Dominique Pestre, Ph.D.
Professor der Wissenschaftsgeschichte
École des hautes études en sciences sociales, Paris
Direktor des Centre Alexandre Koyré, Paris
Born in 1950 in Troyes, Aube, France
Studied Physics and History at the University of Reims and at the EHESS
Schwerpunkt
Wisschenschaft und Öffentlichkeit
Arbeitsvorhaben
Technowissenschaft, Markt, Staat, Zivilgesellschaft und politische Optionen: Regime der Produktion und Regulierung von Wissen in den letzten 150 Jahren
Contemporary changes in the place, production, and regulation of knowledge in society are one of the most important questions to be tackled today. Whatever the problems we consider - epistemic problems linked to non-linear science or the place of models and simulations in science and political decisions (in the estimation of climate change for example), social fears and protests vis-à-vis regulations of techno-scientific products (the introduction of GMOs or the future or nuclear wastes), ethical questions (due to the potentialities of genetic engineering), political problems linked to the increase of private science versus open science (as in the battle over the control of new varieties of rice), etc. - they simultaneously imply all the realms of human and collective activities. For that reason, it is essential to better characterize today's regimes of the production, assessment, and regulation of knowledge, their articulation on the economic, financial, and legal modes of social functioning, their insertion in the ways public accountability and political debates are managed, and the performative character they show in recomposing social order.Recommended Reading
Dominique Pestre. History of CERN. Vol. 1, Launching the European Organization for Nuclear Research, with A. Hermann, J. Krige, and U. Mersits. Amsterdam: North Holland, 1987. Vol. 2, Building and Running the Laboratory. Amsterdam, North Holland, 1990 (with A. Hermann, J. Krige, and U. Mersits).
-. Physique et physiciens en France, 1918-1940. Paris: Editions des Archives Contemporaines, 1984, 2nd edition 1992.
-, ed. Science in the Twentieth Century, with J. Krige. Amsterdam: Harwood Academic Publishers, 1997.
-. Heinrich Hertz, L'administration de la preuve, with Michel Atten. Paris: Presses Univ. de France, 2002. Collection Philosophies.
Kolloquium, 20.01.2004
Die Produktion und Regulation der Wissenschaften in der Gesellschaft heute
Mein Vortrag basiert zum Teil auf einer Arbeit, die erst im Entstehen begriffen ist. In der Vergangenheit habe ich mich überwiegend auf eher historische Themen konzentriert. Zunächst arbeitete ich an einer Geschichte der physikalischen Wissenschaften des späten 19. und 20. Jahrhunderts, aber auch über spezielle Disziplinen wie Teilchenphysik und darüber hinaus über die Praxis der Physik in definierten kulturellen und politischen Kontexten wie dem Amerika des Kalten Krieges oder Frankreich in den Jahren zwischen dem ersten und zweiten Weltkrieg. Zweitens habe ich - auf einer eher philosophischen und epistemologischen Ebene - Bücher und Aufsätze über das Funktionieren der physikalischen Wissenschaften als System des Wissens verfasst, etwa darüber, was in verschiedenen Kontexten als Beweis gelten durfte und was als Labortatsache, z. B. im Wilhelminischen Deutschland. In der letzten Zeit habe ich versucht, die Geschichte(n) über einen längeren Zeitraum zu konstruieren; dabei war es mein Ziel, mir theoretische Rahmen vorzustellen, die eine Geschichtsschreibung der Wissenschaften in ihrem sozialen Kontext über lange Zeiträume ermöglichen. Im Zuge der Entwicklung dieser theoretischen Rahmen wurde mir bewusst, was heute geschieht und was in den letzten zwei und drei Jahrzehnten vor sich gegangen ist; wir sollten diese Entwicklungen als eine große Verschiebung in der Produktion und Regulation von Wissenschaft seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts verstehen.
