Shai Secunda, Ph.D.
Jacob Neusner Professor in the History and Theology of Judaism
Bard College, Annandale-on-Hudson, NY
Born in 1979 in Boston, Mass., USA
Studied Rabbinic Literature at Yeshiva University and Iranian Studies at Harvard University
Arbeitsvorhaben
Sea of Babylon: The Formation of the Talmud in Sasanian Mesopotamia
“The Talmud is like the Great Sea,” so goes an early medieval Jewish adage, “it is as it says, ‘All the streams go to the sea.’” During my stay at the Wissenschaftskolleg, I will be working on a book-length monograph that reconsiders the famously encyclopedic and gargantuan Babylonian Talmud, which sits at the heart of the classical Jewish canon. The Talmud was compiled orally by rabbis living in late ancient Mesopotamia, then an important center in the Sasanian Iranian Empire. Organized as a commentary on the Mishnah – an earlier work of rabbinic law composed in Roman Palestine – the Babylonian Talmud also preserves numerous “tangential” passages ranging from biblical interpretation and theological speculation to medical advice, magical incantations, brief anecdotes, and tall tales. While the Talmud is the only work that has survived from late ancient Babylonian Jewry, its great diversity of materials mitigates this textual singularity.The Talmud has never been fully inventoried, and so this project proceeds by digitally tagging so-called tangential passages and comparing the Talmud’s anthological impulse with that of the other rabbinic compilations produced in Roman Palestine. Philologists have studied the formation of the Talmud for many decades, yet they have focused almost entirely on the diachronic development of Talmudic discourse, which is regularly described as disembodied, redactional processes. In my research, I will examine the Talmud’s diverse contents synchronically and locate its formation in the minds, mouths, and bodies of Babylonian rabbis, in their scholarly circles and institutions, and alongside other religious communities in the Sasanian Empire – such as the imperially backed Zoroastrians, who were likewise engaged in a major effort to organize the Dēn – the Zoroastrian tradition.
Recommended Reading
Secunda, Shai. The Iranian Talmud: Reading the Bavli in Its Sasanian Context. Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 2013.
–. The Talmud’s Red Fence: Menstrual Impurity and Difference in Babylonian Judaism and Its Sasanian Context. New York: Oxford University Press, 2020.
Kolloquium, 21.03.2023
Das Meer von Babylon: Den Babylonischen Talmud neu denken
Der Babylonische Talmud ist ein gewaltiges Werk rabbinischer Rechtsdiskussion, Auslegungen, Geschichten, Medizin, Mythos und mehr, das im Zentrum des klassischen jüdischen Kanons steht. Von traditionellen Gelehrten wird er seit über einem Jahrtausend und von kritischen Gelehrten seit Gründung der „Wissenschaft des Judentums“ vor zwei Jahrhunderten intensiv studiert, doch in vielerlei Hinsicht bleibt der Talmud ein Rätsel. Was genau haben wir da vor uns und welche Bedeutung hat dieses Werk als Kulturdenkmal? In meinem Vortrag schlage ich vor, dass der Babylonische Talmud im Unterschied zu anderen Kompilationen des rabbinischen Kanons als expansives Textmedium verstanden werden sollte, das einem Meer gleicht und als alleiniger Übermittler der rabbinischen Kultur Babylons konzipiert wurde, die ihn hervorgebracht hat.
Die heutige Talmudkritik zeichnet sich durch ihren diachronen Ansatz aus, bei dem der Talmud als etwas verstanden wird, das aus zwei grundlegenden Schichten besteht: eine frühere Schicht, die Rabbinern mit Namen, den so genannten Amoräern, zugeschrieben wird; sie lebten vom dritten bis zum fünften Jahrhundert n. Chr. Dazu kommt eine spätere Schicht, die nicht den namentlich genannten Weisen zugeschrieben wird und die in erster Linie als redigierende Stimme fungiert, die das frühere „amoräische“ Material einrahmt. Dies ist eine wichtige Erkenntnis, die für die kritische Talmudinterpretation von großem Nutzen war und den Forscherinnen und Forschern geholfen hat, die Redaktionsprozesse des Talmuds zu rekonstruieren. Doch die so genannte „höhere Kritik“ des Talmuds übergeht die grundsätzliche Frage, woraus der Talmud – synchron betrachtet – genau besteht und worin die Bedeutung seiner heterogenen Zusammensetzung liegt.
Bei der Zuordnung der unterschiedlichen Materialien, die im Talmud enthalten sind, zeigt sich Folgendes: Obwohl der Babylonische Talmud – wie seine Schwesterkompilation (der Palästinensische Talmud) – als Kommentar zur Mischna, dem rabbinischen Grundlagenwerk, organisiert ist, umfasst er auch eine beträchtliche Menge an Material, das keinen Bezug zur Mischna und ihren Anliegen hat. In der Tat ist die ungewöhnliche Vermischung von Materialien im Talmud anscheinend ein Charakteristikum dieses Werks – was eine außerordentliche Unersättlichkeit gegenüber dem vielfältigen Wissen bezeugt, das die Rabbiner bewahrten, indem sie es der traditionellen Struktur der Mischna einverleibten. Meine These ist, dass die bemerkenswerte Zusammensetzung des Babylonischen Talmuds zum Teil mit einer fundamentalen Bindung an eine mündliche Textualität zusammenhängt, die sich eher für den Aufbau eines einzigen expansiven Korpus eignet. Von Bedeutung ist auch die offenkundige Ähnlichkeit des Talmuds mit einem zeitgleichen Unterfangen der benachbarten Gemeinschaft der Zoroastrier, die ihr Wissen auf ähnliche Weise in einem expansiven Textprojekt namens Dēn organisierte.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Secunda, Shai (2023)
Blind them as a sign : a photo essay
Secunda, Shai (2022)
Secunda, Shai (2022)
Secunda, Shai (Oxford, 2020)
Like a hedge of lilies : menstruation and differences in the "Iranian" Talmud
Secunda, Shai (Oxford, 2020)
Secunda, Shai (Providence, Rhode Island, 2018)
Secunda, Shai (Philadelphia, 2014)
The Iranian Talmud : reading the Bavli in its Sasanian context Divinations: rereading late ancient religion