Thomas Vesting, Dr. iur.
Professor für Öffentliches Recht, Recht und Theorie der Medien
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Geboren 1958 in Detmold, Westfalen
Studium der Rechtswissenschaft und Politikwissenschaft
an der Universität Tübingen
Arbeitsvorhaben
Die Medien des Rechtsdenkens
Das Projekt fragt nach dem Zusammenhang von Veränderungen im Medienhaushalt der Gesellschaft und der Evolution juristischen Denkens. Rechtsdenken ist unauflöslich an soziale Kommunikation und damit an (Kommunikations-)Medien gebunden. Dabei kommt dem akustischen Lautstrom der Sprache zwar insofern eine Sonderstellung zu, als Bewusstseinszustände ohne Akustik sozial nicht synchronisiert werden können. Die Formen der Sprache (und des juristischen Denkens) verändern sich aber, wenn die Gesellschaft Schrift, Buchdruck und elektronische Medien erfindet und diese als Kommunikationsmittel einsetzt. <br>Juristisches Denken im Sinne eines auf ein abgrenzbares "System" bezogenes und von ihm unterschiedenes Gewebe abstrakter, von der Lautlichkeit der Sprache (und der Musik) abgetrennter "Gedanken" wird erst durch die phonetische Buchstabenschrift möglich. Dieser evolutionäre Einschnitt wird medienhistorisch mit der Erfindung der Alphabetschrift in Griechenland um 700 v. Chr. erreicht. Erst in Rom kommt es jedoch zur Ausarbeitung eines expliziten, über Gerichtsrhetorik hinausgehenden Rechtsdenkens. Der nächste evolutionäre Einschnitt wird durch den Buchdruck ausgelöst: Damit wird insbesondere im 19. Jahrhundert ein systematisches juristisches Wissen formulierbar und kommunizierbar.
Das Ziel des Projekts besteht darin, vor dem Hintergrund der Rekonstruktion der Evolution des Rechtsdenkens ein haltbares Szenario über die Zukunft der Rechtswissenschaft entwerfen zu können. Es soll vor allem gefragt werden, wie sich die "digitale Revolution" und die darin angelegte Zunahme der Bedeutung von Bildern und Bildkommunikation künftig auf das Rechtsdenken und die Formen der juristischen Wissensproduktion auswirken werden.
Lektüreempfehlung
Vesting, Thomas. "Subjektive Freiheitsrechte als Elemente von Selbstorganisations- und Selbstregulierungsprozessen in der liberalen Gesellschaft: dargestellt am Beispiel
der Bedeutung der Intellectual Property Rights in der neuen Netzwerkökonomie." In Regulierte Selbstregulierung als Steuerungskonzept des Gewährleistungsstaates:
Ergebnisse des Symposiums aus Anlaß des 60. Geburtstages von Wolfgang Hoffmann-Riem, 21-57. Berlin: Duncker und Humblot, 2001 (Die Verwaltung, Beiheft 4).
-. "Nachbarwissenschaftlich informierte und reflektierte Verwaltungsrechtswissenschaft: 'Verkehrsregeln' und 'Verkehrsströme'." In Methoden der
Verwaltungsrechtswissenschaft, herausgegeben von Wolfgang Hoffmann-Riem und Eberhard Schmidt-Aßmann, 253-292. Baden-Baden: Nomos-Verlag, 2004.
-. "The Network Economy as a Challenge to Create New Public Law (Beyond the State)." In Globalization and Public Governance, herausgegeben von
Karl-Heinz Ladeur. Cambridge: Ashgate, 2004 (im Erscheinen).
Kolloquium, 24.05.2005
Roman Law, Evolution of Ideas, and Writing Technologies
Ich habe mich als Verfassungsjurist und Rechtstheoretiker viele Jahre mit Fragen des Medienrechts beschäftigt (Fernsehen, Film, Internet, network economies etc.). Irgendwann kam mir die Idee, den Spieß umzudrehen: Wenn die elektronischen Medien heute eine solche Bedeutung erlangt haben, dass das Rechtssystem darauf mit dem Aufbau einer eigenen, gut prosperierenden Abteilung, dem Medienrecht, reagiert, dann muß doch auch umgekehrt eine Beziehung zwischen Recht und Medien existieren; und, was mich rasch noch mehr zu interessieren begann, dann müßte sich doch auch ein Zusammenhang zwischen dem Gebrauch solcher Medien wie Schrift und Buchdruck einerseits und der Herstellung und Wiederverwendung juristischen Wissens andererseits beobachten lassen? Erstaunlicherweise entdeckte ich in der Literatur zwar eine Reihe von Forschungen über Recht und Medien, aber kaum mehr als ein paar Hinweise zu dem zuletzt genannten Zusammenhang: den "Medien der Rechtswissenschaft".