In meinem Vortrag möchte ich diese jüngste Periode betrachten und Ihnen mitteilen, wo ich mich mit meinem Verständnis gerade befinde. Ich möchte meinen Vortrag mit einigen allgemeinen Bemerkungen zur Tatsache beginnen, dass die moderne Wissenschaft (ab dem 16. Jh. ) historisch gesehen stets von Interesse für die politische und ökonomische Macht gewesen ist. Als soziale Institution hat die Wissenschaft schon immer in engem Verhältnis zu den verschiedensten Interessen gestanden und eine große Vielfalt sozialer Räume erschaffen - Gerichtshöfe, Universitäten, Akademien, militärische Institutionen, Ingenieursinstitutionen, geschäftliche und populäre Kontexte usw. Im einem zweiten Abschnitt möchte ich mich dem neuen System der Wissenschaftsproduktion zuwenden, das sich in den letzten drei Jahrzehnten etabliert hat, ein Prozess, der parallel zur Entstehung eines neuen Systems internationaler Regulationen verlaufen ist. Der entscheidende Punkt, den ich hier ausführen möchte, liegt in Folgendem: Wir haben uns von einem Wissenschaftssystem, in dem ein Gleichgewicht zwischen der Wissenschaft als öffentlichem Gut einerseits und der Wissenschaft als industriellem Gut andererseits herrscht, hin zu einem System entwickelt, in dem es jetzt zunehmend um eine marktorientierte Aneignung naturwissenschaftlichen Wissens geht. Die Definitionen von geistigem Eigentum und die Regeln der Patentierung sind einem qualitativen Transformationsprozess unterzogen worden - eine historische Veränderung, deren Konsequenzen in anderen Arbeits- und Veröffentlichungsweisen und in einem anderen Umgang mit Kollegen liegen. Im dritten und vierten Abschnitt möchte ich das Aufkommen neuartiger wissenschaftlicher Praktiken und Produkte betrachten und die Entstehung einer neuen "Zivilgesellschaft" mit neuen und komplexen Beziehungen zur industriellen, technischen Wissenschaft. Da die technisch-industrielle Welt, der das naturwissenschaftliche Wissen jetzt organisch verbunden ist, die Macht hat, unser Leben dramatisch und oft irreversibel zu verändern, ist in vielen Teilen der Bevölkerung eine wachsende Wachsamkeit und eine Forderung nach sozialer Verantwortung an die Oberfläche gestiegen. Schließlich möchte ich ins Auge fassen, in welcher Weise dieses Verständnis uns dabei helfen könnte, Werkzeuge für die Zukunft zu ersinnen. Wenn wir in dieser Diagnose übereinstimmen und wenn wir in Betracht ziehen, dass eine lebendige Demokratie gar nicht anders kann, als sich auf verschiedene "cités de justice" und "modes de dévolution des biens" zu verlassen, könnte man gewisse Vorschläge machen, die uns helfen, einer Situation ins Gesicht zu sehen, die in den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts entstanden ist und noch immer anhält. <br><br>
Dominique Pestre: Die Produktion und Regulation der Wissenschaften in der Gesellschaft heute<br><br>
Mein Vortrag basiert zum Teil auf einer Arbeit, die erst im Entstehen begriffen ist. In der Vergangenheit habe ich mich überwiegend auf eher historische Themen konzentriert. Zunächst arbeitete ich an einer Geschichte der physikalischen Wissenschaften des späten 19. und 20. Jahrhunderts, aber auch über spezielle Disziplinen wie Teilchenphysik und darüber hinaus über die Praxis der Physik in definierten kulturellen und politischen Kontexten wie dem Amerika des Kalten Krieges oder Frankreich in den Jahren zwischen dem ersten und zweiten Weltkrieg. Zweitens habe ich - auf einer eher philosophischen und epistemologischen Ebene - Bücher und Aufsätze über das Funktionieren der physikalischen Wissenschaften als System des Wissens verfasst, etwa darüber, was in verschiedenen Kontexten als Beweis gelten durfte und was als Labortatsache, z. B. im Wilhelminischen Deutschland. In der letzten Zeit habe ich versucht, die Geschichte(n) über einen längeren Zeitraum zu konstruieren; dabei war es mein Ziel, mir theoretische Rahmen vorzustellen, die eine Geschichtsschreibung der Wissenschaften in ihrem sozialen Kontext über lange Zeiträume ermöglichen. Im Zuge der Entwicklung dieser theoretischen Rahmen wurde mir bewusst, was heute geschieht und was in den letzten zwei und drei Jahrzehnten vor sich gegangen ist; wir sollten diese Entwicklungen als eine große Verschiebung in der Produktion und Regulation von Wissenschaft seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts verstehen. <br>
