Cornelia Jöchner, Dr. phil.
Professorin für Kunstgeschichte
Ruhr-Universität Bochum
Geboren 1957 in Schrozberg, Deutschland
Studium der Kunstgeschichte, Europäischen Ethnologie und Italianistik an der Philipps-Universität Marburg und der Universität Hamburg
Arbeitsvorhaben
Kräftefeld Fassade: die Geschichte der "öffentlichen Wand" (15.-21. Jahrhundert)
Im Westen galt Fassade lange als Synonym für 'öffentliche Wand'. Indes ist sie nicht nur in eine Richtung zu verstehen. Die Kernfrage des Projekts, wie sich die räumliche Funktion der Fassade im Lauf der Neuzeit bis heute veränderte, berührt auch das Innere der Bauten. Welches also sind die Konditionen und Effekte der 'Veröffentlichung' von Wand? Diese letztlich das anthropologische 'Wohnen' thematisierende Fragestellung bezieht sowohl die Gestaltungstendenzen wie auch die Bedeutung der sozialen Räume von Innen und Außen ein. Fassade ist, so verstanden, ein Bauteil "eigener Zuständigkeit" (Kemp), wodurch ihre besondere Qualität als Schnittstelle verschiedener Beanspruchungen im Bauwerk und seiner sozialen Agenten greifbar wird. Den methodologischen Zugriff liefert die Verankerung im Feldbegriff (Lewin), der es ermöglicht, die räumlichen Eigenschaften von Fassade zu erfassen und hier erstmals epochenübergreifend strukturell zu verfolgen. In einer vergleichenden Analyse soll untersucht werden, wie Profanbauten durch 'Fassade' den Außenraum prägten und sich dabei auch nach innen anders formierten. Architekturhistorisch sind damit jene Epochen gemeint, in denen die Säulenordnungen zuerst re-etabliert wurden, sich dann zugunsten eines Verständnisses von Wand als Masse auflösten, um über die hervorgehobene Seite des solitären architektonischen Körpers bis zu Vorstellungen von (falscher) Maske im Umbruch zur Moderne und heute zur Idee von 'Haut' zu gelangen. Aktuelle Diskussionen beklagen häufig die fehlende Vielfalt und Prägnanz des öffentlichen Raums. Da diese die genuine Rolle der Architektur hierbei nur wenig vertiefen, versteht sich das geplante Buch auch als Beitrag für eine Geschichte des Bauens als einer "Semiosphäre" (Lotman) des Öffentlichen, die nicht ohne ein Innen auskommt.Lektüreempfehlung
Jöchner, Cornelia. Gebaute Entfestigung: Architekturen der Öffnung im Turin des frühen 18. und 19. Jahrhunderts. Berlin et al.: de Gruyter, 2015 (Studien aus dem Warburg-Haus, 14).
-. "Der Platz hinter dem Tor: Die Piazza del Popolo in Rom als Wegraum und Chronotopos." In Platz und Territorium: Urbane Struktur gestaltet politische Räume, herausgegeben von Alessandro Nova und Cornelia Jöchner, 139-163. Berlin: Deutscher Kunstverlag, 2010.
-. Die "schöne Ordnung" und der Hof: Geometrische Gartenkunst in Dresden und anderen deutschen Residenzen. Weimar: VDG, 2001 (Marburger Studien zur Kunst- und Kulturgeschichte 2).
Kolloquium, 14.02.2017
Kräftefeld Fassade: eine Geschichte der 'öffentlichen Wand' in der Neuzeit
Fassaden kennen wir alle. Zum einen durch den alltäglichen Umgang mit Gebäuden, aber auch sprachlich. Selten sind die Bezeichnungen für ein Architekturelement und eine Verhaltensweise so kongruent, dass dies zur Metapher wird: Eine Fassade errichten, bedeutet sowohl in der Architektur wie auch für den Menschen eine eigens gestaltete 'Oberfläche', die auf kommunikative Wirkung ausgerichtet ist. Die Etymologie des Wortes (lat. facies - Gesicht) verweist auf die räumliche Position der Fassade, 'vorne' zu sein. Aber, was heißt 'vorne'? Das erklärt sich nur in Relation zu einem räumlichen Subjekt, das in der Kunstwissenschaft Rezipient heißt, in der Architektur häufig Nutzer genannt wird, in den Sozial- und Kulturwissenschaften der Akteur ist.
