Judith Korb, Dr. rer. nat.
Biologie
Universität Regensburg
Geboren 1967 in Wertheim
Studium der Biologie an der Universität Würzburg
Arbeitsvorhaben
Evolution von Kooperation innerhalb einer Art und zwischen Arten
Die Evolution des Lebens ist gekennzeichnet durch die sogenannten "großen evolutionären Übergänge", bei denen sich biologisch unabhängige Einheiten kooperativ zu komplexeren Systemen zusammenschlossen (unabhängige Replikatoren -> Chromosomen; Prokaryoten -> Eukaryoten; Einzeller -> Vielzeller). Diese komplexeren Systeme stellten revolutionäre Neuheiten dar und bilden heute neue Ebenen der Selektion. Ihre Entstehung wirft allerdings evolutionstheoretische Probleme auf: Wie und warum konnten sich egoistische, unabhängige Einheiten kooperativ zusammenschließen und erfolgreich fortbestehen?In meinen Arbeiten dienen soziale Termiten als vergleichbare, aber leichter zugängliche Modellsysteme, um die Evolution kooperativer Assoziationen zu studieren. Hierbei kann ich das Auftreten von Kooperation auf zwei Ebenen experimental untersuchen und analysieren: (i) Kooperation zwischen Individuen einer Art (Auftreten von "altruistischen" Arbeitern und Soldaten) und (ii) Kooperation zwischen zwei Arten (Symbiose zwischen Pilzzüchtenden Termiten und ihren Pilzen).
Während des Aufenthalts am Wissenschaftskolleg möchte ich u. a. theoretische Modelle zur Evolution von Kooperation auf beiden Ebenen entwickeln (Zusammenarbeit mit der Schwerpunktgruppe "Konfliktlösung in biologischen Systemen" um Francis Ratnieks) und als Mitherausgeberin an einem neuen Buch zur "Ökologie des Sozialverhaltens" arbeiten.
Lektüreempfehlung
Korb, J. and D. K. Aanen. "The Evolution of Uniparental Transmission of Fungus-Growing Termites (Macrotermitinae)." Behavioral Ecology and Sociobiology 53 (2003): 65-71.
Korb, J. and J. Heinze. "Multilevel Selection and Social Evolution of Insect Societies." Naturwissenschaften 91 (2004): 291-304.
Korb, J. and S. Schmidinger. "Help or Reproduce? The Influence of Food Availability on Kin-Based Altruism in the Drywood Termite Cryptotermes secundus."
Behavioral Ecology and Sociobiology 56 (2004): 89-95.
Kolloquium, 25.11.2004
Evolution of Cooperation in Biological Systems
Kooperation spielt eine zentrale Rolle in der Evolution des Lebens. Sie charakterisiert alle großen Übergänge der Evolution, bei denen unabhängige biologische Einheiten neue Stadien höherer Komplexität bildeten, die heute neue Selektionsebenen darstellen (unabhängige Replikatoren -> Chromosomen; Prokaryonten -> Eukaryonten; Einzeller -> Vielzeller; Individuen -> Tiergemeinschaften; Maynard Smith & Szathmáry 1995). Die Entstehung von Kooperation wirft allerdings evolutionsbiologische Probleme auf. Generell sind Interaktionen zwischen Organismen geprägt durch Konkurrenz um limitierende Ressourcen und natürliche Selektion begünstigt egoistische Individuen, die diese am erfolgreichsten ausbeuten. Wie kann dann stabile Kooperation entstehen, wenn Betrüger (d.h. Individuen mit wenig kooperativen Eigenschaften, welche die Kosten der Kooperation vermeiden und Kooperation ausbeuten) oder Trittbrettfahrer (d.h. Betrüger, die zusätzlich bevorzugt kooperative Gruppen aufsuchen) evolutionär begünstigt werden und zum Zusammenbruch der Kooperation führen (Paradoxon der Trittbrettfahrer; Tragik der Allmende).
Soziale Insekten (Ameisen, Wespen, Bienen und Termiten) stellen gute Modellsysteme dar, um die Evolution von Kooperation zu untersuchen. Im Gegensatz zu den anderen Selektionsebenen (siehe oben) sind soziale Insekten relativ leicht zugänglich und manipulierbar. In solchen Insektengemeinschaften, geben Individuen (Arbeiter, Soldaten) eigene Fortpflanzung auf, und werden sogar steril, um anderen Individuen bei der Fortpflanzung zu helfen. In der Regel helfen diese Altruisten nahen Verwandten, um deren Fortpflanzungserfolg zu erhöhen. Solch ein Verwandten-bezogenes Verhalten stellt einen Mechanismus dar, wie 'teures' kooperatives Verhalten entstehen kann: Verwandtenselektion. Ähnlich setzen sich Vielzeller aus nah-verwandten Zellen zusammen, die eine gemeinsame Abstammung haben.
