Rudolf G. Wagner, Dr. phil.
Professor der Sinologie
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Geboren 1941 in Wiesbaden; verstorben 2019 in Heidelberg.
Studium der Sinologie, Politikwissenschaft und Philosophie an den Universitäten Heidelberg, München und Paris
Arbeitsvorhaben
Das Leben und die Zeiten eines Kulturmanagers: Ernest Major, der britische Manager von Chinas wichtigster Zeitung der frühen Jahre (Shenbao, Shanghai, 1872-1949)
While government gazettes have a long history in China, the newspaper was a new and Western import. Still, it offered itself as the realization of an old Chinese ideal, the flow of information between the court and the people, between state and society. Protected by Shanghai's special status, the Shenbao and its imitators and competitors created a public space outside of the court's control in which many of the issues of the nation could be discussed by people with no formal standing in the bureaucracy. The project will focus on the particular dynamics of a public sphere that is concentrated in an enclave beyond government control, as well as the particular role of foreigners in this development.Recommended Reading
Rudolf G. Wagner. The Craft of a Chinese Commentator: Wang Bi on the Laozi. Albany: Suny, 2000.
-. "The Early Chinese Newspapers and the Chinese Public Sphere." European Journal of East Asian Studies 1 (2001): 1-34.
-. Language, Ontology, and Political Philosophy in China: Wang Bi's Scholarly Exploration of the Dark (Xuanxue). Albany: Suny, 2003.
Kolloquium, 01.06.2004
Das Leben mit einem kulturellen Implantat. Die Tageszeitung Shenbao in Shanghai (1872-)
Hintergrund:
Shenbao ist die erste Tageszeitung in chinesischer Sprache, die diesen Namen verdient. Sie wurde 1872 in der "Shanghai International Settlement" (SIS) von vier ausländischen Investoren gegründet; als Herausgeber und Geschäftsführer fungierte einer der Investoren, der Engländer Ernest Major (1841-1908) aus London. Während die Errichtung der SIS eine Folge des britisch-chinesischen Opiumkriegs war, war sie doch im Kern eine Ansiedlung und keine Kolonie. Aufgrund ihrer ausgezeichneten geo-ökonomischen Lage wurde die Siedlung bald zu einer blühenden Handelsstadt mit überwiegend chinesischer Bevölkerung, denn eine größere Anzahl oft wohlhabender Chinesen war dorthin vor dem Taiping-Bürgerkrieg geflohen. Die SIS wurde von einer städtischen Ratsversammlung regiert, die von den "ausländischen Landpächtern" gewählt wurde. Dieser Rat regierte die SIS wie eine Hansestadt - auf der Basis eines von allen geteilten Interesses an Wohlstand und Lebensqualität und weniger im Sinne einer moralischen oder ideologischen Herrschaft.
Die Shenbao-Zeitung war auf die chinesische Bevölkerung in der Stadt zugeschnitten und entwickelte von Anfang an ein chinaweites Korrespondenten- und Vertriebsnetz. In der Shenbao wurde der Pekinger Regierungsanzeiger abgedruckt, sie brachte chinesische und internationale Nachrichten und veröffentlichte einen oder mehrere Leitartikel am Tag, von denen viele von Lesern geschrieben wurde. Sie verband Nachrichten, Unterhaltung und Meinung. Auf diese Weise wurde sie bald zur unabhängigen Plattform für einen neuen "nationalen" Bereich und einem Ort des öffentlichen Diskurses. Von Anfang an entwickelte sich Shenbao als größerer Verlag, der günstige, qualitativ hochwertige Bücher veröffentlichte; sie reichten von klassischen Texten zur Examensvorbereitung über neue Romane, die Texte chinesischer Staatsverträge mit anderen Ländern, Sammlungen von Gedichten, die von Frauen verfasst wurden, bis hin zu Werken von Gelehrten, die aufgrund des Taiping-Krieges unveröffentlicht geblieben waren. Eine nicht unerhebliche Anzahl gebildeter Männer und (in geringerem Umfang) Frauen, die zumeist aus dem Gebiet des unteren Jangtse stammten, hatten direkt mit dem Unternehmen Kontakt oder gehörten dazu. Sie waren Journalisten, gaben Bücher heraus, schrieben Briefe oder waren Abonnenten. Sie ließen ihre Gedichte oder Essays hier veröffentlichen oder nahmen an den äußerst beliebten Literaturwettbewerben teil, die von der Zeitung organisiert wurden. Die Shenbao bildete die erste Generation professioneller chinesischer Journalisten aus und setzte ethische Maßstäbe für sie. Viele von ihnen saßen später auf den Führungsposten anderer Zeitungen, die allmählich von anderen Ausländern aufgebaut wurden.
