Ulrich Haltern, Dr. iur., LL.M. (Yale)
Professor für Öffentliches Recht, Europäisches Recht und Rechtsphilosophie
Leibniz Universität Hannover
Born in 1967 in Bochum
Studied Law at the universities of Bochum and Geneva, Yale and Harvard Law School
Arbeitsvorhaben
Völkerrecht und Gewalt
My starting point is that the nomos of international law seems fundamentally out of sync with the narrative of the modern nation-state. While international law expands and proliferates, so does violence. Much of this gets buried under utopian narratives of political and moral progress on the one hand, and an impoverished intellectual discourse shorn of context and history on the other; both attach themselves to international law. I am therefore interested in the symbolic forms of the political and of the law that make such a thing possible.In my inquiry, I will try to continue my research in "law in context" and connect it to my "cultural study of law". Since the law is, of course, not just a bunch of rules but a whole set of beliefs, I will focus on the "social imaginaries" surrounding and informing the law. That kind of study requires much transdisciplinary awareness-?obviously, it will be a major challenge to integrate arguments from such diverse backgrounds as political theory, history of ideas, philosophy, theology, art history etc. Most likely it will also be a major disaster. I will try and avoid the worst by using insights from methodological schools like the New Haven Approach, the histoire croisée school of comparative history, and the genealogical approach of cultural studies.
Recommended Reading
Haltern, Ulrich. Obamas politischer Körper. Berlin: Berlin University Press, 2009.
- Was bedeutet Souveränität? Tübingen: Mohr Siebeck, 2007.
- Europarecht und das Politische. Tübingen: Mohr Siebeck, 2005.
Kolloquium, 02.07.2013
"...aber die größte unter ihnen ist die Liebe" Recht im Kontext von Liebe
Recht ist mehr als nur eine Ansammlung von Normen: Recht ist eine soziale Praxis, eine Art, die Welt zu bewohnen. Im Recht und unter dem Recht zu leben bedeutet, ein bestimmtes Glaubenssystem über das Selbst und die Gemeinschaft, Zeit und Raum, Herrschaft und Repräsentation zu besitzen.
Traditionelle Rechtswissenschaft hat große Schwierigkeiten, dies zu begreifen. Die vielleicht beste Kritik juristischer dogmatischer Wissenschaft - der Rechtsrealismus und seine Erben, die kritische Rechtsforschung, die Recht und Rasse-Forschung, die feministische Rechtswissenschaft und vor allem die ökonomische Analyse des Rechts - haben die große Schwäche, dass sie die Wahrheit des Rechts in außerrechtlichen Phänomenen lokalisieren. Wenn wir dem Recht nur durch Macht und Interessen auf die Spur kommen, ist Recht rein instrumentell und rutscht vom Schirm der Beobachtung.
Aber das Recht hat aus sich heraus viel zu bieten, wenn man sich ihm als Teil einer Glaubensstruktur nähert, durch die die Mitglieder einer politischen Gemeinschaft sich begreifen. Sich der Untersuchung dieser Struktur anzunehmen bedeutet, sich von der Theorie ab- und der sozialen Imagination zuzuwenden.
Begibt man sich auf diesen Weg, steht man vor einer imaginativen Struktur, die Repräsentationen und Identität zusammenbindet. Recht wird als Spur sichtbar, die der Volkssouverän hinterlassen hat, als er - etwa in Revolutionen oder Verfassungskonventen - Präsenz zeigte. Diese Präsenz ist kein historisches Faktum, sondern eine Imagination, deren biblische Herkunft unübersehbar ist. Wir schauen durch den Text hindurch auf seinen Autor. In der Religion wissen wir, dass die Bibel ein heiliger Text ist, weil wir durch ihn hindurch auf den Moment göttlicher Präsenz blicken. Im Recht werden wir nicht durch die tote Hand der Vergangenheit regiert, weil wir durch den Verfassungstext hindurch auf seinen Autor blicken: Wir sehen uns selbst, als Teil des Volkssouveräns. Dieser besitzt viele Eigenschaften des monotheistischen Gottes. Der einzige Grund für die Stabilität dieser Vorstellung ist der Glaube des Lesenden. Geht dieser Glaube verloren, wird der Text zu einer bloßen Repräsentation, die auf nichts außer sich selbst verweist.