Verwandtenselektion ist allerdings nur ein spezieller Fall eines allgemeingültigen Mechanismus wie Kooperation entstehen kann: 'Multilevel'-Selektion (Merkmalsgruppen-Selektion). Mathematische Modelle haben gezeigt, dass in strukturierten Populationen, in denen sich Altruisten eher untereinander assoziieren als mit Betrügern ('positive Auswahl'), Kooperation selektiert werden kann. Obwohl Altruisten innerhalb einer Gruppe weniger 'erfolgreich' sind als egoistische Individuen (negative Selektion innerhalb der Gruppe), kann Kooperation selektiert werden, weil Gruppen mit mehr Altruisten 'erfolgreicher' sind als Gruppen mit weniger Altruisten. (positive Selektion zwischen Gruppen). 'Positive Auswahl' innerhalb von Populationen muss nicht auf direkten Erkennungsmechanismen basieren, ihr können vielmehr verschiedene indirekte Mechanismen zugrunde liegen: z.B. Verwandtschaft; ungleichmäßige Verteilung von Ressourcen; Generationen-übergreifende Gruppen oder Reputation. In solchen strukturierten Populationen fördert Zwischen-Gruppen-Selektion auch die Entstehung von Mechanismen, die Konflikte innerhalb der Gruppe lösen oder reduzieren, da diese Konflikte die Gruppenproduktivität herabsetzen. So kann 'Policing' (ein Bestrafungssystem) gegenüber egoistischen Individuen entstehen, welches man in ähnlicher Weise bei sozialen Insekten, Vielzellern und auf der Genomebene findet. Die Keimbahnabtrennung bei Vielzellern kann als ein Mechanismus angesehen werden, der das Konfliktpotential herabsetzt, indem die Fortpflanzungsfähigkeit auf wenige Zellen beschränkt und eine 'Interessensgemeinschaft' erzielt wird. Dieser Abtrennung entspricht die Entstehung von sterilen Arbeitern in großen Insektenstaaten.
Soziale Insekten werden seit Langem im Rahmen der Verwandtenselektionstheorie betrachtet, wobei eine starke Betonung auf Verwandtschaft als Triebkraft der sozialen Evolution lag. Jüngere Ergebnisse zeigen jedoch, dass die Verwandtenkomponente eventuell überschätzt wurde: es gibt Wespen-Gemeinschaften, die sich aus nicht-verwandten Individuen zusammensetzen; in einer Gruppe basal-stehender Termiten scheinen Verwandtschaft und Verwandten-Hilfe nicht die Triebkraft für das Vorkommen von Arbeitern zu sein; die Organisation vieler Insektenkolonien ist erstaunlich stabil gegenüber Änderungen im Verwandtschaftsgrad. Dies alles deutet daraufhin, dass Zwischen-Gruppen-Selektion (zwischen Kolonien) eine wichtige Rolle in Insektengemeinschaften spielt. Diesen vernachlässigten Aspekt möchte ich durch die Anwendung von Methoden der 'Multilevel'-Selektion bei sozialen Insekten, insbesondere Termiten, untersuchen.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Korb, Judith (London [u.a.], 2011)
Inclusive fitness theory and eusociality
Korb, Judith (2009)
Termites : an alternative road to eusociality and the importance of group benefits in social insects
Korb, Judith (2008)
The ecology of social evolution in termites
Korb, Judith (Berlin, 2008)
Korb, Judith (Düsseldorf, 2005)
Die ältesten sozialen Wesen der Erde : Dr. Judith Korb über die Termiten : Alexander Kluge im Gespräch mit Judith Korb 10 vor 11
Korb, Judith (2004)
Korb, Judith (2004)
A new technique for termite monitoring using computer tomography and endoscopy
Korb, Judith (Oxford, 2004)
Korb, Judith (2004)
Multilevel selection and social evolution of insect societies
Korb, Judith (Berlin, 2004)
Help or disperse? : cooperation in termites influenced by food conditions