Nils Jansen, Dr. jur.
Professor für europäische Rechtsgeschichte sowie deutsches und europäisches Privatrecht
Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Geboren 1967 in Hannover, Deutschland
Studium der Rechtswissenschaft, Philosophie und Politik an den Universitäten Passau und Kiel
Arbeitsvorhaben
Europäische Rechtsgeschichten
Das Recht bildet einen wesentlichen Baustein der modernen Identität Europas. Die institutionellen Ordnungen nahezu aller staatlichen und nichtstaatlichen Gesellschaften Europas sind rechtlich verfasst; die Suprematie des Rechts, der Rechtsstaat und die Menschenrechte bilden einen unangefochtenen Kern europäischer Wertüberzeugungen. In meinem Projekt möchte ich die Grundlagen legen für ein Buch, das man früher eine europäische Rechtsgeschichte genannt hätte, weil es der Geschichte dieses Sets von Überzeugungen und institutionellen Arrangements nachgeht. Dabei ist das Projekt von den zwei Annahmen getragen, dass diese Geschichte sich nicht in einer „großen Erzählung“ rationalisieren lässt, sondern als komplexes Geflecht verbundener Einzelgeschichten rekonstruiert werden muss, und dass die Hauptakteure dieser Geschichten Juristen waren: Anwälte, Ministerialbeamte, Professoren und Richter. Das europäische Recht hat viele Eltern: nicht nur die Gelehrten Bolognas und die Richter Henrys II. in London, sondern auch Kanzleijuristen an der römischen Kurie und am Hof Friedrich II., die Gesetze zu einem Mittel politischer Herrschaft machten, oder französische Theologen wie Petrus Abaelard und Thierry von Chartres, die mit der Unterscheidung von ius positivum und ius naturale die Grundlagen für Diskurse legten, die in die Beichtstühle der Gegenreformation, aber auch zu den Verfassungsurkunden der Aufklärung und zur Trennung von Recht und Moral führen sollten. Naturgemäß kam es hier zu Konkurrenz und Streit. Wenn mein Projekt eine professionsgeschichtliche Perspektive wählt, soll es, anders als frühere dogmen-, ideen- oder wissenschaftsgeschichtliche Ansätze, nicht zuletzt auch sichtbar machen, wie weit die Rationalität des Rechts ein Resultat hoch konfliktiver, kontingenter Prozesse bildet.Lektüreempfehlung
Jansen, Nils. Die Struktur des Haftungsrechts: Geschichte, Theorie und Dogmatik außervertraglicher Ansprüche auf Schadensersatz. Tübingen: Mohr Siebeck, 2003.
—. The Making of Legal Autority: Non-legislative Codifications in Historical and Comparative Perspective. Oxford: Oxford University Press, 2010.
—. Recht und gesellschaftliche Differenzierung: Fünf Studien zur Genese des Rechts und seiner Wissenschaft. Tübingen: Mohr Siebeck, 2019.
Kolloquium, 26.09.2023
Der Universalismus im Rechtsdenken: eine kurze Geschichte
Die Gedanken universeller Gerechtigkeit (Naturrecht; lex naturalis) und einer allen Menschen gemeinsamen Rechtsordnung (ius gentium) bilden Kernelemente des geistigen Erbes der Antike. Ebenso wie es nicht nur im Judentum und Christentum, sondern auch in der griechischen Philosophie nicht viele Götter, sondern nur einen wahren Gott geben sollte, standen diese Ideen neben und über den vielen Rechtsordnungen der antiken Staaten.
Seit dem Mittelalter haben beide Ideen massiv an Bedeutung gewonnen: Die Menschen Europas, so glaubte man, sollten nicht nur als Mitglieder der Römischen Kirche, sondern glei-chermaßen durch das römisch-kanonische ius commune verbunden sein. Im 16. Jahrhundert formulierten Theologen auf dieser Grundlage hochkomplexe Naturrechtssysteme; hier wurden Religion und Recht zu einem usus religiosus pandectarum verwoben: einem normativen Gefüge, in dem Elemente des römischen Rechts und katholische Lehren sich nicht mehr unterscheiden ließen. Gleichzeitig gewann der Gedanke universeller moralischer Standards im Recht massiv an Bedeutung, weil das römische Recht nicht mehr als ratio scripta gelten konnte und weil der Glaube an religiöse Wahrheit und Einheit mit der Konfessionalisierung des Christentums einen zunehmend utopischen Charakter annahm: Die großen juristischen Naturrechtssysteme (Grotius) stützten sich freilich hauptsächlich auf naturrechtliche Autoritäten, also auf ein theologisches Erbe, und übersetzten diese Systeme in eine zunehmend säkulare Sprache.
Im 19. und 20. Jahrhundert schien der Universalismus im Recht freilich aus einer Reihe unterschiedlicher Gründe zu einem Ende gekommen zu sein. Es war offensichtlich, dass Naturrechtslehrer sich nicht einmal auf fundamentale Naturrechtsgrundsätze einigen konnten; Naturrecht wurde zum Symbol des Neo-Thomismus, d.h. einer politischen Reaktion der Römischen Kirche gegen die Moderne; und mit den Verfassungen schienen die modernen Staaten über ein Instrument zur Positivierung universeller Richtigkeitsmaßstäbe zu verfügen. Gleichwohl feiert der juristische Universalismus seit einigen Jahrzehnten fröhliche Urständ: zum einen in den zeitgenössischen globalen Netzwerken von Verfassungsgerichten und zum anderen in den Kodifikationen eines transnationalen Privat- und Handelsrechts.
In meinem Kolloquium geht es mir um zweierlei. Zum einen möchte ich die eben angedeutete Geschichte universalistischen Rechtsdenkens erzählen. Damit rekonstruiere ich die Geschichte einer Vorstellung, die immer wieder zwischen den Feldern der Philosophie, der Religion und des Rechts hin und her migriert ist. Andererseits werde ich fragen – und hier hoffe ich, viel von Ihnen zu lernen –, wie sich eine solche Einzelerzählung sinnvoll identifizieren bzw. konstruieren und wie sie sich in ein breiteres Bild der europäischen Rechtsgeschichte einfügen lässt.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Jansen, Nils (Oxford, 2021)
The structure of tort law : history, theory, and doctrine of non-contractual claims for compensation Die Struktur des Haftungsrechts
Jansen, Nils (Tübingen, 2020)
Der Gegenstand der Rechtswissenschaft
Jansen, Nils (Tübingen, 2020)
Juristische Kommentare : ein internationaler Vergleich Beiträge zum ausländischen und internationalen Privatrecht ; 133
Jansen, Nils (Tübingen, 2019)
Jansen, Nils (Baden-Baden, 2018)
Rechtswissenschaft und Rechtssystem : sieben Thesen zur Positivierung des Rechts und zur Differenzierung von Recht und Rechtswissenschaft Würzburger Vorträge zur Rechtsphilosophie, Rechtstheorie und Rechtssoziologie ; Heft 56
Jansen, Nils (Tübingen, 2016)
Gesetzliche Schuldverhältnisse : eine historische Strukturanalyse
Jansen, Nils (Berlin, 2015)
Jansen, Nils (Tübingen, 2014)
Kommentare in Recht und Religion
Jansen, Nils (Tübingen, 2013)
Theologie, Philosophie und Jurisprudenz in der spätscholastischen Lehre von der Restitution : außervertragliche Ausgleichsansprüche im frühneuzeitlichen Naturrechtsdiskurs Grundlagen der Rechtswissenschaft ; 19