Nancy Fraser, Ph.D.
Professorin der Philosophie und Politikwissenschaft
New School University, New York
Born in 1947 in Baltimore, MD
Studied Philosophy at the City University of New York
Arbeitsvorhaben
Postnationale demokratische Gerechtigkeit
Until recently, most theorists of justice have tacitly assumed the Westphalian sovereign state as the frame of their inquiry. Today, however, given the acceleration of globalization, questions of social justice need to be reframed. Whether the issue is structural adjustment or indigenous land claims, immigration or global warming, unemployment or homosexual marriage, the requirements of justice cannot be ascertained unless we ask: Who precisely are the relevant stakeholders? Which matters are genuinely national, which local, which regional, and which global? Who should decide such matters, and by what decision-making processes? I propose to address such issues by theorizing the relations among three dimensions of justice: distribution, recognition, and representation. I shall argue that today's questions of distribution and recognition are inextricably imbricated with questions of representation. As a result, there is no alternative to a politics of representation, in which the framing of questions of justice becomes a matter for democratic deliberation. Thus, a politics of redistribution and recognition must be joined to a politics of representation, and the theory of social justice must become a theory of democratic justice.Recommended Reading
Fraser, Nancy. Unruly Practices: Power, Discourse and Gender in Contemporary Social Theory. Minneapolis: University of Minnesota Press and Polity Press, 1989. German edition: Widerspenstige Praktiken: Macht, Diskurs, Geschlecht. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1994.
-. Justice Interruptus: Critical Reflections on the "Postsocialist" Condition. New York: Routledge, 1997. German edition: Die halbierte Gerechtigkeit: Schlüsselbegriffe des postindustriellen Sozialstaats. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2001.
Fraser, Nancy and Axel Honneth. Redistribution or Recognition? A Political-Philosophical Exchange. London: Verso, 2004. German edition: Umverteilung oder Anerkennung? Eine politisch-philosophische Kontroverse. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2003.
Kolloquium, 28.06.2005
Abnormal Justice
Die Globalisierung verändert die Art und Weise, wie wir uns mit Gerechtigkeit auseinandersetzen. Vor gar nicht langer Zeit - als die Sozialdemokratie den Gipfel ihres Einflusses erreicht hatte - bezogen sich die Diskussionen um Gerechtigkeit auf einen "keynsianisch-westfälischen" Rahmen. Wurden solche Diskussionen in nationalen Öffentlichkeiten ausgetragen, betrafen sie die Beziehungen zwischen den Bürgern und befassten sich mit der Frage, wie die Nationalstaaten Missstände beseitigen könnten. Ob es sich dabei um Umverteilung oder Anerkennung, um Klassenunterschiede oder Statushierarchien handelte: stets blieb unausgesprochen, dass die Einheit, in der Gerechtigkeit herrschen sollte, der moderne Territorialstaat war.
Obwohl dies zu jener Zeit unbemerkt geblieben war, verlieh der keynsianisch-westfälische Rahmen den Auseinandersetzungen um soziale Gerechtigkeit eine spezifische Form. Indem man den modernen Territorialstaat selbstverständlich als angemessene Einheit und dementsprechend seine Bürger als Staatsbürger hinnahm, befassten sich diese Auseinandersetzungen damit, was diese Bürger einander schuldig waren. Davon in Anspruch genommen, den Gegenstand oder das Was der Gerechtigkeit zu diskutieren, fanden es die streitenden Parteien offenbar nicht notwendig, sich mit dem Subjekt oder dem Wer zu befassen. Da der keynsianisch-westfälische Rahmen noch sicher stand, nahmen die Diskussionen ihren Lauf ohne die explizite Formulierung, dass das Wer die nationale Bürgerschaft war.
Heute jedoch hat der keynsianisch-westfälische Rahmen die Aura des Selbstverständlichen verloren. Angesichts des globalen Treibhauseffekts, der Ausbreitung von AIDS, angesichts von internationalem Terror und dem Unilateralismus der einzig verbliebenen Supermacht glauben viele, dass ihre Aussichten auf ein gutes Leben gleichermaßen von Prozessen abhängen, die die Grenzen der Territorialstaaten überschreiten, wie von Prozessen innerhalb jener Grenzen.
Unter diesen Bedingungen sprengen die Auseinandersetzungen um Gerechtigkeit den keynsianisch-westfälischen Rahmen. Wenn man früher den Schwerpunkt der Diskussionen ausschließlich auf die Frage legte, was die Gemeinschaft einem ihrer Mitglieder gerechterweise schuldig ist, so verlagert sich die Diskussion jetzt recht schnell auf die Frage, wer als Mitglied zählen soll und welche Gemeinschaft der relevante Bezugspunkt ist. Nicht nur das Was steht zur Diskussion, sondern auch das Wer; nicht nur die Substanz, sondern der Rahmen wird in Frage gestellt.
Das Ergebnis ist eine große Herausforderung an unsere Theorien sozialer Gerechtigkeit. Da sie sich überwiegend mit Verteilungs- und/oder Anerkennungsproblemen erster Ordnung beschäftigen, haben diese Theorien bislang noch keine konzeptionellen Ressourcen entwickelt, um eine Reflexion des Rahmens als Metaproblem zu ermöglichen. Wie die Dinge stehen, ist es also keineswegs gesagt, dass diese Theorien die Probleme der Gerechtigkeit im Zeitalter der Globalisierung klären können.
In diesem Vortrag möchte ich eine Strategie vorschlagen, damit wir über das Problem des Rahmens nachdenken können. Zunächst vertrete ich die These, dass die Theorie der Gerechtigkeit dreidimensional werden muss - sie muss die politische Dimension der Repräsentation, die ökonomische Dimension der Verteilung und die kulturelle Dimension der Anerkennung in sich aufnehmen, wenn wir mit der Problematik in einer befriedigenden Weise umgehen wollen. Zweitens vertrete ich die These, dass die politische Dimension der Repräsentation als etwas verstanden werden muss, das alle drei Ebenen umfasst. Diese beiden Argumente führen einen Paradigmenwechsel herbei: Was im Kontext des keynsianisch-westfälischen Rahmens als Theorie sozialer Gerechtigkeit entworfen worden ist, muss jetzt in eine Theorie nachwestfälischer demokratischer Gerechtigkeit übergehen.
Abendkolloquium , 10.11.2004
Re-Framing Justice for a Globalizing World
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Fraser, Nancy (New York, NY, 2017)
Fraser, Nancy (2015)
Fraser, Nancy (2013)
A triple movement : parsing the politics of crisis after Polanyi
Fraser, Nancy (2009)
Reenquadrando a justiça em um mundo globalizado
Fraser, Nancy (2008)
Gerechtigkeit in der globalisierten Welt
Fraser, Nancy (Florianópolis, 2007)
Mapeando a imaginação feminista : da redistribuição ao reconhecimento e à representação
Fraser, Nancy (2007)
Democratic justice in a globalizing age : thematizing the problem of the frame
Fraser, Nancy (2007)
Fraser, Nancy (2006)
Reinventar la justicia en un mundo globalizado
Fraser, Nancy (2006)
Mapping the feminist imagination : from redistribution to recognition to representation