2021/2022

Maxim Osipov, Dr.

Writer

from April to June 2022
Born in 1963 in Moscow
Studied Cardiology at Russian National Research Medical University and University of California at San Francisco

Arbeitsvorhaben

Frostig, beschämt, befreit: Essays on Immigration

I plan to write an essay or a number of essays about an immigration. The name of the first one is “Frostig, beschämt, befreit.” Also I would like to write about Yerevan 2022, comparing it with Constantinople a century ago.

Recommended Reading

Osipov, Maxim. Rock, Paper, Scissors, and Other Stories. New York: New York Review of Books, 2019.
-. Ljuksemburg i drugie russkie istorii (Luxemburg and other Russian stories). Read by the author. Moscow: AST-Corpus, 2020. E-book and audiobook.
-. Kilometer 101: Skizzen und Geschichten. Vienna: Hollitzer, 2021.

Kolloquium, 24.05.2022

Was macht eine gute Kurzgeschichte aus?

Ich denke, dass Kurzgeschichten, selbst lange Kurzgeschichten (meine persönliche Vorliebe), eher Gedichten ähneln als Romanen. Für mich steht bei Kurzgeschichten nicht der Gegenstand im Mittelpunkt, sondern Stil und Form, die weit wichtiger sind als der Inhalt. Ein fundiertes Wissen vom Stoff – in meinem Fall Medizin und, in geringerem Maße, Religion, Musik, Theater, Politik und sogar Schach – ist nicht unbedingt notwendig, auch wenn es hilfreich ist. Ich ziehe es vor, über Themen zu schreiben, mit denen ich vertraut bin.

Dass Musik das beste Vorbild für die Komposition jeder Kunst ist, auch des Schreibens, ist schon oft festgestellt worden. Es gibt viele Ähnlichkeiten zwischen Kurzgeschichten und Sonaten. Beide sind zwischen 15 und 40 Minuten lang. Beide „führen nicht dazu, dass etwas geschieht“ („make nothing happen“), so Audens Bemerkung zu Gedichten. Wenn wir eine Sonate zum ersten Mal hören, geht es um die Entscheidung, ob wir sie noch einmal hören wollen oder nicht. Das Gleiche sollte beim Lesen einer Kurzgeschichte geschehen. Wie eine Sonate sollte auch eine Kurzgeschichte nach einer Verdichtung vieler Elemente streben und aus bedeutsamen Modulationen des Rhythmus, der Tonart usw. bestehen. Diese Aspekte zeichnen eine herausragende Geschichte aus – nicht ihr Thema. Eine gelungene Geschichte ähnelt auch insofern Musik und Dichtung, als dass wir sie nicht während, sondern erst lange nach unserer ersten Begegnung wirklich würdigen können. Und wie Quartette wiederum verlangen Erzählungen ihren Leserinnen und Lesern letztlich mehr ab als Romane. Vielleicht bevorzugen Verleger deshalb Romane.

Ich möchte die drei Schlüsselelemente von Prosa erörtern – Stil, Handlung und Figuren. Zudem hören wir auch Alex Flemming und Boris Dralyuk, meine englischen Übersetzer, die zwei der kürzesten Texte lesen, die ich geschrieben habe: „The Cry of the Domestic Fowl“ und „Big Opportunities“, und danach sprechen wir über den Unterschied zwischen fiktionalen und nicht fiktionalen Geschichten. Vielleicht diskutieren wir auch über den Einfluss der gegenwärtigen politischen Situation auf das, was wir schreiben und lesen.