Frank Rösler, Dr. phil.
Professor für Allgemeine und Biologische Psychologie
Philipps-Universität Marburg
Geboren 1945 in Dresden
Studium der Psychologie an der Universität Hamburg
Arbeitsvorhaben
Handlungskontrolle und Entscheidungsfindung: Immanente Eigenschaften des Nervensystems
Phänomene der Handlungssteuerung und Entscheidungsfindung werden in der Experimentellen Psychologie und den Neurowissenschaften unter dem Begriff "Exekutiver Funktionen" abgehandelt. Dazu gehören z. B. Aufmerksamkeitswechsel,Informationsselektion, Wechsel zwischen Aufgaben, Unterbrechung von Handlungen usw. Übereinstimmend hat sich dabei mit unterschiedlichen Methoden gezeigt, dass Strukturen des präfrontalen Kortex, des Cingulums und des parietalen Kortex für Regulationsprozesse der Aufmerksamkeit oder der exekutiven Kontrolle essentiell sind. Unklar ist, wie diese Strukturen derar-
tige Prozesse leisten, welche Funktions- und Verschaltungsprinzipien gelten, so dass eine relative Akzentuierung oder Abschwächung kortikaler Aktivierungsmuster resultiert.
Ziel der Arbeit am Wissenschaftskolleg soll es sein, die verschiedenen Forschungsstränge zu sog. exekutiven Funktionen zusammenzuführen, also experimentalpsychologische Paradigmen und Befunde, neurowissenschaftliche Untersuchungsmethoden und Befunde, sowie Simulationsansätze. Hierzu ist es erforderlich, dass zunächst für jeden der drei Teilbereiche die Literatur aufgearbeitet und dokumentiert wird. Aufbauend auf dieser Grundlage soll dann versucht werden, die Befunde zu integrieren, so dass als Ergebnis eine neurowissenschaftliche Theorie sog. exekutiver Funktionen verfügbar wird. Die Frage, die mit Hilfe einer Monographie beantwortet werden soll, ist also, ob sich Phänomene der Handlungs- und Willensfreiheit ohne Rückgriff auf einen
Homunculus aus Befunden der experimentellen Psychologie, der Neurowissenschaften und der Simulationsforschung ableiten lassen.
Lektüreempfehlung
Rösler, F. und M. Heil. "The principle of code-specific memory representations." In Principles of Learning and Memory, herausgegeben von R. H. Kluwe, G. Lüer und F. Rösler, 71-92. Basel et al.: Birkhäuser, 2003.
Rösler, F. "Einige Gedanken zum Problem der 'Entscheidungsfindung' in Nervensystemen." In Zur Freiheit des Willens, herausgegeben von der Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, 23-34. Berlin: Akademie
Verlag, 2004.
Rösler, F. "Neurowissenschaftliche Theorien." In Psychologie: Ein Handbuch, herausgegeben von K. Pawlik. Heidelberg: Springer, 2006.
Komplette Publikationsliste unter http://staff-www.uni-marburg.de/_roesler/Publ.html
Kolloquium, 05.12.2006
Auswahl und Entscheidung - Grundlegende Eigenschaften des Nervensystems?
Eine Entscheidung treffen heißt, dass man aus mindestens zwei Handlungsalternativen diejenige auswählt, die unter den gegebenen Randbedingungen den optimalen Erfolg verspricht. Entscheiden heißt also Auswählen und zugleich Optimieren, wobei das Ergebnis ungewiss ist. Denn ob die gewählte Alternative den erwarteten Erfolg bringt oder nicht, zeigt sich - wenn überhaupt - erst nach der Entscheidung. Vor der Entscheidung müssen mögliche Ergebnisse zunächst auf der Basis bisheriger Erfahrungen antizipiert, erwartete Gewinne und Verluste abgewogen und Wahrscheinlichkeiten geschätzt werden. Nach der Entscheidung, wenn Abweichungen zwischen vorhergesagtem und dem tatsächlich eingetretenen Ergebnis registriert wurden, lassen sich diese Vorhersagefehler zur Adjustierung der Erwartungen und des zukünftiges Verhaltens nutzen.
