Victor Stoichita, Dr. phil.
Professor der Kunstgeschichte
Universität Freiburg (Schweiz)
Geboren 1949 in Bukarest, Rumänien
Studium der Kunstgeschichte, Philosophie und Komparatistik an der
Universität Bukarest, der Universität Rom und der
Université Paris 1, Panthéon Sorbonne
Arbeitsvorhaben
Der Pygmalioneffekt
Ausgangspunkt ist der Pygmalionmythos, so wie ihn Ovid in den Metamorphosen geschildert hat. Ich beabsichtige das Überleben dieses Mythos in der mittelalterlichen und neuzeitlichen Literatur und insbesondere in der Ikonographie der bildenden Künste zu analysieren. Im Zentrum meiner Abhandlung steht das Motiv der lebendigen Statue. Von der Kunsttheorie (Gauricus, Vasari, usw.) und der Naturphilosophie (Agrippa von Nettesheim, Paracelsus, usw.) der Renaissance, über Descartes und die Philosophie des 18. Jahrhunderts (Condillac, La Mettrie, usw.) bis zum kinematographischen Bild der Gegenwart wird das Verhältnis zwischen Kunstwerk, Körper und Leben unter die Lupe genommen.Lektüreempfehlung
Stoichita, Victor I. The Self-Aware Image. An Insight into Early Modern Meta-Painting. Cambridge, 1997. (deutsche Übersetzung: Das selbstbewußte Bild. Vom Ursprung der Metamalerei. München, 1998.)
-. A Short History of the Shadow. London, 1997. (deutsche Übersetzung: Eine kurze Geschichte des Schattens. München, 1999.)
Stoichita, Victor I. und Anna Maria Coderch. Goya. The Last Carnival. London, 1999. (spanische Übersetzung: El último carnaval. Madrid, 2000.)
Kolloquium, 08.07.2003
Über einige Schwierigkeiten, Modell zu sitzen
Die digitalisierte Ausgabe von Giorgio Vasaris Leben der ausgezeichnetsten Maler, Bildhauer und Baumeister (Florenz, 1550 und 1568) enthält einige aufschlussreiche Hinweise, wie in der Renaissance ein Kunstwerk beurteilt wurde und was man genau darunter verstand. So erfährt man z.B., dass das Wort "Schönheit" (bellezza) 491-mal verwendet wird, das Wort "Fleisch" (carne) 91-mal, das Wort "Hauch" (fiato) 28-mal und das Wort "Puls" (polsi) nur ganze dreimal - es war den ganz grossen Meistern wie Leonardo da Vinci, Raphaël oder Michelangelo vorbehalten.
Abgesehen davon, dass es schön zu sein hat: im Anschluss an den Kanon, der vom Mimesis-Mythos der Antike vorgegeben wurde, zeichnet sich ein Kunstwerk in der Renaissance in erster Linie dadurch aus, dass es die Lebendigkeit des Körpers in seiner äußeren Erscheinung feiert: Zuckendes Fleisch, atmender Leib, und - in Ausnahmefällen - schlagender Puls, dies scheinen die maßgebenden Metaphern der Verlebendigung zu sein.
Es scheint, als gründete sich die erste Kunstgeschichte der Moderne gewissermaßen auf eine Art von "Pygmalion-Wahn"; dieser Verdacht wird aber sogleich zerstreut von zwei nicht ganz unwesentlichen Tatsachen. Zunächst ist der Pygmalion-Mythos in der Ikonographie des 16. und 17. Jahrhunderts ausgesprochen selten, und überdies spielen die Textkommentare der damaligen Abhandlungen zur Kunst ebenso selten explizit auf diesen Mythos an.
Hingegen finden wir bei Vasari und bei anderen Renaissance-Autoren zahlreiche Beispiele eines "Pygmalion-Effektes"; in ihnen wird der Tausch 'Leben gegen Kunstwerk' thematisiert.
In meinem Vortrag möchte ich eines dieser Beispiele unter die Lupe nehmen. Es zählt - so glaube ich - zu schönsten Geschichten um ein Modell und seinen Künster, die uns die alte kunsthistorische Literatur hinterlassen hat. Im ersten Teil möchte ich eine Passage der "Vita" des Jacopo Sansovino kommentieren, in der es um die Entstehung eines Meisterwerkes und das traurige Schicksal des Modells geht. Der zweite Teil ist ein Versuch, die Enstehung und Wirkung dieser von Vasari erzählten Geschichte zu rekonstruieren.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Stoichita, Victor (2020)
Stoichita, Victor (München, 2016)
On several telepathic dispositifs Panofsky-Professur ... am Zentralinstitut für Kunstgeschichte ; 2016
Stoichita, Victor ([Paris], 2014)
L' image de l'autre : noirs, juifs, musulmans et "gitans" dans l'art occidental des temps modernes 1453-1789 Louvre éditions la Chaire du Louvre
Stoichita, Victor (München, 2011)
Der Pygmalion-Effekt : Trugbilder von Ovid bis Hitchcock The Pygmalion effect <dt.>
Stoichita, Victor (2010)
Deixis und Geschmack: Tizians Venusfest
Stoichita, Victor (Genève, 2008)
L' effet Pygmalion : pour une anthropologie historique des simulacres Titre courant ; 37
Stoichita, Victor (Chicago, Ill. [u.a.], 2008)
The Pygmalion effect : from Ovid to Hitchcock L'effet Pygmalion <engl.>
Stoichita, Victor (München, 2006)
Goya - der letzte Karneval Goya - the last carnival <dt.>