Ein wichtiger Aspekt meines Projekts besteht im Experimentieren mit kybernetischen und evolutionstheoretischen Erklärungsmustern. Diese sollen kausaltheoretische Annahmen ersetzen. Ich will also nicht beweisen, dass die Rechtswissenschaft in "letzter Instanz" ein Produkt der Medien ist, sondern einen zirkulären Zusammenhang zwischen Medienevolution, Ideenentwicklung und der Evolution juristischen Wissens aufzeigen. Eine Co-Evolution läßt sich jedenfalls auf einer bestimmten "Trajektorie" nachweisen: Die liberale (säkulare) Rechtstradition speist sich nicht nur aus bestimmten ideenevolutionären Sprüngen; eine weitere Bedingung ihrer Möglichkeit sind bestimmte medienevolutionäre Einschnitten, die mit den Sprüngen der Ideengeschichte korrespondieren. Im (heutigen) Dienstagskolloquium präsentiere ich einige Thesen zum Zusammenhang von römischer Jurisprudenz, griechischer Dialektik und Alphabetschrift.
Ich hoffe, die mediale Lage der gegenwärtigen Rechtswissenschaft durch derartig "historische Studien" besser beschreiben zu können. Die Jurisprudenz befindet sich heute in einer schwierigen Situation. Wie kann die Rechtswissenschaft weiterhin wirken und produktiv sein, wenn sich ihre interne Umwelt, das Rechtssystem, auf Kommunikation über Hypertexte (Google/ LexisNexis etc.) umstellt und ihre externe Umwelt, die Gesellschaft, auf "sekundäre Oralität" (W.J. Ong)? Muß die Rechtswissenschaft dann nach Alternativen zum Schema des Buches suchen? Oder gibt es auch in der Rechtswissenschaft keine Alternative zur "Wahrheitsform" des Buches (so wie man dies etwa für die Philosophie behauptet hat)? Ist die Rechtswissenschaft also unauflöslich mit einer linearen und systematischen Form der Exposition ihres Wissens verbunden? Oder ist dieses Vertrauen in die besondere Qualität der Buchform nicht illusorisch? Aber gibt es überhaupt Alternativen zum Buch? Und wo lassen sich solche ausmachen? In den heute üblichen "Massenmedien" der Rechtswissenschaft, dem Zeitschriftenaufsatz, dem Beitrag in einem Sammelband oder der "Kommentierung"? Könnte die mit der Evolution des Internets verknüpfte Idee des "Netzwerks" eine solche Alternative sein? Sollte die Rechtswissenschaft diese Idee aufgreifen und sowohl in der Form, in der sie sich präsentiert, als auch in den Inhalten, die sie behandelt, das "Netzwerk" zu ihrem zentralen Thema machen?
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Vesting, Thomas (Weilerswist, 20112015)
Vesting, Thomas (Tübingen, 2018)
Wissen des Rechts Fundamenta juris publici ; 7
Vesting, Thomas (Weilerswist, 2013)
Die Medien des Rechts ; 3 ; Buchdruck Die Medien des Rechts ; 3
Vesting, Thomas (Weilerswist, 2011)
Die Medien des Rechts ; 1 ; Sprache Die Medien des Rechts ; 1
Vesting, Thomas (Weilerswist, 2011)
Die Medien des Rechts ; 2 ; Schrift Die Medien des Rechts ; 2
Vesting, Thomas (2008)
§ 20: Die Bedeutung von Information und Kommunikation für die verwaltungsrechtliche Systembildung
Vesting, Thomas (München, 2007)
Rechtstheorie : ein Studienbuch Juristische Kurz-Lehrbücher
Vesting, Thomas (2004)
The autonomy of law and the formation of network standards : part II/II
Vesting, Thomas (2004)
The autonomy of law and the formation of network standards : part I/II