdings versuche ich, ihre Fragestellungen mit Quellen zu beantworten, die sie traditionell übergehen. Sogar Anderson, dessen Buch "Imagined Communities" ich sehr viel verdanke, definiert die Produktion von Vorstellungen überraschenderweise als Prozess, der ausschließlich von Wörterbüchern, Romanen und anderen Texten in Gang gesetzt wird. Lacans Sichtweise von der Entstehung der Ich-Identität als Prozess visuellen Vorstellens im frühkindlichen "Spiegelstadium" harrt noch der Anwendung auf die nationale Identitätsbildung: es sind Bilder, nicht Texte, die das Begehren wecken und in uns den Wunsch wachrufen, gute Amerikaner wie Hillary, Bush oder John Wayne zu werden. Für das Fernsehen wird dieser Punkt auch mehr oder weniger zugestanden. Niemand wird leugnen, dass die Fernseharchive die Hauptquelle für Zeitgeschichte sind, denn es ist die Mattscheibe, die Ereignisse und Identitäten nicht nur spiegelt, sondern vielmehr schafft. Seltsamerweise sind den unbewegten Bildern diese Macht - wenn überhaupt - nur selten zugestanden worden. Historiker verwenden sie üblicherweise dazu, erinnerte Tatsachen zu illustrieren und zu kommentieren, die sie zuvor aus sprachlichem Material ermittelt haben: Bilder werden also als historische Quellen nicht ernstgenommen, sondern dienen nur dazu, dass historische Schriftquellen nicht so leicht vergessen werden. In meiner Forschung vertrete ich die These von der historischen Wirkungsmacht von Bildern - ein Projekt, das, nebenbei bemerkt, mit dem 'iconic turn' (der Wende zum Bild) in den verschiedenen Geistes- und Sozialwissenschaften zusammenfällt.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Keller, Ulrich F. (192007)
Keller, Ulrich F. (2013)
The iconic turn in American political culture : speech performance for the gilded-age picture press
Keller, Ulrich F. (2009)
Mythologies du réel. Reportage photographique et objectivité historique
Keller, Ulrich F. ([s.l.], 2007)
The passengers : Moscow - Warsaw - Berlin - Paris - New York : Vernissage Veranstaltung des Wissenschaftskollegs
Keller, Ulrich F. (Amsterdam [u.a.], 2001)
The ultimate spectacle : a visual history of the Crimean War Documenting the image ; 7
Keller, Ulrich F. (München, 1994)
Menschen des 20. Jahrhunderts : Portraitphotographien 1892 - 1952
Keller, Ulrich F. (Santa Barbara, 1985)
The highway as habitat : a Roy Stryker documentation, 1943-1955
Keller, Ulrich F. (München [u.a.], 1971)
Reitermonumente absolutistischer Fürsten : staatstheoretische Voraussetzungen und politische Funktionen Münchner kunsthistorische Abhandlungen ; 2