Miriam Hansen, Dr. phil.
Ferdinand Schevill Distinguished Service Professor in the Humanities
Universität Chicago
Geboren 1949 in Offenbach/Main; verstorben 2010 in Chicago (IL).
Studied English and American Literature and History at the Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/Main
Arbeitsvorhaben
Kino als Muttersprache der Moderne
I will explore the usefulness of thinking about cinema - in specific historical and geopolitical constellations - as a vernacular form of modernism. I proceed from the assumption that cinema, at least during the first half of the 20th century, provided an aesthetic horizon, on a mass scale, for the contradictory experience of modernization and everyday modernity. My study aims to complicate this general assertion in two directions. One is to move from structural arguments about the modernity of the cinema as a medium to a discussion of particular cinematic practices (formal and stylistic features, questions of genre, thematic concerns) and currents in film culture (reception, institutional habitats). The other objective is to complicate prevailing accounts of Hollywood hegemony, in particular with regard to non-Western cinemas. The heuristic-analytic framework of vernacular modernism, I will show, allows us to consider "national" cinemas (such as Chinese and Japanese during the 1930s) not only in their relation to Hollywood but also from a lateral and regional perspective, across competing and intersecting modernities.Recommended Reading
Hansen, Miriam. Babel and Babylon: Spectatorship in American Silent Film. Cambridge Mass., 1991, 1994.
Hansen, Miriam. "The Mass Production of the Senses: Classical Cinema as Vernacular Modernism." Modernism / Modernity 6, 2 (1999): 59-77; also in: Linda Willams and Christine Gledhill, eds. Reinventing Film Studies. London: Edward Arnold, 2000: 332-350.
Hansen, Miriam. "Room-for-Play: Benjamin's Gamble with Cinema." October 109 (Summer 2004): 3-45.
Kolloquium, 20.05.2008
Was heißt Moderne im kommerziellen Kino? Am Beispiel von Frank Tashlin
Mein Projekt befasst sich mit einer wichtigen Strömung im Kino der ersten zwei Drittel des 20. Jahrhunderts, die ich als volkstümliche Form der Moderne begreife. Diese Strömung läuft parallel zu Bewegungen des sogenannten "high modernism" in den bildenden Künsten, der Musik und der Literatur. Sie ist zugleich Teil von -- und formuliert ihre eigenen ästhetischen Antworten auf -- das Ensemble von gesellschaftlichen, ökonomischen und kulturellen Umwälzungen, die gemeinhin mit den Begriffen Modernisierung und Moderne beschrieben werden. In der amerikanischen Filmgeschichte gilt diese Periode als die Blütezeit des "klassischen" Hollywood-Kinos. Neoformalistische Filmwissenschaftler haben dieses Kino als ein stilistisches System definiert, das sich an neoklassizistischen Normen orientiert, an bestimmten Vorstellungen von "Anstand, Proportionalität, formaler Harmonie, Respekt vor der Tradition, Mimesis" (David Bordwell). Zeitgenossen hingegen sahen in Hollywood, wie im Jazz und Art déco, eine Inkarnation der Moderne, ein ästhetisches Medium auf dem Stand der Gegenwart, synchron mit fordistisch-tayloristischen Methoden der industriellen Produktion und des Massenkonsums, mit dem rapiden Wandel sozialer und Geschlechterbeziehungen, der materiellen Textur des Alltagslebens und der Freizeit, mit der Veränderung von Formen der Wahrnehmung und Erfahrung. Diese Modernität faszinierte nicht nur avantgardistische Künstler und Intellektuelle, sondern auch sich neu herausbildende Massen-Öffentlichkeiten in aller Welt. Und sie inspirierte Filmemacher besonders in Europa, Asien und Lateinamerika, ihre eigenen ästhetischen Idiome zu entwickeln, die es ermöglichten, dem Publikum die widersprüchliche Erfahrung der alltäglichen Moderne sinnlich fassbar und verhandelbar zu machen.
Mein Vortrag konzentriert sich auf "Artists and Models" (1955) von Frank Tashlin, einen Film, der high-modernists von Clement Greenberg und Theodor W. Adorno bis Fredric Jameson veranlasst hätte, die Vorstellung einer volkstümlichen Moderne als contradictio in adjecto abzutun, insofern als es marktorientierte Werke definitionsgemäß nicht vermögen, in Opposition oder gar Negation zur Konsumlogik der kapitalistischen Kultur zu treten. Nichtsdestotrotz lässt sich zeigen, dass der Film eine kritische Reflexion auf die Eigenschaften und Probleme des eigenen Mediums unternimmt - mit den Mitteln dieses Mediums --, die wiederum modernistische Ideen von medialer Spezifität und Reinheit in Frage stellen. Indem Tashlin Elemente der radikalen Zeichentrickfilmästhetik, wie er sie zwei Jahrzehnte lang bei Warner Brothers entwickelt hatte, in den live-action (photographisch basierten) Film importiert, zerstückelt "Artists and Models" die Hollywood-Normen eines perfekten Körpers sowie des fetischisierten Körpers des klassischen Kinos, damals grade durch CinemaScope und Farbe perfektioniert. Damit liefert der Film unter anderem ein Plädoyer für das Kino als "unreines", unvermeidlich heterogenes Medium.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Hansen, Miriam (Torino, 2006)
Babele e Babilonia : il cinema muto americano e il suo spettatore Babel & Babylon
Hansen, Miriam (2004)
Room-for-Play : Benjamin's gamble with cinema
Hansen, Miriam (1992)
Mass culture as hieroglyphic writing : Adorno, Derrida, Kracauer