Mark Cohen, Ph.D.
Professor für Nahostwissenschaften
Princeton University
Geboren 1943 in Boston, Mass., USA
Studium der Geschichte, Judaistik und Jüdischen Literatur an der Brandeis University, Columbia University und dem Jewish Theological Seminary
Arbeitsvorhaben
Armut und Wohltätigkeit in der jüdischen Gemeinde im mittelalterlichen islamischen Ägypten
A study of the Jewish poor in Egypt during the 11th(13th centuries and of poor relief, based mainly on documents from the Cairo Geniza. The study also makes use of Jewish legal sources, especially Maimonides' Code, the Mishneh Torah, to form some judgments about the relationship between law and reality, between normative religion and actual practice. While filling a gap in a neglected area of Jewish social and religious history, the pair of books that will result from this research (a monograph and an anthology of selected, representative Geniza documents in translation) ( functioning as a case-study of a general phenomenon ( will also contribute to the broader subject of poverty and charity in Christendom and Islam in premodern times.Remarks for Other Fellows
I teach medieval Jewish history at Princeton University, and my research area is the Jews in the medieval Arab world, especially the Eastern Mediterranean. I specialize in the Judaeo-Arabic and Hebrew documents from the Cairo Geniza, and I have advised dissertations on Jewish and Islamic history using this source. As part of my work, I direct a computer project known as the Princeton Geniza Project, which is creating an Internet-based, searchable database of transcriptions of historical documents from the Geniza (www.princeton.edu/_geniza).
Recommended Reading
Mark R. Cohen. Jewish Self-Government in Medieval Egypt: The Origins of the Office of Head of the Jews, ca. 1065-1126. Princeton: Princeton University Press, 1980.
-. The Autobiography of a Seventeenth-Century Venetian Rabbi: Leon Modena's 'Life of Judah'. Translated and edited by Mark R. Cohen. Princeton: Princeton University Press, 1988.
-. Under Crescent and Cross: The Jews in the Middle Ages. Princeton: Princeton University Press, 1994; paperback ed. 1995; Turkish transl. 1997, Hebrew transl. 2001.
Kolloquium, 29.10.2002
Armut und Wohltätigkeit in der jüdischen Gemeinde des mittelalterlichen Ägypten: die Geniza von Kairo
Zu einem erheblichen Teil verdanken wir dem französischen Historiker Michel Mollat, einem führenden Wissenschaftler auf diesem Gebiet, dass die Geschichte der Armen im vormodernen Europa einen wichtigen Platz in der Erforschung der Nicht-Eliten einnimmt: als Teil einer neuen Sozialgeschichte - einer Geschichte 'von unten', zu der die französische Historikerschule der Annales und ihre Nachfolger soviel beigetragen haben. Meine Arbeit ist diesen Gelehrten sehr zu Dank verpflichtet und baut darüber hinaus auf dem bahnbrechenden Werk von S. D. Goitein zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Juden in der arabischen Welt des Mittelalters auf; sie ist als erster Versuch zu verstehen, die tatsächliche, gelebte Erfahrung der Armen und die Mechanismen der Wohltätigkeit an einem besonders gut dokumentierten Ort in einer bestimmten Periode der vormodernen jüdischen Vergangenheit gründlich zu untersuchen: im mittelalterlichen Ägypten. Die wesentlichen Quellen sind die historischen Dokumente der Geniza von Kairo.
Ein altes jüdisches Tabu, das aus der Zeit der Mischna (Kodifizierung 200 n. Chr.) und des Talmuds (Kodifizierung 200-500 n. Chr.) stammt, verbietet die Zerstörung von Teilen der heiligen Schriften; in der Theorie heißt das: Teile der Bibel, die Gottes Namen enthalten, doch in der Praxis bedeutet es: alles, das in hebräischer Schrift beschrieben oder bedruckt ist. Diese Papiere müssen in einer Geniza bestattet werden (das Wort Geniza bedeutet sowohl den Bestattungsort als auch den Akt der Bestattung). Normalerweise befindet sich eine Geniza auf dem Friedhof. Doch die Geniza von Kairo ist etwas Besonderes. Aus verschiedenen Gründen, die bis heute noch nicht ganz geklärt sind, befand sie sich hinter einer Mauer in der Synagoge, der sog. Ben-Ezra-Synagoge in Fustat (Alt-Kairo). Sie stammt aus dem Mittelalter und möglicherweise sogar noch aus vor-islamischen Zeiten. Das hatte zwei erfreuliche Folgen. Erstens war der Inhalt dieser Geniza an einem Ort konzentriert und leicht zugänglich, als man sie zum Ende des 19. Jh. entdeckte. Zweitens ist das ägyptische Klima so trocken, dass die begrabenen Seiten die Jahrhunderte ohne Schimmel überstanden; daher ist die Tinte immer noch fast so gut zu lesen wie zur Zeit der Abschrift vor etwa tausend Jahren. Das ist sogar der Fall, wenn eine Seite durchlöchert oder zerrissen ist. (Ich möchte in Klammern noch hinzufügen, dass es - wenigstens unter westlichen Islamwissenschaftlern - kaum bekannt ist, dass der Begriff und die Praxis der Geniza auch im Islam existieren und dass bereits einige muslimische 'Genizas' entdeckt worden sind, die mehrere hundert Jahre alte Schriften enthalten.)
