Robert A. Aronowitz, M. D.
Professor der Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftssoziologie
Universität Pennsylvania
Geboren 1953 in Brooklyn, New York;
Studium der englischen Literatur an der University of Michigan und Medizin an der Yale University
Arbeitsvorhaben
Gegen die Natur: Brustkrebs, Risiko und die amerikanische Gesellschaft
In the early 19th century, cancer in the breast was devastating for affected women, but the disease was not such a visible, feared, and contested public concern. This project explores the emergence of our immense individual and collective risk of breast cancer and associated risk factor interventions. This historical change involves the beliefs and values of women and their doctors, but also medical knowledge and technology, clinical and public health practices, and the biological impact of the disease.Our modern constructions of breast cancer risk are not, in my view, a self-evident way of conceptualizing and communicating about danger, choice, cause, or responsibility. I will suggest that the major significance of modern risk discourse and practices is as a style of representing timeless problems raised by breast cancer and other diseases - and therefore revealing of conflicting values and interests - more than as a revelation of new etiological, preventive, or therapeutic insights.<br>
I expect this project will suggest the need for greater lay and clinical innovation from established norms, less fear of cancer qua cancer and more focus on mortality, and less hubris about scientific progress and the significance of many risk factors and associated interventions. We may have oversold both the fear of breast cancer and the effectiveness of prevention and treatment, resulting in many problematic consequences for individuals and society.
Recommended Reading
Aronowitz, Robert A. "Lyme Disease: The Emergence and Social Construction of a New Disease." The Milbank Quarterly 69 (1991): 79-112.
-. Making Sense of Illness: Science, Society, and Disease. Cambridge, UK and New York: Cambridge University Press, 1998.<br>
-. "Do not Delay: Breast Cancer and Time, 1900(1970." The Milbank Quarterly 79 (2001): 355-386.
Kolloquium, 14.02.2006
"An Unnatural History": Brustkrebs in der amerikanischen Gesellschaft. Vom privaten Leiden zur Gefahr für jede Frau
In meinem Projekt erforsche ich die Entwicklung, die bei vereinzelten, privaten Ängsten begann und zum immensen individuellen und kollektiven Brustkrebsrisiko heranwuchs. Ich gehe dieser Entwicklung im Zeitraum der letzten zwei Jahrhunderte nach. Dabei berücksichtige ich insbesondere die größtenteils sozialen Prozesse, durch die der Brustkrebs und das Krebsrisiko in die Körper und die Ängste so vieler amerikanischer Frauen eingedrungen sind.
Mein Projekt baut auf meiner früheren Arbeit zur Sozialgeschichte von Krankheiten und des öffentlichen Gesundheitswesens auf und bezieht meine Erfahrungen als praktischer Arzt mit ein. In meinem Vortrag möchte ich Ihnen einen Eindruck von den Dimensionen des Projekts und der Ergebnisse vermitteln und was ich über Krankheit, Krebs und Risiko denke. In Anlehnung an die Gliederung und Methode des Buches, an dem ich schreibe, möchte ich sowohl konkrete Beispiele von an Brustkrebs erkrankten Frauen anführen als auch einen Überblick über die Praxis in Kliniken und im öffentlichen Gesundheitswesen, sowie über gewisse Vorstellungen und Ideen bieten, die zu bestimmten Zeitpunkten herrschten.
Ich möchte einige Kontinuitäten hervorheben, die ein Schlüssel zur Geschichte des Brustkrebses sind. Eine von diesen Kontinuitäten ist die lange Geschichte von Frauen und Ärzten, die in Situationen großer medizinischer Ungewissheit extrem schwierige Entscheidungen trafen, z. B. die Zustimmung zu Brustamputationen, auch wenn die Chirurgen einer Heilung pessimistisch gegenüberstanden oder vor der Einführung der Äthernarkose. Um diese Entscheidungen treffen zu können, haben sich die Frauen und die Ärzte auf einige wenige Heuristiken verlassen, wie z. B. die Vermeidung von "antizipierter Reue", die Ausrichtung ihrer Entscheidungen auf sichtbaren Erfolg, die Befolgung des Gesetzes der kleinen Zahlen, der Kampf gegen das Übel mithilfe eines ebenso großen oder sogar noch größeren Übels. Eine andere Kontinuität liegt darin, dass die Entscheidungen am Ende eines Lebens oft aufgrund von tragischen Abwägungen, in denen sich Hoffung, Vertrauen und Wahrheit die Waage halten, getroffen werden. Ich möchte auch einige wichtige, wenn auch oft unterschätzte Veränderungen hervorheben. Die medizinischen Entwicklungen im frühen 20. Jahrhundert führten zu einem vollkommen neuen Stadium der Krankheit, bei dem viel unternommen wird, ohne dass sich die Sterblichkeitsrate der Brustkrebserkrankten dadurch notwendigerweise verändert hat. Ich möchte auch die sich selbst perpetuierende, kaskadenartige Entwicklung beleuchten, durch die Brustkrebs zur Volkskrankheit wurde und die dazu führte, dass man Vorsorge und Behandlung als effektives Mittel gegen die Krankheit verstand. <br><br>
Diese Kontinuitäten und Veränderungen bringen uns zum problematischen Feld des Brustkrebsrisikos. Heute wird eine von acht amerikanischen Frauen mit einer Brustkrebsdiagnose konfrontiert. Viele Frauen fühlen das Damoklesschwert über sich. Dennoch spiegelt das häufige Auftreten der Krankheit und das ausgeprägte Risikobewusstein nicht nur die zunehmende biologische Auswirkung der Krankheit wider. Vielmehr haben wir es hier mit wiederholten, sich selbst verstärkenden Interventionszyklen des öffentlichen Gesundheitswesens zu tun, mit massenhaften Verhaltensänderungen, neuen Mustern der Diagnostik, einer veränderte Wahrnehmung von der Effizienz der Interventionen, was zu weiteren Verhaltensänderungen führt etc. Gleichzeitig haben wir viele Aspekte der alten Brustkrebserfahrung und des alten Entscheidungsprozesses an den Umgang mit dem Brustkrebsrisiko weitergegeben. Das Ergebnis: lähmende Angst entsteht, die Wirksamkeit der Vorsorge wird höher gehängt, als sie wirklich ist, Ärzte verursachen Schäden, der Markt beutet die Ängste der Frauen aus, und es kommt zu klinischen und politischen Fehlkalkulationen.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Aronowitz, Robert A. (Cambridge [u.a.], 2007)
Unnatural history : breast cancer and American society
Aronowitz, Robert A. (Cambridge [u.a.], 1998)
Making sense of illness : science, society, and disease Cambridge history of medicine