Rafael E. Núñez, Ph.D.
Professor der Kognitionswissenschaft
University of California, San Diego
Born in 1960 in Santiago, Chile
Studied Psychology, Mathematics, and Cognitive Science at the Pontifical Catholic University of Chile, the University of Fribourg, Switzerland, the University of California, Berkeley, and Stanford University
Schwerpunkt
Understanding the Brain - An Attempt to Unify Language Production, Reasoning and Motor Control
Arbeitsvorhaben
Die biologische Natur menschlicher Abstraktion und konzeptioneller Systeme: Mathematik und räumliche Zeitvorstellung
I intend to work on the development of an encompassing theoretical understanding of my relatively recent work on human abstraction that covers mathematical concepts, everyday construals of temporal notions, and the experimental investigation of the neural basis of these mechanisms. The methods used in these studies range from ethnographic observations (e. g., my investigation of spatial construals of time in the Aymara of the Andes), co-speech gesture production in real time, psycholinguistic experiments, eye-tracking, cognitive linguistic modeling, and neuro-imaging (fMRI). Because of the variety and heterogeneity of these methodological approaches, a meta-theoretical analysis is needed. My project is oriented toward addressing this problem in collaboration with my colleagues at the Wissenschaftskolleg.Recommended Reading
Núñez, R. and E. Sweetser. 2006. "With the future behind them: Convergent evidence from Aymara language and gesture in the crosslinguistic comparison of spatial construals of time." Cognitive Science 30: 401-450.
Lakoff, G. and R. Núñez. 2000. Where mathematics comes from: how the embodied mind brings mathematics into being. New York: Basic Books.
[Top 10 bestselling book in the USA, February 2001]
Núñez, R. and W. Freeman, eds. 1999. Reclaiming cognition: the primacy of action, intention, and emotion. Thorverton, UK: Imprint Academic.
Kolloquium, 23.06.2009
Wodurch wird Mathematik ermöglicht? Überlegungen zum Gehirn, zu Metaphern und menschlicher Vorstellungskraft
Das Menschentier ist das phantasievollste Lebewesen, das wir kennen. Es hat nicht nur Literatur, Musik, Religion und Philosophie geschaffen, sondern auch die Mathematik, ein Be-griffssystem, das im Wesentlichen abstrakt, stabil und außerordentlich robust ist. Ein solches System bildet nichts Geringeres als das Fundament der Naturwissenschaften. Die Mathematik - viele betrachten sie als die "Königin der Wissenschaften" - ist ein einzigartiger Wissenskorpus. Erstens sind die Entitäten, die diesen Bereich konstituieren, bereits idealisierte mentale Abstraktionen, die sich der direkten sinnlichen Wahrnehmung entziehen. So hat etwa ein euklidischer Punkt keine Ausdehnung, ist dimensionslos und kann nicht wahrgenommen werden. Dennoch bildet er einen Baustein für das gesamte (und imaginäre) Gebäude der euklidischen Geometrie. Zweitens ist die Mathematik auch ein seltsames, der Intutition widersprechendes Begriffsystem, das oft wenig einsichtige, ausgedachte Tatsachen enthält; diese werden als Dogmen gelehrt und bleiben in der Regel unerklärt. Haben Sie z. B. mal darüber nachgedacht, warum die Multiplikation zweier negativer Zahlen ein positives Resultat ergibt? (Hat Ihnen irgendjemand irgendwann einmal erklärt, warum und in welchem Sinn das eine wahre Tatsache ist?) Die Mathematik ist voll von diesen rein imaginativen (und offenkundig willkürlichen) "Wahrheiten", die für die Stabilität und Stimmigkeit der gesamten Begriffsstruktur sorgen.
Was für ein Ding ist die Mathematik also eigentlich? In der akademischen Welt geht man dieser Frage üblicherweise in der formalen Logik, der Philosophie und der Mathematikgeschichte nach. Und das ganze Unternehmen hat entweder einen platonischen Beigeschmack; hier betrachtet man mathematische Entitäten als zeitlose, ewige Fakten, die unabhängig vom Menschen existieren. Oder man geht in die formalistische Richtung, bei der die Mathematik auf die Manipulation sinnloser Symbole reduziert wird. In diesem Vortrag möchte ich an diese Frage mit einem naturalistischen Ansatz heran gehen, der den biologischen und soziokulturellen Beschränkungen Rechnung trägt, innerhalb derer sich der menschliche Geist entfaltet. Ich möchte zeigen, (1) dass das Begriffssystem, das wir Mathematik nennen, auch in seiner rudimentärsten Form (etwa der einfachsten Zahlen wie "1", "2", "3") keinesfalls genetisch bestimmt ist; (2) dass seine Entstehung durch den besonderen Gebrauch von kognitiven Sinnstiftungsmechanismen für die Vorstellungskraft ermöglicht wird, wie z. B. von Metaphern und Metonymien. Zudem möchte ich zeigen, dass (3) mathematische Wahrheit und Objektivität aus dem kollektiven Gebrauch dieser Mechanismen entstehen und dass (4) es Bereiche geben kann, die in sich konsistent, aber untereinander inkonsistent sind. Diese Eigenschaften sind nicht nur der Mathematik eigen, sondern es gibt sie auch in alltäglichen abstrakten Be-griffssystemen. Diese Punkte möchte ich mit Beobachtungen aus der Empirie in verschiedenen Gebieten erläutern, etwa der kognitiven Linguistik, den neurowissenschaftlichen Bildgebungsverfahren, Untersuchungen von Körpersprache, mathematischer Bildung, kognitiver Archäologie, der Geschichte der Mathematik und meinen anthropologischen Untersuchungen der räumlichen Konstrukte von Zeit in der Aymara-Kultur im Hochland der Anden. Ich verteidige die Vorstellung, dass alltägliche Begriffssysteme in den Gemeinschaften, die diese verwenden, biologisch bedingte und sozial vermittelte Grundformen von "Wahrheit" und "Objektivität" haben. Diese Eigenschaften der gewöhnlichen menschlichen Vorstellungskraft dienen als Grundlage für die Entwicklung komplexerer und verfeinerter Abstraktionsarten, die ihre sublimsten Formen in der Mathematik finden.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Núñez, Rafael E. (Thousand Oaks, Calif. [u.a.], 2011)
No innate number line in the human brain
Núñez, Rafael E. (2006)
Núñez, Rafael E. (New York, NY, 2000)
Where mathematics comes from : how the embodied mind brings mathematics into being