El Hadji Ibrahima Diop, Dr. phil. habil.
Professor für deutsche Literatur und ihre Didaktik
Université Cheikh Anta Diop de Dakar
Geboren 1956 in Keur Madiabel, Senegal
Studium der Germanistik an der Universität Leipzig und an der Universität Gesamthochschule Essen
Arbeitsvorhaben
Krisenbewusstsein und Geschichtsbild - zu aufgeklärten religiös-politisch-philosophischen Kontroversen im christlichen Abessinien und im vom Islam geprägten Afrika südlich der Sahara
Im Winter 2015 thematisierte ich am Wissenschaftskolleg die wissenschaftstheoretischen und quellenspezifischen Schwierigkeiten in der allgemeinen Historiografie Afrikas. Diese Probleme sind nicht neu. Sie sind aber für die Geschichte Afrikas typisch. Schon Hegel, der sich gleichfalls diesem Thema widmete, machte in seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie auf die Unumgänglichkeit der arabisch-islamischen Vermittlung aufmerksam. Diese Gedanken Hegels aufnehmend und sie ideengeschichtlich verallgemeinernd, versuche ich im Folgenden, Erfahrungen aus Krisen, wie sie sich aus der reformatorischen (reformistischen) Aufarbeitung von islamischen und christlichen Lehren in Afrika ergaben, nachzuzeichnen.Islam und Christentum sind zwei universalistische Weltreligionen. In vielerlei Hinsicht wurden aber deren Lehren afrikanischen lokalen Verhältnissen angepasst. Mein Forschungsprojekt konzentriert sich auf die Vermittlung und Auswertung von religionskritischen Auseinandersetzungen. Die dafür ausgewählten Kulturräume sind die an wichtigen Wasserwegen, am Nil, an den Niger- und Senegalflüssen entstandenen Staatsgebiete (Abessinien, Timbuktu, Nordsenegal, Nordnigeria etc.). Thematisiert werden also Auseinandersetzungen mit theokratischen Regierungsformen in Afrika, Reformen des Rechtswesens und nicht zuletzt reformistische politische Theorienbildung im Spannungsfeld zwischen geistlicher und weltlicher Macht.
Anders als bei bedeutenden außereuropäischen Kulturgebieten wie Indien, Persien, Arabien, Japan, China usw. kam die europäische Aufklärung in keiner nennenswerten Weise zu einer Reziprozität mit afrikanischen Reformgedanken. Deshalb möchte ich exemplarisch religionskritische Menschen- und Gesellschaftsbilder in Texten der europäischen Aufklärung und der afrikanischen Reformbewegungen zwischen der Renaissance und der Frühaufklärung in beiderlei Hinsicht bewerten.
Dem politisch-religiösen Fundamentalismus in vielen Gebieten Afrikas soll mit kulturhistorischen Aufklärungsgedanken aus der eigenen Geschichte begegnet werden. Umso mehr distanziert sich die Arbeit von der Romantisierung historischer Prozesse und den neo-revisionistischen Ausblendungen, die in der wissenschaftlichen Historiografie Afrikas immer wieder Verbreitung finden.
Lektüreempfehlung
Diop, El Hadji Ibrahima. "Philosopher au XVIIIe siècle et pour des sociétés africaines dites 'sans histoire'." In Racialité et rationalité: De l'altérité de l'Afrique noire en Allemagne au Siècle des Lumières, 179-188. Paris: Hermann, 2015.
-. "Möglichkeiten und Perspektiven einer Senghor-Renaissance in Afrika." In Weltengarten: Deutsch-Afrikanisches Jahrbuch für interkulturelles Denken, hrsg. von Leo Kreutzer und David Simo, 42-57. Hannover: Revonnah, 2006.
-. "Hölderlins Begriff einer 'Vaterländischen Umkehr': Zur Rolle identitär ethnischer und nationaler Rückbesinnung im Deutschland des ausgehenden 18. Jahrhunderts und im heutigen Afrika." In Weltengarten: Deutsch-Afrikanisches Jahrbuch für interkulturelles Denken, hrsg. von Leo Kreutzer und David Simo, 42-57. Hannover: Wehrhahn, 2005.
Kolloquium, 09.02.2017
Streitkultur in den Kulturen des Islams: Formen pluralistischen religiösen Denkens in theologischen Kontroversen des Islams südlich der Sahara
Mein Vortrag vertieft einen religionsphilosophischen Aspekt eines umfassenderen Forschungsprojekts, dessen Zielsetzungen und Arbeitshypothesen ich bereits im Winter vergangenen Jahres vorgestellt habe.