Die relationale Bedeutung der Fassade besteht einerseits klar darin, sich an Rezipienten, Nutzer und Akteure zu wenden. Andererseits nimmt sie auch im räumlichen Gefüge des Gebäudes eine relationale Position ein, da sie zwischen Innen und Außen liegt. Mein Kolloquium wird zeigen, dass auch die Bezüge oben / unten sowie hinten / vorne eine Rolle spielen. Vor allem aber wird deutlich, dass Fassade keineswegs immer das Innere 1:1 repräsentiert. Im Gegenteil, häufig arbeitet eine Fassade die Verhältnisse der Innenräume für die Bedürfnisse des Außen um. Dass die Schnittfläche der Fassade zwischen zwei Arten von Raum, nämlich Innen und Außen, als eine 'öffentliche Wand' gilt, wie ich sie nennen möchte, geht vor allem auf den Beginn der Neuzeit in Europa zurück. Der Außenraum, vor allem der städtische, wurde hier partiellen Privatinteressen entzogen, stattdessen für allgemein erklärt. Von da an widmete sich eine enorme bauliche Kreativität der Gestaltung der Fassade. Für mich ist diese Zäsur der Anfang des geplanten Buches. Aber auch unter anderen historischen oder gesellschaftlichen Voraussetzungen gilt für Fassade, dass sie sich in irgendeiner Form auf den Außenraum bezieht.
Mich interessiert, wie sich diese doppelte Gerichtetheit der Fassade - nach innen wie nach außen - im Laufe der Neuzeit und bis in die aktuelle Gegenwart hinein veränderte: nicht als chronologische, sondern eher als systematische Betrachtung. Das Verbindende meiner Beispiele sind Fragen nach den räumlichen Funktionen von Fassade. Damit bin ich beim theoretischen Instrumentarium meines Projekts, das die Feldtheorie des Psychologen Kurt Lewin (1890-1947) nutzt. Kurz gesagt, handelt es sich hierbei um eine topologische Methode, mit der Lewin anhand der räumlichen Anordnung sozialpsychologische Phänomene untersuchte. Für mich ist dabei u. a. der Begriff des Feldes entscheidend, da so das komplexe räumliche Gefüge, das die Fassade konstituiert, zunächst einmal hierarchielos betrachtet werden kann. Vor allem zwei Beispiele sollen meine Argumentation zeigen: Palazzo Rucellai, Florenz (1447), Haus Bernhard, Winklerstr. 11, Berlin-Grunewald (1904/05). Doch wäre ich äußerst begierig, von anderen interessanten, mir noch nicht bekannten Fassaden-Problemen zu hören!
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Jöchner, Cornelia (2016)
Von der Form zum Raum : kunstgeschichtliche Universalien und moderne Architektur ; das Beispiel Wand
Jöchner, Cornelia (Berlin [u.a.], 2015)
Gebaute Entfestigung : Architekturen der Öffnung im Turin des frühen 18. und 19. Jahrhunderts Studien aus dem Warburg-Haus ; 14
Jöchner, Cornelia (2014)
Jöchner, Cornelia (2010)
Das Innen des Außen : der Platz als Raum-Entdeckung bei Camillo Sitte und Albert Erich Brinckmann
Jöchner, Cornelia (Berlin, 2010)
Platz und Territorium : urbane Struktur gestaltet politische Räume I Mandorli ; 11
Jöchner, Cornelia (2008)
Jöchner, Cornelia (Berlin, 2008)
Jöchner, Cornelia (Weimar, 2001)
Die "schöne Ordnung" und der Hof : geometrische Gartenkunst in Dresden u. anderen deutschen Residenzen Marburger Studien zur Kunst- und Kulturgeschichte ; 2
Jöchner, Cornelia ()
Architecture and the construction of territory : Juvarra's Superga near Turin