Stefan M. Maul, Dr. phil.
Professor für Altorientalistik
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Geboren 1958 in Aachen
Studium der Assyriologie, Vorderasiatischen Archäologie und
Ägyptologie an der Georg-August-Universität, Göttingen
Arbeitsvorhaben
Die "Lösung vom Bann": Eine Untersuchung der altorientalischen Konzeptionen von Krankheit und Heilkunst
Anhand von bisher unveröffentlichten Beschreibungen keilschriftlicher Heilverfahren, die im 2. und 1. vorchristlichen Jahrtausend auf Tontafeln niedergelegt wurden, sollen die weltbildbezogenen assyrisch-babylonischen Konzeptionen von Krankheit und Heilkunst erarbeitet werden, die die Grundlage für die Medizin der klassischen Antike bildeten.Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die in Kompendien zusammengestellten Beschreibungen der Behandlung einer schweren Abdominalerkrankung, die "Bann" genannt wurde. Schon der Name der Krankheit zeigt, dass die mesopotamischen Heiler keineswegs das akute und durchaus charakteristische Krankheitsbild als kennzeichnende Eigenart dieses Leidens betrachteten. Das eigentliche Wesen der als "Bann" bezeichneten Krankheit sahen sie vielmehr in einer massiven Störung im Verhältnis zwischen dem erkrankten Menschen und den Göttern. Das Krankheitsbild entwickelte sich aus der Sicht der mesopotamischen Heiler von ökonomischen Schwierigkeiten über Beeinträchtigungen psychischer Art bis hin zu lebensbedrohlichen somatischen Störungen.
Die langwierigen therapeutischen Verfahren, die die mesopotamischen Heiler empfehlen, sehen nur in ihrem abschließenden Teil die Verabreichung von genau beschriebenen Medikamenten vor. Zuvor wurden mit Mitteln, die Formen der modernen Gestalttherapie nicht unähnlich sind, die tieferen, auf Schuld und Vergehen zurückgeführten Ursachen der Krankheit beseitigt.
Lektüreempfehlung
Maul, Stefan M. Zukunftsbewältigung: Eine Untersuchung altorientalischen Denkens anhand der babylonisch-assyrischen Löserituale (Namburbi). Mainz:
von Zabern, 1994 (Baghdader Forschungen, Band 18).
-. "Der Sieg über die Mächte des Bösen: Götterkampf, Triumphrituale und Torarchitektur in Assyrien." In Gegenwelten: zu den Kulturen Griechenlands und
Roms in der Antike, herausgegeben von Tonio Hölscher, 19-46. München u. a.: Saur, 2000.
-. "Omina und Orakel. A. In Mesopotamien." In Reallexikon der Assyriologie und vorderasiatischen Archäologie, herausgegeben von Dietz Otto Edzard, 45-88.
Berlin und New York: de Gruyter, 2003. (Bd. 10, Lfg. 1+2 Oannes ( Pabilsag[a]).
Kolloquium, 07.11.2004
Die "Lösung vom Bann". Überlegungen zu altorientalischen Konzeptionen von Krankheit und Heilkunst
Bei Ausgrabungen in Assur, der alten Hauptstadt Assyriens, die im Jahre 614 v. Chr. von den Medern eingenommen und vollständig zerstört wurde, fanden sich in den Ruinen eines Privathauses Hunderte von in kleine Scherben zerbrochenen Tontafeln. Man war auf die Reste der Bibliothek eines Gelehrten gestoßen, dessen assyrische Berufsbezeichnung aschipu nur unzulänglich mit "Beschwörungspriester" oder "Exorzist" wiedergegeben werden kann. Die Durchsicht des Tafelbestandes erwies, daß der aschipu keineswegs, so wie man es erwartet hatte, allein mit der Durchführung von magisch-religiösen Ritualen betraut war. Ein großes Corpus von rational erscheinenden medizinischen Rezepturen zählte ebenso zu seinem Arbeitsmaterial. Die kaum in Frage gestellte These, im Alten Orient hätten sich zwei voneinander geschiedene und ggf. miteinander konkurrierende Disziplinen, nämlich die rationale Medizin und die irrationale Magie, um die Heilung der Menschen bemüht, ist damit nicht mehr haltbar.