Entscheidungsverhalten und die darin "versteckten" Prozesse - Selektion, Optimierung, Adjustierung - können auf unterschiedliche Weise untersucht werden. Eine lange Tradition haben sog. "black-box" Modelle, die einen mathematisch-funktionalen Zusammenhang zwischen Input (momentane Gegebenheiten) und Output (Wahlverhalten) formulieren. Dazu gehören z.B. die normative Nutzentheorie in der Ökonomie oder Beutefangmodelle in der Biologie. Einen weitergehenden Anspruch haben die sog. "glass-box" Modelle der Kognitionspsychologie. Sie wollen nicht nur eine erschöpfende Beschreibung der Input-Output Relationen leisten, sondern darüber hinaus auch erklären, wie es zur Umsetzung von Input zu Output kommt, d.h. welche intervenierenden Prozesse stattfinden, wann, wie und in welcher Reihenfolge diese miteinander interagieren (Beispiel: Prospect Theory). Noch einen Schritt weiter gehen Modelle der Kognitiven Neurowissenschaften. Sie wollen die intervenierenden Prozesse biologisch realistisch erklären, d.h. zeigen, wie und wo solche Prozesse in einem Nervensystem realisiert sind.
In meinem Beitrag möchte ich neurowissenschaftliche Ansätze zur Erforschung des Entscheidungsverhaltens vorstellen. Am Beispiel des Phänomens der Selektion werde ich zunächst erläutern, dass es prinzipiell möglich ist, Systeme aus erregenden und hemmenden Neuronen(-populationen) aufzubauen, die zwischen unterschiedlichen Alternativen auswählen. Diese Überlegungen zeigen, dass dabei ein hierarchischer Aufbau mit zentralen Schaltelementen wahrscheinlich ist, wobei die Gesamtleistung der Selektion aber nie von einem, z.B. den zentralen Elementen allein geleistet werden kann, sondern immer nur in der Interaktion mit anderen Elementen (Prinzip der verteilten Funktionsrepräsentation). An einem experimentellen Befund soll dann exemplarisch erläutert werden, dass es Strukturen im Nervensystem gibt, die genau solche Eigenschaften besitzen. Anhand weiterer experimenteller Befunde möchte ich schließlich zeigen, dass auch sehr komplexe intervenierende Variablen wie subjektive Erwartungen über Gewinne und Verluste, subjektive Wahrscheinlichkeiten, oder Vorhersagfehler biologische Korrelate haben, d.h. als Erregungszustände des Nervensystems zeitlich und räumlich eingegrenzt werden können.
Abschließend möchte ich kurz auf erkenntnistheoretische Implikationen solcher Befunde eingehen. Es handelt sich um allgemeine Funktionsprinzipen im Sinne nomothetischer Aussagen. Gegen eine unmittelbare Übertragung auf eine idiographische Ebene, also z.B. eine erschöpfende "mechanistische" Erklärung individueller Entscheidungen, sprechen grundsätzlicher Erkenntnisgrenzen. Individuelle Entscheidungen werden sich daher vermutlich immer nur im Rahmen probabilistischer Modelle vorhersagen lassen.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Rösler, Frank (Berlin, Heidelberg, 2011)
Our selections and decisions : inherent features of the nervous system?
Rösler, Frank (Heidelberg, 2011)
Psychophysiologie der Kognition : eine Einführung in die Kognitive Neurowissenschaft
Rösler, Frank (Oxford [u.a.], 2009)
Neuroimaging of human memory : linking cognitive processes to neural systems
Rösler, Frank (2008)
Neurone vergeistigen : Geist und Gehirn im Gespräch
Rösler, Frank (Cambridge [u.a.], 2006)
Lifespan development and the brain : the perspective of biocultural co-constructivism
Rösler, Frank (2004)
Einige Gedanken zum Problem der "Entscheidungsfindung" in Nervensystemen
Rösler, Frank (2003)
Auf der Suche nach dem Engramm : wie und wo speichert das Gehirn Informationen?
Rösler, Frank (Basel, 2003)
Principles of learning and memory
Rösler, Frank (Göttingen [u.a.], 2001)
Enzyklopädie der Psychologie ; 1 ; Grundlagen und Methoden der Psychophysiologie Enzyklopädie der Psychologie ; 4.
Rösler, Frank (Göttingen [u.a.], 1998)
Enzyklopädie der Psychologie ; 2 ; Ergebnisse und Anwendungen der Psychophysiologie Enzyklopädie der Psychologie ; 5.