Nach dem Vorbild des Shenbao-Unternehmens entstanden weitere Verlagshäuser, meist in chinesischer Hand, die der Auswahl, der redaktionellen Sorgfalt und dem Einsatz neuer Techniken wie der Lithographie nacheiferten. Rasch entwickelte sich Shanghai zur Medienhauptstadt Chinas. Bis 1949 hatten die meisten größeren und kleineren chinesischen Zeitungen, Zeitschriften, Verlage, schließlich auch Radio- und Filmfirmen ihren Sitz in der "International Settlement" - außerhalb des Zugriffs der chinesischen Regierung. In den aktuellen Forschungen zur VR China haben die ausländischen Enklaven wie Shanghai eine Neubewertung erfahren - von Vorposten imperialistischer und kolonialistischer Ausbeutung hin zu Lokomotiven der Modernisierung Chinas -, um empfindsamen ausländischen Investoren in den Zeiten nach Vietnam eine Gefälligkeit zu erweisen. Die Medien sind von dieser Neubewertung ausgenommen. Die Zeitungen vor 1900 bleiben Symbole des "Kulturimperialismus", und die wahrhaft "chinesische" Presse beginnt erst mit den politisch engagierten Zeitungen im Zuge der Hundert-Tage-Reform; diese Zeitungen wurden von chinesischen Reformern oder Revolutionären herausgegeben.
Fragen:
Was hatte der junge Engländer, der 1861 nach China gekommen war, eigentlich vor, als er eine chinesischsprachige Zeitung in Shanghai auf die Beine stellte?
In welcher Position und auf welche Weise situierte sich die Zeitung - aufgrund ihrer eigenen öffentlichen Erklärungen zur Funktion einer Zeitung - in der chinesischen Öffentlichkeit und den gereizten Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft? <br>
Ist eine unabhängige kommerzielle Zeitung als Innovation in China mit neu entstehenden gesellschaftlichen Kräften verbunden, und wenn ja, mit welchen?
Auf welche Vorstellungen und auf welche Rhetorik stützen sich diese Kräfte?<br>
Wie beziehen sich diese auf das Imaginäre, in das sich Shenbao eingeschrieben hat, und auf die Rhetorik, die dazu verwendet worden ist?
Gibt es eine ungleichmäßige Dichte und Verteilung von Öffentlichkeit in Ländern, die sich im "Entwicklungsprozess der Moderne" befinden - ähnlich einer dualen Ökonomie?
Welches waren die Langzeiteffekte der ursprünglichen Implantationsbedingungen, unter denen die Zeitungen in China gegründet wurden?
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Wagner, Rudolf G. (2009)
Secularization : Confucianism and Buddhism
Wagner, Rudolf G. (Albany, NY, 2003)
A Chinese reading of the Daodejing : Wang Bi's commentary on the Laozi with critical text and translation Wang Bi's commentary on the Laozi with critical text and translation
Wagner, Rudolf G. (Albany, NY, 2003)
Language, ontology, and political philosophy in China : Wang Bi's scholarly exploration of the dark (xuanxue) Xuanxue
Wagner, Rudolf G. (Albany, NY, 2000)
The craft of a Chinese commentator : Wang Bi on the Laozi SUNY series in Chinese philosophy and culture
Wagner, Rudolf G. (Cambridge, Mass, 1992)
Inside a service trade : studies in contemporary Chinese prose Harvard-Yenching Institute monograph series ; 34
Wagner, Rudolf G. (Berkeley, Cal. u.a., 1990)
The contemporary Chinese historical drama : four studies
Wagner, Rudolf G. (Frankfurt am Main, 1983)
Literatur und Politik in der Volksrepublik China Edition Suhrkamp ; 1151 = N.F., 151
Wagner, Rudolf G. (Berkeley, 1982)
Reenacting the heavenly vision : the role of religion in the Taiping rebellion China research monograph ; 25