Christoph Möllers, Dr. jur., LL.M.
Professor für Öffentliches Recht
Georg-August-Universität Göttingen
Geboren 1969 in Bochum
Studium der Rechtswissenschaft und Komparatistik
in Tübingen, München und Chicago
Arbeitsvorhaben
Norm und Fiktion: Rechtstheorie und ästhetische Theorie im Vergleich
Die gesellschaftlichen Praxen Kunst und Recht sehen sich mit strukturell ähnlichen und deswegen gut einander gegenüberzustellenden Problemen konfrontiert. Diese Ähnlichkeiten zeigen sich schon an parallelen Begriffsverwendungen in der Theorie des Rechts und der ästhetischen Theorie: Autonomie, Souveränität, Repräsentation spielen in beiden eine Rolle.Das Projekt gründet auf der Annahme, dass sich diese begrifflichen Parallelen aus spezifischen Gemeinsamkeiten der gesellschaftlichen Praxen Kunst und Recht ergeben, die zu gemeinsamen Problemen ihrer theoretischen Rekonstruktion
führen: Beide Praxen haben dem Anspruch zu genügen, sich als von der Welt unterschieden, ihr zugleich zugehörig und auf sie bezogen zu verstehen. Beide Praxen verhalten sich zudem zu einer Phänomengesamtheit: Potentiell jeder Teil der Welt kann von ihnen erfasst werden. Beide konstituieren eine Gegenwelt und dies bedeutet: Distinktion von der und Angewiesenheit auf die Welt.
Das Forschungsprojekt zielt auf einen Vergleich zwischen ästhetischer Theorie und Rechtstheorie vor dem Hintergrund ihres Weltbezugs, also auf einen Vergleich zwischen Norm und Fiktion. Zunächst muss sich die hier vermutete Strukturähnlichkeit selbst im Vergleich bewähren. Anschließend gestattet es der Diskursvergleich, die Argumentationsstrategien rechtstheoretischer und ästhetischer Diskurse auf ihre Reichweite und Spezifik hin zu untersuchen.
Lektüreempfehlung
Möllers, Christoph. Staat als Argument. München: C. H. Beck, 2000
.-. "Globalisierte Jurisprudenz: Einflüsse relativierter Nationalstaatlichkeit auf das Konzept des Rechts und die Funktion seiner Theorie." In Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Beiheft 79 (2001): 41-60.
-. "Philosophie - Recht - Kultur: Zur kulturwissenschaftlichen Perspektiverweiterung einer Philosophie des Rechts." In symbolische Welten: Philosophie und Kulturwissenschaften, herausgegeben von Dirk Rustemeyer, 109-135. Würzburg: Königshausen und Neumann, 2002.
Kolloquium, 15.05.2007
Formen des Möglichen. Die Herstellung von Text und Bedeutung im Vergleich zwischen literarischen und juridischen Diskursen, Deutschland 1800-1914
Der Bürger wäre gern ein Künstler, aber er muss doch Bürger bleiben - und als Bürger nicht selten Jurist. Die vergeblichen ästhetischen Ambitionen des Bürgertums sind in der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts bis zu Thomas Mann ein beliebtes Sujet. Die Geläufigkeit des Stoffs bringt eine bis heute verbreitete Vorstellung zum Ausdruck: die Annahme, es gäbe einen kategorialen Unterschied zwischen der kreativen Freiheit literarischer Produktion und der Beengtheit der Jurisprudenz.
Ist diese Vorstellung korrekt? Gegen sie spricht intuitiv ebenso die erstaunliche Zahl praktizierender Juristen, die im 19. Jahrhundert als Schriftsteller aktiv und erfolgreich waren, wie die Menge nicht-juristischer Autoren, die sich von juristischen Stoffen angezogen fühlten. Gegen diese Vorstellung spricht auch der geradezu ubiquitäre Gebrauch ästhetischer Kategorien in der Selbstbeschreibung der Juristen dieser Zeit. Mit ein wenig Abstraktion fallen zudem viele sachliche Gemeinsamkeiten der Diskurse ins Auge: Recht und Literatur sind Formen der Produktion von Sinn im Medium des Texts. Beide erheben - spätestens seit Beginn des 19. Jahrhunderts - den Anspruch auf Autonomie gegenüber der Realität. Sie verlassen ein mimetisches Paradigma, ohne auf Weltbezug verzichten zu können. Sie setzen bestimmte Kategorien wie diejenige des eigentumsfähigen/eigentümlichen Subjekts voraus. Sie sind mit der Aufgabe konfrontiert, Texte zu deuten. Sie unterziehen sich einer Verwissenschaftlichung, die im Kern philologisch operiert. Sie verhalten sich zum politischen Dauerproblem der Deutschen Staatsgründung. Sie versuchen, ihr jeweiliges Proprium zu formalisieren und sie geraten mit dieser Formalisierung immer wieder in Krisen. Sie sind vom eigentümlichen Vorrang ästhetischer vor politischer Bildung im deutschen 19. Jahrhundert beide betroffen. Sie müssen sich mit normativen (moralischen oder ästhetischen) Argumenten von der eigenen Praxis distanzieren.
Das vorliegende Projekt versucht sich an einer vergleichenden Problemgeschichte literarischer und juristischer Diskurse in Deutschland zwischen 1800 und dem ersten Weltkrieg. Ausgangspunkt ist der Gedanke der "Realitätsverdoppelung", der beide zugleich fiktional und wirklichkeitsbezogen halten muss. Der Vortrag wird zum ersten Gegenstände diskutieren, an denen sich solche Verwandtschaften, aber auch deren Ungleichzeitigkeiten kristallisieren könnten, zum zweiten Möglichkeiten vorstellen, diese Verwandtschaften darzustellen.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Möllers, Christoph (Oxford, United Kingdom, 2020)
The possibility of norms : social practice beyond morals and causes Die Möglichkeit der Normen
Möllers, Christoph (Berlin, 2020)
Freiheitsgrade : Elemente einer liberalen politischen Mechanik edition suhrkamp ; 2755
Möllers, Christoph (Oxford, United Kingdom, 2020)
The German Federal Constitutional Court : the court without limits Das entgrenzte Gericht
Möllers, Christoph (Tübingen, 2018)
Demokratiesicherung in der Europäischen Union : Studie zu einem Dilemma
Möllers, Christoph (Baden-Baden, 2018)
Human dignity in context : explorations of a contested concept Recht im Kontext ; volume 5
Möllers, Christoph (Baden-Baden, 2016)
Choice architecture in democracies : exploring the legitimacy of nudging Recht in Kontext ; Volume 6
Möllers, Christoph (Berlin, 2015)
Die Möglichkeit der Normen : über eine Praxis jenseits von Moralität und Kausalität
Möllers, Christoph (2015)
Recht im Kontext : Ausgangspunkte und Perspektiven
Möllers, Christoph (Baden-Baden, 2015)
Rechtswege : kontextsensible Rechtswissenschaft vor der transnationalen Herausforderung Recht in Kontext ; Band 2
Möllers, Christoph (Baden-Baden, 2015)
Gebändigte Macht: Verfassung im europäischen Nationalstaat : Verfassungsblog II Recht in Kontext ; Bd. 4