Ruth Leys, Ph.D.
Professorin der Geschichte und Geisteswissenschaften, Direktorin des Humanities Center
Johns Hopkins University, Baltimore
Born in 1939 in Inverness, Scotland
Studied Physiology and Psychology at Somerville College, Oxford University and History of Science at Harvard University
Arbeitsvorhaben
Die Wissenschaft der Emotionen: Forschungsgeschichte von 1960 bis zur Gegenwart
A history of research on the emotions from the 1960s to the present, focusing on the debate between those who support a "cognitivist" approach, according to which the affects are intentional or "object-directed" and depend on cognitive appraisals of the world, and those who advocate an "anti-cognitivist" or "affect program" approach, according to which the emotions are hard-wired, reflex-like, species-typical genetic programs, behaviors, and physiological reactions.Recommended Reading
Leys, Ruth. Defining American Psychology: The Correspondence Between Adolf Meyer and Edward Bradford Titchener. Baltimore: Johns Hopkins Press, 1990.
Leys, Ruth. Trauma: A Genealogy. Chicago, Ill.: Chicago University Press, 2000.
Leys, Ruth. From Guilt to Shame: Auschwitz and After. Princeton, N. J.: Princeton University Press, forthcoming Fall 2007.
Kolloquium, 03.06.2008
Was kann man in Gesichtern eigentlich lesen? Unterwegs zu einer Geschichte der Erforschung von Emotionen
In meinem letzten Buch "From Guilt to Shame: Auschwitz and After" (Princeton Press, 2007) habe ich die Veränderungen in den Auffassungen von Schuld und Scham der Überlebenden in den USA seit der Zeit nach den Zweiten Weltkrieg bis in die Gegenwart analysiert. Im Verlauf meiner Forschungen musste ich mich unweigerlich mit der Frage befassen, wie Emotionen im Allgemeinen begrifflich gefasst und untersucht wurden. Mir wurde bewusst, dass zwei verschiedene Paradigmen des Emotionsbegriffs um Aufmerksamkeit und Erfolg konkurriert hatten. In einem Paradigma wurde angenommen, Emotionen seien mit kognitiven oder intentionalen Prozessen dergestalt verbunden, dass sie sich auf die Objekte beziehen, auf die die Emotionen gerichtet sind, und dass diese von kognitiven Bewertungen der Welt abhängen. Im anderen Paradigma wird angenommen, dass die Emotionen nicht-kognitive und nicht-intentionale Prozesse seien, die als Ensemble eigenständiger, ererbter, reflexartiger Programme, Verhaltensmuster und physiologischer Reaktionen definiert werden können.
In den letzten, etwas mehr als zwanzig Jahren hat das nicht-intentionalistische Paradigma das intentionalistische abgelöst, da es sich nicht nur für Naturwissenschaftler, sondern jüngst auch für Geisteswissenschaftler und Kulturtheoretiker als attraktiver erwies. Doch steht das nicht-intentionalistische Paradigma auf einem sicheren Fundament? Insbesondere lässt sich fragen, wie stichhaltig die Argumente sind, die zu seiner Stützung angeführt wurden. Je mehr ich mich mit diesen Fragen befasste, desto mehr wuchs mein Verdacht, dass einige der entscheidenden Forschungen, von denen der Erfolg des nicht-intentionalistischen Paradigmas wesentlich abhing, bestenfalls problematisch und schlimmstenfalls wirklich ungenügend waren. Daher war ich begeistert und in gewisser Weise auch erleichtert, als ich herausfand, dass es in der Emotionsforschung eine Gruppe von Naturwissenschaftlern gab, die nicht nur skeptische Fragen wie ich stellten, sondern vor kurzem Theorie- und Forschungsarbeiten verfasst hatten, die auf eine grundlegende Infragestellung des nicht-intentionalistischen Paradigmas hinausliefen. Gleichzeitig wurde mir klar, dass die Gegner des nicht-intentionalistischen Paradigmas erhebliche Schwierigkeiten dabei haben, ihre eigene Auffassung als Grundlage eines Forschungsprogramms zu etablieren.
Ich bin jetzt gerade dabei, eine Geschichte der Emotionsforschung in den USA (und bis zum gewissen Grad auch in Europa) von den 1960ern bis heute zu schreiben. In meinem Kolloquium möchte ich über einen kleinen Ausschnitt meiner Arbeit zu diesem Thema sprechen, mit dem ich mich hier am Wissenschaftskolleg befasst habe. Insbesondere möchte ich die Rolle kritisch beleuchten, die experimentelle Studien des Gesichtsausdrucks bei dem Versuch gespielt haben, ein nicht-intentionalistische (Natur)Wissenschaft der Affekte zu etablieren.