Rossitza Guentcheva, Ph. D.
Professorin der Neueren und Neusten Geschichte
Sofia University St. Kliment Ohridski
Born in 1968 in Sofia
Studied History at Sofia University, Central European University Budapest, and at the University of Cambridge
Schwerpunkt
Cultural Mobility
Arbeitsvorhaben
Die Kultur von Geschäftsreisen ins Ausland unter bulgarischen Bürgern während des Sozialismus
I intend to explore business trips abroad in socialist Bulgaria as a specific instance of cultural mobility. From the late 1940s to the late 1980s, Western countries were conceived as the official enemy of the socialist states, and travel there posed the danger of ideological contamination. Yet business trips were necessary and did happen. They were sanctioned by the top state and party institutions, which felt responsible to preserve the citizens intact from the encounter with the foreign world. Above all, they had to ensure that travelers' minds were not affected by foreign ideology and by contemplating the products of capitalist culture. The ruling Communist Party apparatus endeavored to achieve the mobility of bodies while precluding the mobility of minds. At the same time, travel to the West became a privilege granted to a tiny minority of socialist society. Trips to the other side of the Iron Curtain became a distinction between ordinary Bulgarians and members of the socialist elite. Certain aspects of Western culture became useful and desirable, while others needed to be isolated and their transmission to the East filtered or blocked. Travelers to the West during socialism were regarded in an ambiguous way by their own country and they themselves experienced their travel as a combination of danger and privilege. I will try to grasp this ambivalent essence of mobility in the context of mutual ideological suspicion, when bodies and objects were permitted to move but minds had to stay "at home".Recommended Reading
Guentcheva, Rossitza. "Sounds and Noise in Socialist Bulgaria." In Ideology and Identity in South-Eastern Europe in the Twentieth Century, edited by John Lampe and Mark Mazower. Budapest: CEU Press, 2003 (forthcoming).
-. "Seeing Language: Bulgarian Linguistic Maps in the Second Half of the 20th Century." European Review of History/Revue Europeenne d'Histoire 2003 (forthcoming).
-. "Symbolic Geography of Language: Orthographic Debates in Bulgaria (1880s-Today)." Language and Communication 19, 4 (1999): 355-371.
Kolloquium, 02.03.2004
Reisen im sozialistischen Bulgarien
In meinem Vortrag möchte ich mich mit einigen Aspekten der Mobilität im sozialistischen Bulgarien - d.h. also zwischen 1944-1989 - befassen. Mein Interesse gilt der Frage, wie die Menschen gereist sind, insbesondere wie sie aus Bulgarien in den kapitalistischen Westen gereist sind, und in welcher Weise die Einschränkungen ihrer Freizügigkeit zu bestimmten Formen des Reisens und Wahrnehmungen des Westens führten.
Der Vortrag besteht aus drei Teilen. Der erste Teil beginnt mit einer Erläuterung der verschiedenen Gründe, die dazu beitrugen, dass in Bulgarien und einigen anderen sozialistischen Staaten in Europa restriktive Ausreiseregelungen eingeführt wurden. Dann möchte ich die vielfältigen Hindernisse beschrieben, die die bulgarischen Bürger überwinden mussten, wenn sie in den Westen reisen wollten. Im sozialistischen Bulgarien waren die Auslandsreisen streng unterteilt in Reisen in sozialistische Länder und Reisen in kapitalistische Länder, und diese spezifischen Unterscheidungen waren in offiziellen und inoffiziellen Erlassen und Gesetzen kodifiziert.
Im zweiten Teil des Vortrags möchte ich mich auf eine Veränderung in der Ausreisekontrolle des sozialistischen Bulgarien konzentrieren, die in den späten 50er und frühen 60er Jahren stattfand. Der Bedarf an Importen aus dem Westen - zur Unterstützung der Politik der raschen Industrialisierung - zwang die sozialistischen Staaten, auf den Kurs der "friedlichen Koexistenz und Kooperation" mit dem kapitalistischen Westen einzuschwenken. Diese ökonomische Notwendigkeit, die die ständige ideologische Konfrontation begleitete, führte schließlich zu signifikanten Veränderungen bei den Ausreiseregelungen und förderte die Entstehung eines neuen Typus von Reise, nämlich der offiziellen Dienstreise, die von eigenen Institutionen und Vorschriften geregelt wurde. Trotz der Tatsache, dass Dienstreisen ein Ergebnis der Entspannung des Ost-West-Beziehungen Ende der 50er Jahre war, wurde das Reiserecht nicht als etwas betrachtet, dass man weiter ausbauen sollte, sondern als eine Pflicht, die es im Dienst am sozialistischen Staat zu erfüllen galt.
Im dritten Teil meines Vortrags möchte ich mich auf die Beschreibungen offizieller Dienstreisen in den Westen konzentrieren. Die Mehrheit der Verfasser von Reiseliteratur, die über mehr als 40 Jahre lang von Besuchen im Westen berichtet, sind offiziell Reisende. Aufgrund der scharfen Zensur kann man diese Schriften als Anleitungen verstehen, wie man den Westen zu betrachten hat, wo man hingehen soll und wen man treffen muss. Als Ergänzung zu den Verwaltungsvorgängen und zur Polizeiüberwachung dienten sie als eine Art Handbuch, um den Blick und die Wahrnehmungen der Reisenden zu disziplinieren. Ich möchte drei Arten von Reiseliteratur erörtern: Verbotene Bücher, kritisierte Bücher und Bücher, die den Kanon repräsentierten. Auch möchte ich versuchen, in der Beschreibung des Westens die Implikationen der Entspannung der Reisekontrolle in den späten 50er Jahren aufzuspüren. Ein Schwerpunkt soll auf den verschiedenen Waren liegen, deren Erwerb und Einfuhr nach Bulgarien erlaubt war, ein anderer Schwerpunkt soll auf die Darstellungen des materiellen Wohlstands im Westen gelegt werden. Schließlich möchte ich versuchen, Licht in die Beziehung zwischen der Bewegung der Menschen und der Bewegung der Güter im Kontext des sozialistischen Staates zu bringen.