Astrid Reuter, Dr. phil.
Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien der Universität Erfurt
Geboren 1968 in Neuenkirchen (Kreis Osnabrück)
Studium der Religionswissenschaft, Ethnologie und Katholischen Theologie an den Universitäten Bonn, Münster und Bremen und an der École des Hautes Études en Sciences Sociales, Paris
Schwerpunkt
Religion und Kontingenz
Arbeitsvorhaben
Religion im öffentlichen Streit: Religionskontroversen in Deutschland und Frankreich seit 1980
Die 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhunderts waren religionspolitisch stille Jahre - die Säkularisierungsprognosen und -erwartungen schienen sich zu erfüllen. Doch die Ruhe war trügerisch. Seit den 80er Jahren hat die Kontroversenbereitschaft um die öffentliche Präsenz von Religion unvermutet wieder zugenommen: Ob es um den Status konfessionsgebundener Privatschulen, das Kopftuch muslimischer Schülerinnen oder Lehrerinnen, um Schulkreuze oder Religionsunterricht geht - Religion ist wieder zum öffentlichen Streitobjekt geworden.In dem Projekt werden Religionskontroversen in Deutschland und Frankreich als Ausdrucksformen des Unbehagens zweier Gesellschaften untersucht, in denen - vor dem Hintergrund unterschiedlicher religionshistorischer Konstellationen - der Ort der Religion zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit erneut strittig ist. Im Streit um Religion spiegelt sich eine historische Ambivalenz beider Gesellschaften: Sie stützen zwar ihr normatives Selbstverständnis auf die mühsam errungene Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften, beanspruchen aber zugleich ein spezifisches religiöses Erbe - das jüdisch-christliche - als eines ihrer historischen Fundamente. Die neuerlichen Religionskontroversen lassen sich deshalb auch als Selbstverständigungsdebatten über die normativen Grundlagen der modernen Gesellschaft verstehen.
Lektüreempfehlung
Reuter, Astrid. Voodoo und andere afroamerikanische Religionen. München: C. H. Beck, 2003.
-. Das wilde Heilige. Roger Bastide (1898-1974) und die Religionswissenschaft seiner Zeit. Frankfurt/Main und New York: Campus, 2000.
Kolloquium, 11.04.2006
Kreuz und Kopftuch. Kontroversen um Religion in der säkularen Freiheits- und Gleichheitsordnung
In den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts schienen sich die Säkularisierungsprognosen, -erwartungen und nicht selten auch -hoffnungen zu erfüllen: Es wurde still um die Religion. Seit den achtziger Jahren jedoch ist Religion wieder ein Thema, das zunehmend breite öffentliche Kontroversen entfacht, die als Hinweis darauf verstanden werden können, dass nicht allein geringfügige religionsrechtliche und -politische Details fraglich geworden, sondern fundamentale gesellschaftliche Ordnungsentscheidungen berührt sind: Jenseits der jeweils konkreten Streitfelder wird in den Kontroversen um Religion um die Leitideen moderner liberal-demokratisch und säkular verfasster Gesellschaften gerungen - um Freiheit und Gleichheit.
In meinem Vortrag werde ich exemplarisch den so genannten 'Kruzifixstreit' untersuchen, der die deutsche Öffentlichkeit in der zweiten Jahreshälfte 1995 beschäftigt hat, und von hier aus Vergleichslinien zum 'Kopftuchstreit' in Deutschland und Frankreich ziehen. Ging es im 'Kruzifixstreit' um die Frage, ob die im bayerischen Schulgesetz vorgeschriebene Anbringung von Kreuzen oder Kruzifixen in den Klassenräumen öffentlicher Schulen gegen die staatliche Selbstverpflichtung zu religiös-weltanschaulicher Neutralität und also gegen das Gleichheitsprinzip verstößt, so wurde im deutschen 'Kopftuchstreit' diskutiert, ob einer muslimischen Lehrerin aufgrund ihrer Weigerung, während des Unterrichts an einer öffentlichen Schule in Baden-Württemberg das Kopftuch abzulegen, die Übernahme in den Schuldienst verweigert werden darf; von zentraler Bedeutung in beiden Auseinandersetzungen war die Frage nach der religionskulturellen Bedeutung von 'Kreuz' und 'Kopftuch'.
Anders als in Deutschland standen im Mittelpunkt des französischen Streits um das Kopftuch nicht Lehrerinnen, sondern muslimische Schülerinnen, deren Kopfbedeckung von einer breiten Öffentlichkeit als Verstoß gegen das Laizitätsprinzip und damit gegen einen der Grundwerte der Republik gewertet wurde. In den genannten Konflikten wurde um die Gewichtung und die Grenzen von (Religions-)Freiheit und Gleichheit gerungen, wobei sich in den deutschen Konflikten stärker eine Gleichheitsforderung, in den französischen stärker eine Freiheitsforderung artikuliert.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Reuter, Astrid (Düsseldorf, 2007)
Black Atlantic : Dr. Astrid Reuter über Voodoo, Candomblé und andere synkretistische Religionen ; Alexander Kluge im Gespräch mit Astrid Reuter News & Stories
Reuter, Astrid (München, 2003)
Voodoo : und andere afroamerikanische Religionen Beck'sche Reihe ; 2316
Reuter, Astrid (2002)
Reuter, Astrid (Frankfurt/Main, 2000)
Das wilde Heilige : Roger Bastide (1898 - 1974) und die Religionswissenschaft seiner Zeit