Die Geniza enthält rund eine Viertelmillion einzelner Seiten, meistens Textfragmente, aber auch Tausende von Briefen und Dokumente des täglichen Lebens. Ich habe etwa 450 Briefe gesammelt und entziffert, sowohl von den Armen selbst als auch in ihrem Interesse geschrieben, etwa 315 Almosenlisten und Listen von Schenkungen zu wohltätigen Zwecken, etwa 40 Rechtsdokumente und Testamente, etwa ein Dutzend rabbinische Responsa (Rechtsauskünfte zu Fragen des jüdischen Gesetzes) und einige andere Dinge, die alle aus dem 11., 12. und 13. Jh. stammen. Mit Hilfe des multilingualen Wortverarbeitungsprogramms Nota Bene habe ich sie transkribiert und indiziert und kann mit der Suchmaschine in Nota Bene Informationen wiederfinden, indem ich hebräische Schriftzeichen und Boolsche Operatoren verwende.
Einige meiner Ergebnisse sehen folgendermaßen aus: durch die Lektüre hunderter Briefe, in denen die Armen über sich selbst schreiben, konnte ich eine Typologie der Armut in der jüdischen Gemeinde des mittelalterlichen Ägypten bestimmen, die derjenigen gleicht, die die Historiker der Annales-Schule für Europa festgestellt haben, obwohl die jüdische Gemeinde vollkommen unabhängig vom Einfluss der christlichen Gesellschaft in Europa existierte. Das beginnt mit der Unterscheidung zwischen 'struktureller' und 'konjunktureller' Armut; ersteres bezeichnet die permanent Armen, letzteres diejenigen, denen es normalerweise gut geht oder die zumindest zu den 'Working Poor' gehören, die nur zeitweilig aufgrund von Umständen wie z. B. Krankheit oder Schulden bedürftig sind. Wie die "verschämten Armen" der europäischen Gesellschaften des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit schämen sich auch diese Unglücklichen.
Ich konnte auch eine Art soziologischer Klassifizierung der Armen entwickeln, indem ich die Dokumente, insbesondere die Listen nach Berufen abgesucht habe, die nur auf den Almosenlisten oder nur auf den Spenderlisten oder auf beiden Listen auftauchen. Es ist keine Überraschung, dass die erste Gruppe Türwächter, Wasserträger, Schuhmacher, Totengräber und Träger umfasst. Dies sind die permanent Armen. Natürlich erscheinen auch viele Fremde in dieser Gruppe, denn sie waren weit weg von ihrer Heimat und damit von jenem Sicherheitsnetz abgeschnitten, das in traditionellen Gesellschaften von der Familie geboten wird. Ich nenne diejenigen nicht arm, die nie als Nutznießer, sondern nur als Geber auftauchen; diese Gruppe umfasst solche Berufe wie Gemüsehändler, Delikatessenhändler, Bäcker und Müller, denn Menschen müssen immer Lebensmittel kaufen, und daher war das Einkommen dieser Berufsgruppen ziemlich regelmäßig. Die anderen Geber waren - und das ist keine Überraschung - Tuchhändler, Kaufleute, Makler, Bankiers, Ärzte und Regierungsangestellte.
Zusätzliche Funde betreffen Einzelheiten der Verwaltung der Armenfürsorge, die Stellung armer Frauen, die Ernährung der Armen, Informationen über die Essensrationen und die Kleidung, die sie als Teil der öffentlichen Wohlfahrt von der autonomen jüdischen Gemeinde erhielten, und die rhetorische Strategie der Mahnung, die in den Bittbriefen angewandt wurde; sie sind gut mit den pauper letters aus der Zeit der Industriellen Revolution vergleichbar, die man in den letzten Jahren in den Archiven der gesetzlichen Armenfürsorge in England und Deutschland gefunden hat. Auch die ganze Welt der privaten Wohltätigkeit, die dem forschenden Blick des Historikers normalerweise verborgen bleibt, ist damit verbunden. Da sie ihrem Wesen nach privat ist, hinterlässt sie sozusagen keine Papierspur. Und wenn doch, erfahren wir sehr viel mehr darüber aus der Geniza. Sie hat uns Dokumente aus einer Zeit erhalten, über die wir keine Zeugnisse der europäischen oder islamischen Geschichte besitzen, die auch nur im entferntesten mit den Funden der Geniza vergleichbar wären.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Cohen, Mark (Köln, 2007)
Baina 'l-hilāl wa-'ṣ-ṣalīb : waḍʿ al-yahūd fi 'l-qurūn al-wuṣṭā Under crescent and cross
Cohen, Mark (2005)
Feeding the poor and clothing the naked : the Cairo Geniza
Cohen, Mark (Princeton, NJ [u.a.], 2005)
The voice of the poor in the middle ages : an anthology of documents from the Cairo Geniza
Cohen, Mark (München, 2005)
Unter Kreuz und Halbmond : die Juden im Mittelalter Under crescent and cross <dt.>
Cohen, Mark (Princeton, NJ [u.a.], 2005)
Poverty and charity in the Jewish community of Medieval Egypt Jews, Christians, and Muslims from the ancient to the modern world
Cohen, Mark (2003)
Das Judentum in der islamischen Gesellschaft und der Mythos von der interreligiösen Utopie
Cohen, Mark (2000)
Four Judaeo-Arabic petitions of the poor from the Cairo Geniza