Valeska von Rosen, Dr. phil.
Professorin der Kunstgeschichte
Ruhr-Universität Bochum
Geboren 1968 in Berlin
Studium der Kunstgeschichte, Klassischen Archäologie und Ägyptologie an der Freien Universität Berlin und an der Ludwig-Maximilians-Universität München
Schwerpunkt
ImageScience (Medien und Politik)
Arbeitsvorhaben
Caravaggio und die Grenzen des Darstellbaren: Ambiguität, Ironie und Performativität in der Malerei um 1600
Caravaggios Gemälde verfügen über ein hohes Maß an Irritierendem, Uneindeutigem und Provokantem. Kaum etwas an ihnen entspricht dem, was seine Zeitgenossen zu sehen gewohnt waren; die stilistische Behandlung und die Setzung der Figuren in artifiziell verdunkelte Bildräume ist ungewöhnlich. Caravaggio erzählt die biblischen Sujets anders als seine Kollegen und negiertdie Bildtraditionen; er erfindet neue Gattungen und unterläuft dabei Darstellungsnormen und -konventionen - kurz: Seine Werke weichen in hohem Maße von den tradierten visuellen Mustern ab und zeichnen sich durch eine alle Ebenen der Gestaltung betreffende kalkulierte Alterität und Unkonventionalität aus. Mehrere über das Gebiet der italienischen Barockmalerei hinausgehende und auch methodisch relevante Fragen werden hierdurch aufgeworfen, hält man sich vor Augen, dass in Rom um 1600 in zuvor nicht gekannter Weise die religiöse Bildsprache normiert und auf die Ideale der katholischen Reform ausgerichtet werden sollte. Die verschiedenen Fragen - nach der Erklärbarkeit offenkundig kalkuliert und systematisch betriebener Verstöße gegen tradierte Bildkonventionen und Regeln, nach den Ursachen und Verlaufsformen des Wandels in der Kunst einschließlich der Entstehung völlig neuer Bildgattungen und -aufgaben - lassen sich miteinander verknüpfen, stellt man sie in eine
epistemologische Perspektive, in der das Thema der Darstellbarkeit mit Strukturen des Wandels verknüpft ist.
Lektüreempfehlung
Rosen, Valeska von. Mimesis und Selbstbezüglichkeit in Werken Tizians: Studien zum venezianischen Malereidiskurs. Berlin und Emsdetten: Ed. Imorde, 2001.
Rosen, Valeska von, Klaus Krüger und Rudolf Preimesberger, Hrsg. Der stumme Diskurs der Bilder: Reflexionsformen des Ästhetischen in der Kunst der Frühen Neuzeit. München und Berlin: Deutscher Kunstverlag, 2003.
Rosen, Valeska von. "Bedeutungsspiele in Caravaggios Darstellungen Johannes' des Täufers." Kunsthistorische Arbeitsblätter 7/8 (2003): 59-72.
Kolloquium, 19.12.2006
Caravaggio und die Grenzen des "Darstellbaren"
Daß die Werke von Michelangelo Merisi da Caravaggio (1571- 1610) über ein hohes Maß an Irritierendem, gewollt Uneindeutigem und Provokantem verfügen, ist keine neue Beobachtung; bereits die zeitgenössische Kunstkritik hob die novità und Alterität seiner Bildsprache hervor. Was hingegen schwieriger zu beantworten ist, ist die Frage nach der Erklärbarkeit seiner Vorgehensweise, seitdem das in der Genie- und Ausdrucksästhetik der Romantik und Moderne verankerte Denkmuster einer Interdependenz von Leben und Werk - dem zufolge Caravaggio unkonventionell gearbeitet habe, weil er so veranlagt gewesen sei und auch so gelebt habe - seine methodische Plausibilität eingebüßt hat. Diese Frage bildet den Rahmen meines Vortrags, und sie soll zu der nach der Erklärbarkeit von Normentransgression in einem auf Regeln beruhenden künstlerischen System wie dem rhetorischen der Frühen Neuzeit generell führen ("Rhetorik" im Sinne einer verbindlichen Produktionswissenschaft). Dabei zeichnet sich im Hinblick auf die Forschung der vergangenen Jahrzehnte ab, daß die hierfür notwendige historische Kontextualisierung und Diskursivierung der Werke nicht mehr vorrangig textgestützt zu leisten ist, gibt es doch kaum eine Bemerkung in der Kunsttheorie des 17. Jahrhunderts über Caravaggio, die nicht bereits intensiv ausgedeutet wurde. Ich möchte zeigen, daß für die Beantwortung der Frage, wie die Zeitgenossen Caravaggios Bilder konkret wahrnahmen und wie diese in ihren jeweiligen Kontexten funktionierten, die Rekonstruktion eines bildgestützen Diskurses höheres heuristisches Potential birgt. Dabei stütze mich mit den Werken der sog. "Caravaggisten" auf eine extrem reiche Bildproduktion, deren Eigenschaft, sich mitunter sehr konkret und signifikant zu Caravaggios Gemälden zu verhalten, noch viel zu geringe Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Folgende Phänomene und ihre Folgen für den Status der Werke und ihre Rezeptionsbedingungen werden im Zentrum meines Vortrags stehen:
- Die "Ambiguität" (zwischen einem profanen und einem sakralen Sujet) durch die gezielte Reduzierung der Bezeichnungsfaktoren in den Gemälden.
- Die "Performativität" der Bilder durch das "Mitsprechen" der Modelle im Bild, die hierdurch quasi ihr eigenes Verfertigtsein herausstellen.
- Die Verstöße gegen das decorum der Figur, z. B. durch "Laszivität".
- Die Ironisierung von Normen und Regeln wie etwa der imitatio naturae oder der imitatio artis.