In meinem Vortrag möchte ich diese jüngste Periode betrachten und Ihnen mitteilen, wo ich mich mit meinem Verständnis gerade befinde. Ich möchte meinen Vortrag mit einigen allgemeinen Bemerkungen zur Tatsache beginnen, dass die moderne Wissenschaft (ab dem 16. Jh. ) historisch gesehen stets von Interesse für die politische und ökonomische Macht gewesen ist. Als soziale Institution hat die Wissenschaft schon immer in engem Verhältnis zu den verschiedensten Interessen gestanden und eine große Vielfalt sozialer Räume erschaffen - Gerichtshöfe, Universitäten, Akademien, militärische Institutionen, Ingenieursinstitutionen, geschäftliche und populäre Kontexte usw. Im einem zweiten Abschnitt möchte ich mich dem neuen System der Wissenschaftsproduktion zuwenden, das sich in den letzten drei Jahrzehnten etabliert hat, ein Prozess, der parallel zur Entstehung eines neuen Systems internationaler Regulationen verlaufen ist. Der entscheidende Punkt, den ich hier ausführen möchte, liegt in Folgendem: Wir haben uns von einem Wissenschaftssystem, in dem ein Gleichgewicht zwischen der Wissenschaft als öffentlichem Gut einerseits und der Wissenschaft als industriellem Gut andererseits herrscht, hin zu einem System entwickelt, in dem es jetzt zunehmend um eine marktorientierte Aneignung naturwissenschaftlichen Wissens geht. Die Definitionen von geistigem Eigentum und die Regeln der Patentierung sind einem qualitativen Transformationsprozess unterzogen worden - eine historische Veränderung, deren Konsequenzen in anderen Arbeits- und Veröffentlichungsweisen und in einem anderen Umgang mit Kollegen liegen. Im dritten und vierten Abschnitt möchte ich das Aufkommen neuartiger wissenschaftlicher Praktiken und Produkte betrachten und die Entstehung einer neuen "Zivilgesellschaft" mit neuen und komplexen Beziehungen zur industriellen, technischen Wissenschaft. Da die technisch-industrielle Welt, der das naturwissenschaftliche Wissen jetzt organisch verbunden ist, die Macht hat, unser Leben dramatisch und oft irreversibel zu verändern, ist in vielen Teilen der Bevölkerung eine wachsende Wachsamkeit und eine Forderung nach sozialer Verantwortung an die Oberfläche gestiegen. Schließlich möchte ich ins Auge fassen, in welcher Weise dieses Verständnis uns dabei helfen könnte, Werkzeuge für die Zukunft zu ersinnen. Wenn wir in dieser Diagnose übereinstimmen und wenn wir in Betracht ziehen, dass eine lebendige Demokratie gar nicht anders kann, als sich auf verschiedene "cités de justice" und "modes de dévolution des biens" zu verlassen, könnte man gewisse Vorschläge machen, die uns helfen, einer Situation ins Gesicht zu sehen, die in den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts entstanden ist und noch immer anhält.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Pestre, Dominique (Frankfurt am Main, 2015)
Bankspeak: the language of World Bank Reports, 1946–2012 Stanford Literary Lab: Pamphlets ; 9
Pestre, Dominique (Paris, 2013)
Á contre-science : politiques et savoirs des sociétés contemporaines La couleur des idées
Pestre, Dominique (Paris, 2013)
Les sciences, ça nous regarde : histoires surprenantes de nos rapports aux sciences et aux techniques Les empêcheurs de penser en rond
Pestre, Dominique (Paris, 2011)
Pestre, Dominique (2010)
Pestre, Dominique (2009)
Understanding the forms of government in today's liberal societies : an introduction
Pestre, Dominique (2008)
Pestre, Dominique (2007)
Pestre, Dominique ([s.l.], 2007)
Pestre, Dominique (2006)
Scientists in time of war : World War II, the Cold War, and sciences in the United States and France