Thomas W. Laqueur, Ph. D.
Professor der Geschichte
University of California, Berkeley
Born in 1945 in Istanbul
Studied Philosophy, History, and Biology at Swarthmore College, at Princeton University and at Nuffield College, Oxford
Schwerpunkt
Cultural Mobility
Arbeitsvorhaben
Namen und Erinnerung von Marathon bis Maya Lin
My project studies the twentieth-century explosion of names and particularly lists of names on monuments and in commemorative services. The Great War is the crucial moment in this history, but I trace the tradition back to the Greeks (Marathon; the Illiad) and forward to the Vietnam Memorial (itself of course a reworking of Luyten's Thiepval monument on the Somme), the AIDS Quilt organized by the NAMES project, and various Holocaust memorialization projects.Recommended Reading
Laqueur, Thomas W. Making Sex: Body and Gender from the Greeks to Freud. Cambridge, MA: Harvard University Press, 1990. German edition Auf dem Leib geschrieben. Frankfurt: Campus, 1993.
-. "Memory and Naming in the Great War." In Commemorations: The Politics of National Identity, edited by John R. Gillis. Princeton, N.J.: Princeton University Press, 1994.
-. "The Sound of Voices Intoning Names." [Review essay by Serge Klarsfeld. Children of the Holocaust.] London Review of Books 19, 1 (5 June 1997).
-. Solitary Sex: A Cultural History of Masturbation. New York: Zone Books, 2003
Kolloquium, 16.12.2003
Die Toten unter den Lebenden: Namen, Körper und Gedenken seit dem Ersten Weltkrieg bis heute
Schon in der Antike sind Namen mit Praktiken des Gedenkens verbunden: in Athen wurden jedes Jahr die Kriegstoten aufgelistet; und die Namen der Helden von Marathon waren immer noch auf den Stelen sichtbar, als Pausanias 800 Jahre nach der Schlacht Athen einen Besuch abstattete. Dieser Umstand fand bei der Einweihung des ersten Nationalfriedhofs der Welt - der Nationalfriedhof von Gettysburg - im Jahr 1863 viel Beachtung. In Klosterkirchen gab es Gedenkbücher, die an die Stifter erinnern sollten; man bewahrte sie in der Nähe des Altars auf. Auch in jüdischen Gemeinden gab es im Mittelalter Gedenkbücher. Vielleicht stimmt es, dass alle Menschen den Wunsch haben, ihren Namen in nächster Nähe des Ortes anbringen zu lassen, an dem auch ihr Körper liegt, wie Wordsworth im ersten seiner Essays on Epitaphs behauptet. Es ist eine Tatsache, dass Namen und Körper auf das Engste miteinander verbunden sind, und während der Name den Körper in dieser Welt bezeichnet und ehrt, verlässt der Körper diese und reist in eine andere Welt oder Welten. Schließlich ist das Festhalten des Namens - ich denke hier an Simondes' Methode der Identifizierung von Toten, deren Körper in einstürzenden Gebäuden zerquetscht werden; bei der Identifizierung versucht man, sich daran zu erinnern, wo die Lebenden gestanden hatten - eine prototypischer Kraftakt des Gedenkens in der westlichen Tradition.
All das zeigt - und das ist die erste entscheidende These meines Vortrags -, dass es eine Explosion von Namen in der Landschaft und in den Praktiken des Gedenkens gegeben hat; diese Entwicklung beginnt im 19. Jh. und steigt nach 1914 und 1939 exponentiell an. Die neuen Friedhöfe, die nach Père Lachaise angelegt wurden, beherbergten diese Namen zuerst; dann folgten die riesenhaften Soldatenfriedhöfe, die die Frontverläufe in Westeuropa und in etwas geringerem Ausmaß auch in Mitteleuropa und im Nahen Osten markieren; sie stellten Millionen neuer Namen zur Schau. Noch wichtiger ist jedoch, dass nach 1920 das erste Mal Namen auf Denkmälern aufgelistet wurden, deren einziger Zweck genau darin bestand: Namen zur Schau zu stellen. Das Denkmal als Projektionsfläche für Namen wurde in Ypern und an der Somme erfunden; es hatte seine Nachfolger auf der Mall in Washington und an Hunderten von Holocaust-Gedenkstätten. Gleichzeitig wurde das Fehlen eines Namens zur Kategorie - der 'Unbekannte Soldat'; dieser Universalkörper stand stellvertretend für alle Körper einer besonderen Art - ihre Namen waren für immer verloren . Das NAMES-Projekt, das einen AIDS-Quilt hergestellt hat, das Verlesen der Namen zur Erinnerung an die Toten des 11. September, das Verteilen von Namen an die Besucher des United States Holocaust Museum and Memorial stehen in der Tradition, die ich hier zu definieren versuche.
Im nächsten Teil meines Vortrags möchte ich die Frage stellen und beantworten, warum diese sehr alte Art des Gedenkens eine so große kulturelle Notwendigkeit in unserer Zeit erlangt hat. Ich möchte mich zuerst den negativen Argumenten zuwenden: obwohl der Staat offenkundig Nationalfriedhöfe und verschiedene Denkmäler zur Ehrung des Unbekannten Soldaten bereitstellt, sind diese Einrichtungen nicht die Frucht staatlichen Einfallsreichtums. Es war die Zivilgesellschaft, die eine Anerkennung der Namen forderte und einen Großteil der frühen Infrastruktur zur Sammlung und Überprüfung der Namen bereitstellte. Das wird nicht durch "Demokratie" erklärt, sondern ist nur eine andere Beschreibung des Problems. Wenn überhaupt, dann ist der Umgang mit Namen und der Akt der Benennung, so wie ich ihn verstehe, etwas, das konstitutiv für eine "Demokratie" ist und sich gleichzeitig von ihr ableitet. Im Folgenden möchte ich die Frage dann neu formulieren: Wodurch erhalten Namen - und die Aufzählung von Namen als Praxis des Gedenkens - eine erneute kulturelle Notwendigkeit von so großem Gewicht? Ich finde eine Antwort in der Geschichte der Namen selbst, in den Befriedigungen des Nominalismus angesichts scheinbar unbegreifbarer Katastrophen und - das ist das Wichtigste - in verschiedenen Praktiken, die die Erzählung eines Lebens herstellen und erfordern; der Ausgang dieser Erzählung ist der Name, der für den toten Körper steht. Die kulturellen Voraussetzungen des Benennens und des Gedenkens sind das Thema dieses Vortrages.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Laqueur, Thomas W. (New York, 2018)
Bodies visible and invisible : the erasure of the Jewish cemetery in the life of modern Thessaloniki
Laqueur, Thomas W. (Princeton [u.a.], 2015)
The work of the dead : a cultural history of mortal remains
Laqueur, Thomas W. (New York, 2003)
Solitary sex : a cultural history of masturbation
Laqueur, Thomas W. (München, 1996)
Auf den Leib geschrieben : die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud Making sex