Im Lichte dieser wichtigen Erkenntnis soll eine Neubewertung der Heilkunde des Alten Orients vorgenommen werden, die zum Ziel hat, die Zusammengehörigkeit der beiden wohl nur aus unserem Blickwinkel zu scheidenden Therapieformen aufzuzeigen.
Tontafeln aus der Bibliothek des "Beschwörungspriesters" von Assur liefern das Material für eine solche Untersuchung. Für das Forschungsvorhaben erscheint die genauere Betrachtung des umfangreichen, noch unveröffentlichten Schrifttums, das sich mit einer Krankheit beschäftigt, die mamitu, "Bann", genannt wurde, als besonders geeignet. Bereits der Name der Krankheit zeigt, daß die mesopotamischen Heiler keineswegs das akute und durchaus charakteristische Krankheitsbild als kennzeichnende Eigenart dieses Leidens betrachteten. Das eigentliche Wesen der als "Bann" bezeichneten Krankheit sahen sie vielmehr in einer massiven Störung im Verhältnis zwischen dem erkrankten Menschen und den Göttern, die im Zorn über ein Vergehen den "Bann" über einen Menschen verhängt hatten.
Die zahlreichen Keilschrifttexte, die sich mit der Krankheit "Bann" beschäftigen, vermitteln ein genaues Bild von der Vorstellung der altorientalischen Heiler, wie die Krankheit mamitu zu wirken begann. Dem aschipu zeigten sich erste Hinweise auf die Krankheit "Bann" in ökonomischen Schwierigkeiten des Betroffenen. Im Krankheitsbild folgten dann Beeinträchtigungen psychischer Art, die in den lebensbedrohlichen somatischen Störungen einer Abdominalerkrankung gipfelten. Die langwierigen therapeutischen Verfahren, die die mesopotamischen Heiler empfahlen, sehen lediglich in ihrem abschließenden Teil die Verabreichung von Medikamenten vor. Zwar wurden die physischen Symptome des Patienten mit Klistieren, Kräuterumschlägen, medizinischen Bädern, Salben und Säften behandelt. Doch im Denken eines mesopotamischen Heilers bliebe ein Kurieren der physischen Symptome einer Erkrankung letztlich wirkungslos, wenn nicht deren transzendente Ursache beseitigt und eine grundlegende Harmonie zwischen dem Menschen und dem Göttlichen wiederhergestellt wird. Mit Mitteln, die Formen der modernen Gestalttherapie nicht unähnlich sind, sollten die tieferen, auf Schuld und Vergehen zurückgeführten Ursachen der Krankheit beseitigt werden.
Abendkolloquium , 21.04.2005
Vom Bild zum Wort. Die Erfindung der Schrift
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Maul, Stefan M. (Tokyo, 2005)
Die Inschriften von Tall Ṭābān (Grabungskampagnen 1997 - 1999) : die Könige von Ṭābētu und das Land Māri in mittelassyrischer Zeit Acta Sumerologica : Supplementary series ; 2
Maul, Stefan M. (München, 2005)
Das Gilgamesch-Epos Gilgamesch <dt.>
Maul, Stefan M. (2003)
Maul, Stefan M. (1999)
Gottesdienst im Sonnenheiligtum zu Sippar
Maul, Stefan M. (Mainz am Rhein, 1994)
Zukunftsbewältigung : eine Untersuchung altorientalischen Denkens anhand der babylonisch-assyrischen Löserituale (Namburbi) Baghdader Forschungen ; 18
Maul, Stefan M. (Berlin, 1992)
Die Inschriften von Tall Bderi Die Ausgrabung von Tall Bdēri ; 1
Maul, Stefan M. (Wiesbaden, 1988)
"Herzberuhigungsklagen" : die sumerisch-akkadischen Eršaḫunga-Gebete Herzberuhigungsklagen