Holk Cruse, Dr. rer. nat.
Professor der Biologie
Universität Bielefeld
Born in 1942 in Stuttgart
Studied Biology, Physics, Mathematics at the Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Schwerpunkt
Was ist Sprache, Denken und Bewegung gemein? Ein holistischer Ansatz zum Verständnis von Gehirnfunktionen
Arbeitsvorhaben
The Talking Stick Project
The human brain is often considered the most complex system known. The members of the "understanding the brain" group, Lisa Aziz-Zadeh, Thomas Metzinger, Srini Narayanan, Rafael Núñez, Luc Steels and myself, suppose that a better understanding of how the brain works might be gained if results from quite diverse research domains are combined.To this end, we exploit the observation that the neuronal system traditionally assumed to be responsible for motor control, i.e., for control of action, has recently been shown to share a common structural and functional basis with sensory analysis of an action, i.e., traditional perception, and also with imagining of an action, i.e., with subjective experience. Furthermore, linguists have advanced another quite contra-intuitive idea postulating that language is directly coupled with basic motor control structures. Our aim is to test to what extent these hypotheses can be combined by a single functioning neural network.
We start with an artificial, i.e., simulated neuronal network that is able to control complex motor behavior, namely the walking and climbing of an insect, the walking stick. The system is furthermore equipped with the ability to plan ahead. Applying Narayanan's ideas to this network will result in a system that, on a low level, can probably be used for language comprehension and language production (therefore called "the talking stick project"). Later the simulation will be endowed with more complex memory structures including procedural and declarative types of memory.
To verify the feasibility of our concept, the final goal will be to test the new memory structure on a robot. Using this strategy, we hope to detect basic principles of the functioning of brains on the system level.
Recommended Reading
Cruse, H. 2003. "The evolution of cognition - a hypothesis." Cog. Science 27, 135-155.
Schilling, M. und H. Cruse. 2007. "The evolution of cognition - from first order to second order embodiment." In Modeling Communication with Robots and Virtual Humans, edited by I. Wachsmuth and G. Knoblich. Berlin: Springer, 2008 (in press). [Springer Series Lecture Notes in Computer Science (LNCS), subseries Lecture Notes in Artificial Intelligence (LNAI).]
Cruse, H., V. Dürr, and J. Schmitz. 2006. "Insect walking is based on a decentralised architecture revealing a simple and robust controller." Phil. Trans. R. Soc. 365, 221-250.
Abendkolloquium , 12.11.2008
Understanding the Brain: Bewegung, Sprechen, Denken, Fühlen
Ein System, das Verhalten - also Bewegungen - kontrollieren kann, und das
außerdem die Fähigkeit besitzt, denken und fühlen zu können, wird häufig als
"kognitives" System bezeichnet. Es wird weitergehend auch die Auffassung
vertreten, dass Sprachfähigkeit eine konstituierende Eigenschaft kognitiver
Systeme darstellt. Das Ziel unserer Schwerpunktgruppe besteht darin,
quantitative Modelle in Form von Computersimulationen neuronaler Strukturen
zu entwickeln, die diese vier Eigenschaften aufweisen. Wir folgen dabei
Feynman, der sagt, "nur was ich nachbauen kann, habe ich verstanden". Solche
Modelle stellen grundsätzlich Vereinfachungen der Realität dar, da sie nicht alle
Details, sondern nur die wesentlichen Prinzipien beschreiben sollen. Ob beim
Erstellen eines Modells - Intuition spielt hier eine zentrale Rolle - das Ziel, die
wesentlichen Prinzipien zu erfassen, tatsächlich erreicht wurde, lässt sich jeweils
erst im Nachhinein feststellen.
