Konrad Schmid, Dr. theol.
Professor für Alttestamentliche Wissenschaft und Frühjüdische Religionsgeschichte
Universität Zürich
Geboren 1965 in Zürich, Schweiz
Studium der Theologie an den Universitäten Zürich, Greifswald und München
Arbeitsvorhaben
Gott als Gesetzgeber: Die Entstehung des Gottesrechts der Tora im Rahmen der altorientalischen Rechtsgeschichte
Die Tora ist Gottes Recht. Diese biblische Vorstellung ist so prominent und gilt als so selbstverständlich, dass sie bislang kaum als historisches Problem wahrgenommen worden ist. Man hielt sie im Kern für religionsgeschichtliches Urgestein der Bibel. Tatsächlich stellt sie eine Innovation in ihrem kulturgeschichtlichen Kontext dar, die gerade deshalb historisch zu befragen ist: Im Alten Orient sind nicht Gottheiten, sondern Könige Gesetzgeber. Erst die Rechtstradition des antiken Israel hat den Gedanken entwickelt, dass Gott selber Gesetze formuliert und sie an sein Volk weitergeben lässt. In der Tora spielt Mose eine herausragende Rolle bei dieser Vermittlung. Göttliche Gesetze sind im Judentum, im Christentum und im Islam dann zu einem zentralen Element dieser Religionen aufgestiegen, doch aufgrund welcher geschichtlicher Umstände und Faktoren sind sie entstanden? Der Gedanke liegt nahe, dass dies mit dem Verlust des Königtums in Israel zusammenhängen könnte, doch neben politischen und sozialgeschichtlichen Entwicklungen sind auch grundlegende religions- und geistesgeschichtliche Transformationen zu bedenken, die zur Ausbildung der Idee Gottes als eines Gesetzgebers geführt haben könnten. Aufgrund neuer methodischer und inhaltlicher Perspektiven auf die historische Entstehung der Tora, die die Forschung in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat, aber auch aufgrund neuer Erkenntnisse zur Rechtsüberlieferung des Alten Orients ergibt sich sowohl die Möglichkeit als auch die Aufgabe, ein historisch ausgewogenes und aussagekräftiges Bild der Tora als Gottesrecht zu rekonstruieren.Lektüreempfehlung
Schmid, Konrad. Theologie des Alten Testaments. Neue Theologische Grundrisse. Tübingen: Mohr Siebeck, 2019. Englisch: A Historical Theology of the Hebrew Bible. Grand Rapids: Eerdmans, 2019.
Schmid, Konrad und Jens Schröter. Die Entstehung der Bibel: Von den ersten Texten zu den heiligen Schriften. München: C.H.Beck, 2019.
Schmid, Konrad. Literaturgeschichte des Alten Testaments: Eine Einführung. Darmstadt: WBG, 2008. 2. Aufl. als Studienausgabe 2014. Englisch: The Old Testament: A Literary History. Minneapolis: Fortress Press, 2012.
Kolloquium, 27.10.2020
Gott als Gesetzgeber: Die Tora im Rahmen der antiken Rechts- und Ideengeschichte
Die drei großen Weltreligionen, Judentum, Christentum und Islam, kennen die Vorstellung von Gesetzen, die auf Gott selber zurückgeführt werden und denen entsprechende hohe Autorität zukommt. Im Judentum erstrecken sich die göttlichen Gesetze zumeist auf die persönliche Lebensführung, im Islam kommt ihnen auch eine eminent politische Dimension zu, während ihnen im Christentum eine dialektische Bedeutung zugeschrieben wird.
Dass Gott als Gesetzgeber imaginiert wird, ist in der Religionsgeschichte des Vorderen Orients weder vorgezeichnet, noch erwartbar. Es handelt sich bei dieser Vorstellung um ein außerordentlich kontingentes Resultat der antiken Ideengeschichte. Zum ersten Mal belegen lässt sie sich in bestimmten redaktionellen Texten der Tora, die etwa in das 7. und 6. Jahrhundert v. Chr. zu datieren sein dürften: Sie rahmen ältere, in der 3. Person gehaltene Rechtssätze, die auch aus altorientalischen Rechtssammlungen bekannt sind, im Sinne einer gottesrechtlichen Interpretation. Alle späteren Rechtssätze der Tora sowie die Tora insgesamt sind dann als Gottesrecht gestaltet worden. Interessanterweise hat aber die Divinisierung der Tora nicht zu ihrer Absolutierung geführt, sondern vielmehr einen fruchtbaren und lebendigen Prozess der innerbiblischen Gesetzesauslegung initiiert: Viele Gesetze begegnen in der Tora zwei- oder dreimal, als Grundtext inklusive seiner Auslegungen.
Mein Projekt stellt sich die Frage, wie die Vorgeschichte der Idee Gottes als eines Gesetzgebers zu rekonstruieren ist. Wie ist der biblische Gott, dessen religionsgeschichtlichen Ursprünge wahrscheinlich als Wetter- und Berggott im edomitischen Bergland im ausgehenden 2. Jahrtausend v. Chr. zu finden sind, zu einem Recht sprechenden und Recht setzenden Gott geworden? Dieser Vorgang hat im Wesentlichen mit einer zweifachen Politisierung der Gottesvorstellung im antiken Israel und Juda zu tun. Die erste Stufte betrifft den Aufstieg Gottes zu einer Königsgestalt samt seiner Solarisierung im Zuge seiner Übersiedlung nach Jerusalem, die zweite Stufe betrifft seine Erhebung über den ersten imperialen Großkönig der Weltgeschichte - den assyrischen König -, an dessen Stelle er gemäß der Tora tritt und dessen rechtlich gefasste Loyalitätsverpflichtungen nun auf ihn übertragen werden.
Über Fragen zur Genese dieser Vorstellung Gottes als eines Gesetzgebers hinaus interessiert mich auch ihre Bedeutung: Wie ist eine Gottesidee zu charakterisieren, die rechtlich strukturiert ist? Und wie die Idee von Rechtssätzen einzustufen, die auf Gott selbst zurückgeführt werden? Diese Fragen sollen nicht entsprechend dem Geschmack des frühen 21. Jahrhunderts beurteilt werden, sondern aufgrund ihrer Wirkungsgeschichte in den 2500 Jahren davor.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Schmid, Konrad (Leipzig, 2023)
Heilige Schriften in der Kritik : XVII. Europäischer Kongress für Theologie (5.–8. September 2021 in Zürich) Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie ; Band 68
Schmid, Konrad (Berlin, 2022)
Wie der Mensch zu Gottes Ebenbild wurde : Demokratisierungsprozesse im antiken Israel
Schmid, Konrad (Berlin, 2021)
Schmid, Konrad (Berlin, 2021)
Schmid, Konrad (Wiesbaden, 2021)
Schmid, Konrad (Curitiba, 2021)
A feitura da Biblia : dos primeiros fragmentos à Sagrada Escritura
Schmid, Konrad (Buenos Aires, 2021)
La elaboración de la Biblia : de los primeros fragmentaos a la Sagrada Escritura
Schmid, Konrad (Tübingen, 2021)
Schmid, Konrad (Chico, Calif., 2021)
The neo-documentarian manifesto : a critical reading
Schmid, Konrad (Tübingen, 2021)
Theological interpretation of Assyrian propaganda in the Book of Isaiah