Alain Montandon, Dr.
Professor der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft
Université Blaise Pascal, Clermont-Ferrand II
Geboren 1945 in Lyon, Frankreich
Studium der Philosophie an der École Normale Supérieure de Saint-Cloud und an den Universitäten von Lyon, Sorbonne, Nanterre und München
Arbeitsvorhaben
Anthropologie des Nächtlichen
Im Zentrum meines Arbeitsvorhabens steht eine Analyse der Bilder und Darstellungen von Licht und Dunkel, die sich der Mensch in seinem Bezug zur Welt und in der Bestimmung seines Daseins macht. Denn Licht und Dunkelheit geben nicht nur seiner Existenz einen Rhythmus, sondern strukturieren auch sein Denken.Diese Idee ist einerseits aus meiner Beschäftigung mit sozialen Darstellungen und Repräsentationen im Rahmen einer Soziopoetik entstanden, andererseits aus einem von mir veranstalteten Literaturseminar über die Metamorphosen der Zeit (die Jahreszeiten, Tag und Nacht etc.) und schließlich und vor allem aus einem bereits seit langem gehegten Interesse an der französischen und
deutschen Romantik.
Dieser Frageansatz verbindet sich schließlich mit meinen aktuellen Forschungsinteressen hinsichtlich der Verbindung zwischen Literatur und historischer Anthropologie.
Ich möchte zuerst über die Nacht in der deutschen Aufklärung und Romantik arbeiten. Mich interessiert, wie die Konzeption des Nächtlichen (und deren metaphysische Wurzeln) sich in literarischen Formen äußert, etwa auf der Gattungsebene, in narrativen Strukturen und auf der symbolischen Ebene. Die Betrachtung wird hier über literarische Phänomene hinausgehen und soll auch
die Malerei und die Musik einbeziehen.
Lektüreempfehlung
Montandon, Alain. Le roman aux XVIIIe siècle en Europe. Paris : Presses Universitaires de France, 1999.
-. Sociopoétique de la promenade. Clermont-Ferrand: Presses Universitaires Blaise Pascal, 2000.
-. Désirs d'hospitalité: de Homère à Kafka. Paris : Presses Universitaires de France, 2002.
Kolloquium, 13.03.2007
Metamorphosen der Nacht am Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert
"Seinen [des großen Gelehrten Mosch Terpin] Ruf begründete er zuerst dadurch, als er es nach vielen physikalischen Versuchen glücklich herausgebracht hatte, daß die Finsternis hauptsächlich von Mangel an Licht herrühre." (E.T.A. Hoffmann, Klein Zaches)
"...die unendlichen Augen, die die Nacht in uns geöffnet" (Novalis, Hymnen an die Nacht)
" Wo einer Zeit Gott, wie die Sonne, untergehet; da tritt bald darauf auch die Welt in das Dunkel. " Jean-Paul, Vorschule der Aesthetik
"Stürzen wir nicht fortwährend ? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten ? Gibt es noch ein Oben und ein Unten ? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts ? Haucht uns nicht der leere Raum an ? Ist es nicht kälter geworden ? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht ? Müssen nicht Laternen am Vormittage angezündet werden ? Hören wir noch nichts von dem Lärm der Totengräber, welche Gott begraben ?" (Friedrich Nietzsche, Der tolle Mensch, Die fröhliche Wissenschaft, drittes Buch, 125, 1881)
Im Zentrum meines Projektes einer literarischen Anthropologie des Nächtlichen steht eine Analyse der Bilder und Darstellungen von Licht und Dunkel, die den Bezug des Menschen zur Welt bilden und sein Dasein bestimmen. Denn Licht und Dunkelheit verleihen nicht nur seiner täglichen Existenz einen Rhythmus, sondern strukturieren auch sein Denken.
Das Ende des achtzehnten Jahrhunderts und der Anfang des neunzehnten Jahrhunderts stellen in Europa in dieser Hinsicht eine grundsätzliche und entscheidende Wende dar. Wo die vorigen Jahrhunderte immer mehr nach einer besseren Beleuchtung strebten (die Aufklärung gibt ein "evidentes" Beispiel davon), werden die Jahre um 1780 den Anfang erheblicher Fortschritte in den Beleuchtungstechniken erleben. Diese Änderungen haben beträchtliche Folgen für die Geschichte der Empfindungen (histoire des sensibilités), wobei die Literatur sie nicht nur beschreibt, sondern auch zur ihrer Bildung beiträgt.
Wenn seit der Antike die Nacht der Zeitpunkt von Ängsten und Schrecken war, die allmählich im 18. Jahrhundert verdrängt wurden, wird sie in Europa und besonders in Deutschland der Höhepunkt einer Poetik, deren theoretische und ästhetische Aspekte charakteristisch für die Modernität sind. Die Gründe, warum das Dunkel als solches erst am Ende des 18. Jahrhunderts zum Gegenstand künstlerischer Darstellung werden konnte und nicht nur als die andere, defiziente Seite des hellen Tages, als Abwesenheit oder Mangel von irdischem oder göttlichem Licht behandelt wurde, liegen weitgehend in den beleuchtungstechnisch bedingten Veränderungen der Nacht und dem damit einhergehenden Wandel in der Auffassung und Empfindung des nächtlichen Geschehens begründet. Die Naturphilosophie eines Schelling sowie die verschiedenen Nachtseiten der Naturwissenschaften schaffen philosophisch und "wissenschaftlich" eine neue Beziehung zur Natur. Die Entdeckung und Erfindung des Unbewussten sind zeitgleich mit einer Krise der Subjektivität, deren literarische Erscheinungen mannigfaltig und reich sind. Unter anderem taucht eine neue literarische Gattung auf, das "Nachtstück". Ich werde als Beispiel ein spezifisches Werk wählen, die Nachtwachen von Bonaventura (die Identität des anonymen Autors bleibt ein großes Geheimnis der deutschen Literatur), um diese besondere Art des Schreibens näher zu analysieren: durch eine Häufung von Kunstgriffen wird eine existentielle Verwirrung aufgezeigt, die dem Undarstellbaren einen Namen geben.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Montandon, Alain (Clermont-Ferrand, 2010)
Les yeux de la nuit : essai sur le romantisme allemand Révolutions et romantismes ; 15
Montandon, Alain (Paris, 2010)
La cuisine de Théophile Gautier
Montandon, Alain (2009)
Flâneries aux lumières de la ville
Montandon, Alain (Paris, 2009)
Montandon, Alain (Baltimore, Md., 2007)
[Rezension von: Gramigna, Valeria, Dans l'encre da la danse]
Montandon, Alain (Baltimore, Md., 2007)
Montandon, Alain (Paris, 2006)
Littérature et anthropologie Poétiques comparatistes
Montandon, Alain (Berlin, 2006)
Der Kuß : eine kleine Kulturgeschichte Le baiser <dt.>
Montandon, Alain (Clermont-Ferrand, 2004)
Le dire de l'hospitalité Littératures.