Unsere Gruppe versucht also, die Mechanismen zu verstehen, die der Funktion
unseres Gehirns und damit letztlich unserer Existenz als Person zugrunde
liegen. Wie wird Verhalten von Gehirnen kontrolliert? In klassischen
Darstellungen wird dies mit der Kette "Sense - Plan - Act" abgekürzt. Bisher
weitgehend ungeklärt sind dabei die Prozesse, die in dem hier mit "Plan"
bezeichneten Bereich ablaufen. Diese Prozesse betreffen die Auswahl
relevanter Daten aus einem komplexen sensorischen Input, die Entscheidung
über das Verhaltensziel - möglicherweise mit einzuschiebenden Zwischenzielen -
, sowie die Auswahl aus (sehr) vielen motorischen Möglichkeiten um dieses Ziel
zu erreichen, wobei natürlich die aktuellen Randbedingungen berücksichtigt
werden müssen. Diese Probleme haben nicht nur Menschen zu lösen, sondern
alle Tiere, auch Insekten.
Um die diesen Prozessen zugrunde liegenden Mechanismen zu verstehen,
haben wir zunächst ein einfaches, aber keineswegs triviales Verhalten, nämlich
das Laufen und Klettern von Insekten ausgewählt. Ein Insekt besitzt sechs Beine
und muss damit insgesamt mindestens 18 Gelenke ansteuern. Die Aufgabe ist
nicht einfach: Selbst moderne Laufroboter sind noch weit von den
entsprechenden Fähigkeiten eines Insekts entfernt.
Verhaltensuntersuchungen haben inzwischen zu einem aus künstlichen
Neuronen bestehenden Computermodell geführt. Mit dessen Hilfe kann -
einschließlich der wichtigen Rolle, die die Körpermechanik spielt - Verhalten
kontrolliert werden, das dem bei den Tieren beobachteten Verhalten recht
ähnlich ist. Um Letzteres zu überprüfen, werden sowohl Software- als auch
Hardwaresimulationen (Roboter) eingesetzt.
Das beschriebene neuronale Modell kann als prozedurales Gedächtnis
interpretiert werden. Solche sogenannten reaktiven Strukturen erlauben
allerdings keine Vorhersage darüber, welchen Zustand die Außenwelt nach der
Durchführung des Verhaltens angenommen haben wird. Um Vorhersagen
machen zu können, muss das neuronale System um ein wesentliches Element,
nämlich ein manipulierbares Weltmodell, erweitert werden. Da der Körper, aus
der Sicht des Gehirns, den wichtigsten Teil der Welt darstellt, ist ein Modell des
eigenen Körpers zentrales Element dieses Weltmodells. Mit einem derartigen
Körper- und (Teil-)weltmodell wäre die Voraussetzung für "Probehandeln"
gegeben, ein Begriff, den schon S. Freud als Synonym für "Denken" eingeführt
hat (es handelt sich dabei also zunächst um vorbegriffliches Denken). Unsere
erste Aufgabe wird darin bestehen, ein solches Körper/Weltmodell zu
konstruieren.
Der für unser Projekt entscheidende Schritt basiert auf einer auf den ersten Blick
abwegigen Idee: Repräsentation von menschlicher Sprache, d.h. sowohl das
Sprechen als auch das Verstehen von Sprache, soll mit Hilfe von Strukturen
beschrieben werden, die denen eines modellhaft vereinfachten Insektengehirns
entsprechen. Auf diese Weise kann natürlich nur eine erste Stufe beschritten
werden. Wir werden hierfür ein Element des im Labor von S. Narayanan
entwickelten Konzeptes verwenden. Gedächtnisstrukturen, die sowohl für das
Aussprechen als auch für das Erkennen eines Wortes zuständig sind, sollen
direkt mit den Gedächtnisstrukturen verknüpft werden, die die entsprechenden
Verhaltenselemente repräsentieren. Auf diese Weise wäre es möglich, dass das
System, denken wir zum Beispiel an einen insektenähnlichen Roboter, nicht nur
diese Verhaltensweisen durchführen kann, sondern auch in Form einzelner
Wörter oder einer Folge von Wörtern über sein Verhalten "berichten" kann. Unter
Verwendung seines Köpermodells könnte es auch über nur vorgestelltes (intern
simuliertes) Verhalten berichten. Umgekehrt könnten gehörte Wörter interpretiert
werden, entweder dadurch, dass das zugehörige Verhalten intern simuliert wird
oder dadurch, dass es tatsächlich ausgeführt wird. Eine weitere Qualität könnte
erreicht werden, wenn das, zum Beispiel visuell, erfasste Bild eines
"Artgenossen" auf das eigene Körpermodell abgebildet werden könnte. Dann
wäre das System auch in der Lage, entsprechende Verhaltensweisen dieses
Genossen zu interpretieren und darüber zu berichten. Das sogenannte
Spiegelsystem ("Spiegelneurone"), an dem L. Aziz-Zadeh arbeitet, wird als
Grundlage für diese Fähigkeiten angesehen.