Recht beruht also auf einer Vorstellung von Identität. Diese Vorstellung beantwortet zunächst die Frage danach, wer wir sind, bevor sie die Frage danach beantwortet, was wir tun sollen. Die Antwort kann sich nicht in Repräsentationen erschöpfen, sondern wendet sich den Bedeutungsnetzen, den imaginativen Konstruktionen des Selbst und des Anderen, und den hierauf bezogenen Narrationen zu. Eine unserer stärksten Narrationen ist die Liebe.
Liebe ist in vielerlei Hinsicht lehrreich für die Imagination des Politischen. Es gibt nichts, was wir nicht aus Liebe zu tun bereit wären. Aus Liebe stellen wir uns gegen die Ansprüche, die die Gerechtigkeit an uns richtet. Gerechtigkeit, und Vernunft generell, sind nicht länger die überwölbenden Leitwerte politischer Ordnung. Liebe verläuft über das Partikulare statt über das Allgemeine oder Universelle: Es gibt keine natürliche Bewegung in Richtung des Globalen. Liebe widersetzt sich auch der Repräsentation: Sie ist eigentümlich sprach- und mitteilungslos. Eigentlich verstehen wir nie, warum Menschen einander lieben und was andere so anziehend aneinander finden. Wir können uns keinen Reim darauf machen, weil wir nicht die gesamte Welt sehen können, die die Liebenden für sich errichten. Diese Welt der Liebe stellt außerdem eine höchste Letztbedeutung zur Verfügung. Für diese Welt sind Einzelne zum Opfer bereit. Hier wird nicht gemessen; Liebe ist, ebenso wie das Heilige, unermesslich. Maßstab ist weder Gleichheit noch Gerechtigkeit, sondern die Sorge füreinander. Der Endpunkt der Liebesimagination, das Opfer, ist keine abseitige Ausnahme, die man unter den Tisch fallen lassen könnte, sondern etwas Außergewöhnliches, das eng und unlösbar mit dem Gewöhnlichen verknüpft ist.
Schaut man auf die Liebe - auf Identität, auf die soziale Imagination -, kann man die Elementarteilchen der westlichen sozialen Imagination sehen. Sie vermögen eine Welt zu errichten und zu stabilisieren. Sie setzen Ressourcen frei, ohne deren konkreten Einsatz genau bestimmen zu können: Die Ideen von Liebe, Opfer, Unschuld usw. funktionieren wie Bausteine der sozialen Imagination. Durch die spezifischen politischen Erfahrungswelten hindurchgeleitet nehmen sie dann besondere Formen in unseren politischen Erzählungen an, etwa Revolution und Verfassung. Sie sprechen uns an, weil sie Teil einer uns gut bekannten Vorstellungslandschaft sind.
Wir können Liebe nicht rechtfertigen. Es gibt keine Ursachen, die sich erklären ließen. Liebe, Glaube oder das Heilige folgen keiner Logik. Theorie kann die Erfahrung hier nicht ausloten. Die soziale Imagination ist eine Fiktion - aber eine Fiktion, für die wir leben und sterben.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Haltern, Ulrich (Berlin [u.a.], 2014)
Die künftige Ausgestaltung der bundesstaatlichen Finanzordnung
Haltern, Ulrich (2012)
Haltern, Ulrich (Tübingen, 2012)
Haltern, Ulrich (Berlin, 2009)
Haltern, Ulrich (2009)
Haltern, Ulrich (Tübingen, 2007)
Europarecht : Dogmatik im Kontext UTB ; 2721
Haltern, Ulrich (Tübingen, 2007)
Haltern, Ulrich (2005)
Rechtswissenschaft als Europawissenschaft
Haltern, Ulrich (Tübingen, 2005)
Europarecht und das Politische Jus publicum ; 136