Gisèle Sapiro, Dr.
Professor of Sociology at the EHESS and Research Director at the CNRS
École des hautes études en sciences sociales, Paris
Centre national de la recherche scientifique
Born in 1965 in Neuilly-sur-Seine, France
Studied Comparative Literature and Philosophy at Tel Aviv University and Sociology at the École des hautes études en sciences sociales
Arbeitsvorhaben
The Concept of Disinterestedness in Theory and in Practice: the Case of the Intellectual and Artistic Professions
This project sets out to study the concept of disinterestedness, combining Begriffsgeschichte with historical sociology, in a longue durée perspective. Restricted to religious uses in the Moralists' reflections, this concept developed in the 18th century, at a time when the notion of interest became central in defining human action. It was adopted and theorized by writers, artists and philosophers (notably Shaftesbury and Kant) to define their autonomy from the political and religious powers, as well as from the emerging market of symbolic goods. The concept circulated between France, Germany and England. The project aims first at studying its development, usages and circulation across these countries, focusing on key moments and on controversies (for instance the debate about the introduction of the scientific paradigm in the Geisteswissenschaften at the end of the 19th century). This intellectual history will be complemented by a study of the forms of embodiment of the concept in the organization and social practices of intellectual and artistic professions (codes of ethics, droit d'auteur, non-profit organizations, free work and so on) in the era of capitalism and of the rise of cultural industries.Recommended Reading
Sapiro, Gisèle. "How Do Literary Texts Cross Borders (or Not)." Journal of World Literature 1, 1 (2016): 81-96.
-. "The Metamorphosis of Modes of Consecration in the Literary Field: Academies, Literary Prizes, Festivals." Poetics 59 (2016): 5-19.
-. "Das französiche literarische Feld: Struktur, Dynamik und Formen der Politisierung. " Berliner Journal für Soziologie 2, 4 (2004): 157-171.
Kolloquium, 05.03.2019
Der Begriff der Interesselosigkeit: ein axiologischer Operator
Im Allgemeinen gilt "Interesse" in den Geistes- und Sozialwissenschaften als anerkannter, valider Begriff, um menschliche Handlungen zu erklären. Während des 17. Jahrhunderts wurde er zunächst von den Moralisten gebraucht, die meinten, in ihm ein Mittel gefunden zu haben, um die Leidenschaften in Schach zu halten. Die Ökonomie gründete ihre Interpretation der sozialen Welt auf diesem Begriff, der auch von anderen Disziplinen wie der Soziologie, den politischen Wissenschaften, der Geschichtswissenschaft und der Psychologie aufgegriffen wurde und in diesen eine wesentliche Rolle spielte. Im Unterschied dazu wurde dem Begriff der Interesselosigkeit weit weniger Aufmerksamkeit geschenkt, obwohl er eine grundlegende Kategorie des moralischen Verständnisses (im Sinne von "Uneigennützigkeit") und ein Bezugspunkt für viele soziale - insbesondere intellektuelle und künstlerische - Aktivitäten ist. In genau jenem Moment des 18. Jahrhunderts, da sich der Gebrauch des Begriffs "Interesse" auf seine ökonomische Bedeutung verengte, beanspruchte man den Begriff "Interesselosigkeit" für Kunst, Literatur und Recht - also für Aktivitäten, die sich im Gegensatz zu kaufmännischen Werten und körperlicher Arbeit definierten. Diese Aktivitäten stehen im Zentrum meines Projekts zur Soziogenese, zur Zirkulation und zum sozialen Gebrauch des Begriffs der Interesselosigkeit.
"Interesselosigkeit" fungiert als "axiologischer Operator" - so nenne ich es -, d. h. als Begriff, der kulturell kodierten Oppositionen nicht nur ihre Bedeutung verleiht, sondern ihnen auch ihre Position in einer Wertehierarchie zuweist und der dadurch eine Schlüsselrolle in symbolischen Auseinandersetzungen einnimmt. In meinem Vortrag möchte ich zunächst die transnationale Zirkulation dieses Begriffs zwischen Frankreich, England und Deutschland darstellen. Dazu ziehe ich Betrachtungen heran, die für die Entstehung der Ästhetik im 18. Jahrhundert wichtig waren. Im Kontext der Entstehung des Marktes für symbolische Güter diente der Begriff gleichzeitig als grundlegende ethische Orientierung für intellektuelle und künstlerische Berufe. Dann verfolge ich die Geschichte seiner Aneignung bei den französischen Verfechtern des "l'art pour l'art". Schließlich möchte ich Ihnen anhand von zwei Beispielen aus Frankreich vorstellen, wie die Idee der Interesselosigkeit in kulturellen Klassifikationen gebraucht wurde: Erstens, um die Lesepraktiken im 19. Jahrhundert zu hierarchisieren, und zweitens in den Auseinandersetzungen zwischen den Natur- und Geisteswissenschaften, die durch die Bildungsreform an der Wende zum 20. Jahrhundert ausgelöst wurden.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Sapiro, Gisèle (London, 2021)
Sapiro, Gisèle (Cham, 2020)
Sapiro, Gisèle (Paris, 2019)
Sapiro, Gisèle (Pisa, Roma, 2017)
The role of publishers in the making of world literature : the case of Gallimard
Sapiro, Gisèle (2016)
La diffusion internationale du structuralisme : entre appropriation et rejet
Sapiro, Gisèle (2016)
How do literary works cross borders (or not)? : a sociological approach to world Literature
Sapiro, Gisèle (Leiden, 2016)
Sapiro, Gisèle (New York, NY [u.a.], 2016)
Sapiro, Gisèle (2015)
Sapiro, Gisèle (Paris, 2015)
Transformations des champs de production culturelle à l’ère de la mondialisation