Um menschlicher Sprache näher zu kommen, muss weiterhin die Fähigkeit zur
Verwendung grammatischer Strukturen eingeführt werden und es muss
berücksichtigt werden, dass - bei sehr großen Speicherumfängen - spezifische
Lösungen für das dynamische Verknüpfen einzelner Gedächtnisinhalte nötig
werden. An Lösungen für diese Fragen arbeiten S. Narayanan und L. Steels.
Beide Kollegen wie auch R. Núñez beschäftigen sich darüber hinaus mit der
Frage, wie zunächst nur den Bereich der Motorik betreffende Begriffe auf
abstrakte Konzepte übertragen werden können.
Wir wollen so vorgehen, dass die Assoziation zwischen Wort und zugehöriger
Aktion zunächst vom Entwickler des Programms vorgegeben wird. Wäre es aber
auch denkbar, dass das System selbst Kategorien erstellen und den zunächst
zufälligen Symbolen eine Bedeutung zuordnen kann? Hier helfen uns die
Experimente von L. Steels, in denen er in der Tat Mechanismen entwickelt hat,
die solche Fähigkeiten ermöglichen.
Für das Verständnis kognitiver Fähigkeiten im oben genannten Sinn bleibt noch
eine wichtige Frage zu diskutieren. Ist es denkbar, dass ein physikalisches
System, das aus (realen oder künstlichen) Nervenzellen aufgebaut ist, die
Fähigkeit besitzt, fühlen zu können? Damit ist gemeint, dass zum Beispiel ein
Schmerzreiz nicht nur die entsprechenden neuronalen Reaktionen auslöst (die
im Prinzip auch von außen beobachtbar sind), sondern dass das System selbst
tatsächlich Schmerz empfindet, ein Erleben, das nur dem System selbst
zugänglich ist. Ich will, soweit es die Zeit erlaubt, in meinem Vortrag spekulieren,
welches die Eigenschaften sein könnten, die notwendig sind, um ein
physikalisches System mit der Fähigkeit zu subjektivem Erleben auszustatten.
Th. Metzinger wird unsere Spekulationen kritisch hinterfragen.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Cruse, Holk (2017)
ReaCog, a minimal cognitive controller based on recruitment of reactive systems
Cruse, Holk (2016)
Cruse, Holk (Warszawa, 2016)
A grain of sand in the pupil of the eye
Cruse, Holk ([Piscataway, NJ], 2014)
Bridging an interspecies gap? toward human-insectoid robot interaction
Cruse, Holk (2013)
Cruse, Holk (San Francisco, Calif., 2011)
No need for a cognitive map : decentralized memory for insect navigation
Cruse, Holk (2009)
From 1st order embodiment to 2nd order embodiment : toward a cognitive walker
Cruse, Holk (2009)
Neural networks as cybernetic systems : [Elektronische Ressource] Brains, minds & media
Cruse, Holk (2008)
The evolution of cognition - from first order to second order embodiment
Cruse, Holk (2008)
Winching up heavy loads with a compliant arm : a new local joint controller