Raphael Rosenberg, Dr. phil.
Professor für Neuere und Neueste Kunstgeschichte
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Geboren 1962 in Mailand
Studium der Kunstgeschichte, Klassischen Archäologie und Ägyptologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und an der Universität Basel
Arbeitsvorhaben
Bildbetrachtung und Blickbewegungen: Geschichtliche und systematische Erforschung einer Psychophysiologie der ästhetischen Erfahrung
Seit Jahrhunderten wird bei der Beschreibung von Kunstwerken reflektiert, wie sich das Auge eines Betrachters verhält bzw. verhalten sollte. Besonders verbreitet war die Vorstellung von fließend und regelmäßig verlaufenden Blickbewegungen. Obwohl diese Idee seit der Entdeckung der anatomisch notwendigen "Sakkade" (sprunghafte Dynamik des Auges) im späten 19. Jahrhundert als irreführend gelten kann, wird sie in der Kunstliteratur teils bis heute weiter verwendet. Das Projekt verfolgt zwei sich gegenseitig bedingende Perspektiven:1. Historischer Ansatz: Zuerst möchte ich untersuchen, seit wann, wie und warum die Bewegungen des Auges zur Beschreibung von Gemälden und zur Begründung kunsttheoretischer Aussagen verwendet wurden. Inwiefern dienen physiologische "Metaphern" als Ersatz für technische Begriffe, wie z. B. den der "Komposition"? Welche wahrnehmungspsychologischen Modelle haben seit dem 17. Jahrhundert die Kunstliteratur geprägt? Die Bestände der Berliner Bibliotheken liefern die Grundlage dieser Studie.
2. Systematischer Ansatz: Gemeinsam mit Kollegen aus der Psychologie und Neurologie untersuche ich psychophysiologische Prozesse, die sich im Verlauf der Betrachtung von Gemälden abspielen, um physiologische Korrelate der "ästhetischen Erfahrung" zu bestimmen. Der Aufenthalt am Wissenschaftskolleg soll dazu dienen, die in den Laboren (Heidelberg und Bangor) gewonnenen Daten auszuwerten und eine Publikation vorzubereiten.
Lektüreempfehlung
Rosenberg, Raphael. "Von der Ekphrasis zur wissenschaftlichen Bildbeschreibung: Vasari, Agucchi, Félibien, Burckhardt." Zeitschrift für Kunstgeschichte 58 (1995): 297-318.
Rosenberg, Raphael. Beschreibungen und Nachzeichnungen der Skulpturen Michelangelos: Eine Geschichte der Kunstbetrachtung. München: Deutscher Kunstverlag, 2000.
Rosenberg, Raphael. Turner, Hugo, Moreau: Entdeckung der Abstraktion. Katalog einer Ausstellung in der Schirn Kunsthalle Frankfurt, 5.10.2007-6.1.2008. München: Hirmer, 2007.
Kolloquium, 08.04.2008
Wie bewegen sich unsere Augen, wenn wir Gemälde betrachten?
Bereits in der Antike wird bei der Beschreibung von Kunstwerken reflektiert, wie sich das Auge eines Betrachters bewegt bzw. bewegen sollte. Mein Vortrag stellt vorläufige Ergebnisse einer Studie vor und ist, wie diese auch, zweigeteilt:
1. Zuerst untersuche ich die Beschreibungen von Kunstwerken. Ich frage seit wann, wie und warum die Bewegungen des Auges in der Kunstliteratur thematisiert wurden. Ich zeige, dass von den 1660er Jahren bis heute langsame Bewegungen des Auges im Wesentlichen deshalb beschrieben werden, um Strukturen von Bildern - deren "Komposition" - zu erklären, und dass Zuspitzungen dieses Modells die Kunstgeschichte von Diderot (1767) bis heute nachhaltig geprägt haben.
Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert haben Augenärzte beschrieben, dass das menschliche Auge ruhende Gegenstände nur durch Fixationen wahrnehmen kann und in jeder Sekunde etwa drei schnelle Sprünge (Sakkaden) von Fixation zu Fixation vollzieht. Sie widerlegten damit auf der physiologischen Ebene die Beschreibungen der Kunsthistoriker, welche sich dennoch nicht von ihren Beschreibungsmustern gelöst haben.
2. Im zweiten Teil stelle ich erste statistische Auswertungen einer empirischen Studie vor: Wir haben an Hand eines Eye-trackers das Blickbewegungsverhalten von Versuchspersonen untersucht, die über 15 Minuten hinweg Gemälde betrachten. Zwar lässt sich auf dem ersten Blick keine systematische Abfolge von Fixationen im Sinne kunsthistorischer Beschreibungen ausmachen, wertet man jedoch die häufig wiederholten Sakkaden aus, wird deutlich, dass wir Gemälde sehr wohl mit den Augen strukturieren.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Rosenberg, Raphael (Oxford [u.a.], 2015)
The moving eye of the beholder : eye tracking and the perception of paintings
Rosenberg, Raphael (Stuttgart, Weimar, 2014)
Rosenberg, Raphael (2014)
Blicke messen : Vorschläge für eine empirische Bildwissenschaft
Rosenberg, Raphael (Frankfurt, M., 2010)
Rosenberg, Raphael (2007)
Inwiefern Ekphrasis keine Bildbeschreibung ist : zur Geschichte eines missbrauchten Begriffs
Rosenberg, Raphael (Frankfurt, 2007)
Turner - Hugo - Moreau : Entdeckung der Abstraktion ; [anlässlich der Ausstellung "Turner - Hugo - Moreau : Entdeckung der Abstraktion", Schirn Kunsthalle Frankfurt, 6. Oktober 2007 - 6. Januar 2008] Entdeckung der Abstraktion
Rosenberg, Raphael (2006)
Ikonik und Geschichte: zur Frage der historischen Angemessenheit von Max Imdahls Kunstbetrachtung
Rosenberg, Raphael (2006)
Artists as beholders : drawings after sculptures as a medium and source for the experience of art
Rosenberg, Raphael (Roma, 2004)
Rosenberg, Raphael (2004)
Der Fleck zwischen Komposition und Zufall : informelle Ansätze in der frühen Neuzeit