Beide Vorträge gehören zu einer zweiteiligen Buchpublikation zum Thema: "Krisenbewusstsein und Geschichtsbild in Afrika". In meinem heutigen Vortrag geht es darum, die lokale Verwurzelungs-, Transformations- sowie Aneignungsgeschichte einer universellen Weltreligion, des Islams, zu untersuchen, um daraus spezifische, aber auch allgemeine Diskurse zu Humanitätsbegriffen abzuleiten.
Die Geschichte des Islams im südlichen Raum der Sahara ist auch ein substanzieller Teil afrikanischer Geschichte. In den nächsten Jahrzehnten werden in dieser Region der Welt mehr Muslime als irgendwo sonst in der Welt leben.
Das Forschungsmaterial, auf das ich mich stütze, um die Tradition einer Streitkultur im Islam südlich der Sahara nachzuvollziehen, sind theologische Kontroversen zu Fragen, die noch heute das Islam-Bild vieler Menschen prägen.
Die Ziele des heutigen Vortrages sind zweierlei:
Erstens: Die Kontextualisierung der religiösen Dispute. Die theologischen Kontroversen sollen Epochen illustrieren, die für die Entwicklungen der Staaten und Gesellschaften in Afrika südlich der Sahara kennzeichnend sind - der Ausgang des 15. Jahrhunderts war eine Blütezeit intellektueller Reflexionen im Islam des Sahels. Das 16., 17. und 18. Jahrhundert setzten diese Tradition unter veränderten Bedingungen fort. Das 18. Jahrhundert war allerdings das Jahrhundert, in dem die westliche Kolonisierung stattfand und das mit dem Untergang der theokratischen Staaten in Afrika zusammenfiel. Das 19. Jahrhundert sowie das 20. Jahrhundert waren Momente intensiver Islamisierung trotz der Niederlage aller militärischen Widerstände gegen die koloniale Expansion. Diese militärische Niederlage war kein Ende der Islamisierung. Ganz im Gegenteil! Warum das so war, dies soll der Vortrag erklären.
Zweitens: Das Material das ich untersuche, ist vielfältig; ich beschränke mich deshalb im vorliegenden Vortrag auf eine Auswahl zentraler Fragen, die für das Islam-Bild bestimmend sind. Unter dem Gesichtspunkt der Wechselwirkung von Lokalität und Globalität will ich bei dieser Auswahl vorliegende Fragen erörtern: den Jihad, die Scharia, Gleichheitsprinzipien, die Beziehung zu anderen Religionen, die der Juden und der Christen, pietistische Wertreferenzen in der westafrikanischen Geschichte und nicht zuletzt das Verständnis von Pluralismus und Weltoffenheit. Der Zeitraum umfasst die Periode zwischen 1500 und dem Anfang der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, also 1960, dem Unabhängigkeitsjahr vieler Länder Afrikas südlich der Sahara. Dabei geht es mir in erster Linie um einen noch nicht abgeschlossenen Diskussionsgrundsatz über die autochthonen Theoriebildungen des Islams als Weltreligion und über ihre lokalen Antworten auf Bedürfnisse und Probleme der Menschen in dieser Region Afrikas.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Diop, El Hadji Ibrahima (Dakar (SN), 2020)
Foi réfléchie en Islam : itinéraires au sud du Sahara
Diop, El Hadji Ibrahima (Stuttgart, 2017)
Diop, El Hadji Ibrahima (Potsdam, 2016)
"Werte der Aufklärung nützen auch Afrika"
Diop, El Hadji Ibrahima (Paris, 2015)
Racialité et rationalité : de l'altérité de l'Afrique noire en Allemagne au siècle des lumières République des lettres
Diop, El Hadji Ibrahima (Paris, 2015)
Philosopher aus XVIIIe siècle et pour des sociétés africaines dites "sans histoire"
Diop, El Hadji Ibrahima (S.l, 2012)
Diop, El Hadji Ibrahima (München [u.a.], 2012)
Die Kant-Forster-Kontroverse über Menschenrassen als Wendepunkt der europäischen Afrikadiskurse
Diop, El Hadji Ibrahima (Berlin, 2010)
L'Afrique noire dans le racisme des Lumières européennes
Diop, El Hadji Ibrahima (Trier, 2010)
Germanistik im subsaharischen Afrika : quo vadis?
Diop, El Hadji Ibrahima (Hannover, 2006)
Möglichkeiten und Pespektiven einer Senghor-Renaisance in Africa