Boris Gasparov, Dr.
Boris Bakhmeteff Professor für Russische und Osteuropäische Studien
Columbia University
Born in 1940 in Rostow on the Don, Russia
Studied Russian Language and Literature at Rostow University, Musicology at the Musical Academy, Moscow, Slavic Linguistics at the Moscow Pedagogical University, and Slavic and General Linguistics at the Academy of Science, Minsk
Arbeitsvorhaben
Alexander Puschkin und die Welt der frühen europäischen Romantik
The project's goal is to assess the impact of major themes and motifs of European early Romanticism (1790s-1810s) on Pushkin's artistic and intellectual evolution. While the early Pushkin easily appropriated such Romantic accessories as the exotic chronotope or the sardonic "Byronic" posture, it was later in his career that his work showed his growing awareness of Romantic metaphysical quests concerning the nature of language, Romantic philosophy of history and nationality, and some deeper features of Romantic subjectivity. Particularly important among the categories of early Romantic metaphysics and aesthetics that left an imprint on Pushkin's mature oeuvre were the personalization of the poetic voice; fragmentariness and polyphonic heterogeneity of poetic discourse; irony and auto-irony, understood as an instrument of relativizing consciousness, i. e., more in a Schlegelian than in a Byronic sense; treatment of language and writing as the principal vehicle of the metaphysical sensibility; and finally, the articulation of national consciousness and historical destiny by means of symbolic imagery tinged with messianism. To a large extent, his path showed the reversal of the pattern of development that was typical for Romanticism at large: from its early concerns with the metaphysical foundations of "Romantic poetry" to an increasing emphasis lately on overt stylistic features and narrative devices. In this sense, integrating Pushkin into the Romantic era can enrich the whole perspective on European Romanticism and its place in literary and intellectual history.Recommended Reading
Gasparov, Boris. Poeticheskii iazyk Pushkina kak fakt istorii russkogo literaturnogo iazyka [Pushkin's Poetics in the History of Russian Literary Language]. Vienna: Wiener slawistischer Almanach, 1992.
A brief English version can be found in: "Pushkin and Romanticism." In The Pushkin Handbook, edited by David Bethea, 537-367. Wisconsin: The University of Wisconsin Press, 2005.
__. Iazyk, pamiat', obraz: Lingvistika iazykovogo sushchestvovaniia [Language, Memory, and Imagery: Linguistics of Everyday Usage]. Moscow: NLO, 1996.
__. Five Operas and a Symphony: Word and Music in Russian Culture. New Haven: Yale University Press, 2005.
Kolloquium, 09.03.2010
Eine gescheiterte Ehe: Das metaphysische Bewusstsein der Frühromantik und seine literarischen Echos
In diesem Vortrag geht es um die Frühromantik, insbesondere um ihre Gründungsphase in den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts, als der Begriff der "romantischen Poesie" durch den Jenaer Kreis eingeführt wurde. Während die spätere Geschichte der Romantik oft vor allem mit Blick auf ihre rhetorischen Eigenschaften und weltanschaulichen Grundhaltungen betrachtet wurde, lag das Kernproblem für die Jenaer Romantiker auf dem Gebiet der Metaphysik und der Erkenntnistheorie. F. Schlegel und Novalis kritisierten sowohl die rationalistische (Kant) als auch die idealistische (Fichte) Erkenntnisstrategie, und zwar aufgrund der Tatsache, dass sie monologisch vorgehen - als eine innere Angelegenheit des erkennenden Subjekts. Im Gegensatz dazu betrachteten die Jenaer Romantiker Erkenntnis als einen dialogischen Prozess, in dem sich das erkennende Ich auf eine Beziehung zum "Anderen" einlässt und auf die von ihm ausgelösten Interferenzen. Das Denksystem der Metaphysik wurde durch die romantische Symphilosophie zu einer frei fließenden Abfolge von Reflexionsakten, die im Verlauf eines dialogischen Austauschs geschehen.
Unter den vielen Formen dialogischer Interaktion hatte die Beziehung zwischen Mann und Frau für das romantische Bewusstsein eine besondere Bedeutung. Ganz allgemein symbolisierte sie die Sehnsucht des subjektiven Selbst, seine eigenen Grenzen zu überschreiten und mit der Welt außerhalb des Selbst in Berührung zu kommen, sei es mit der Welt einer anderen Person oder der Welt der Phänomene. Das Bild der "romantischen Ehe" stand im Zentrum eines umfangreichen Paradigmas symbolischer Repräsentationen dieser Schlüsselidee. Zu diesen alternativen Repräsentationen - allein deren Vielfalt war bezeichnend für die Stoßrichtung fort von der monologischen Einheit - gehörten Lavoisiers Erklärung des Verbrennungsprozesses, bei dem der brennende Stoff durch den Kontakt mit Sauerstoff umgeformt wird, eine Kritik der traditionellen Gottesvorstellung (einschließlich des logischen Gottesbeweises Kants), da diese das weibliche Element nicht integriere, eine "Ehe" von Philosophie und Dichtung, wobei die Philosophie ihre "Systeme" zugunsten einer sich spontan entwickelnden Erzählung aufgibt, während sich die Literatur in eine Metaliteratur verwandelt, die ständig über sich selbst reflektiert, die genetische Beziehung zwischen den Sprachen des Westens und des Ostens, die Vereinigung von Wort und Musik etc. Letztlich sahen die Frühromantiker ihre Mission darin, die ganze Welt zu "potentzieren" oder zu "romantisieren" (Novalis), indem sie einen unaufhörlichen Prozess metabolischer Transformationen in Gang brachten. Die Vision des romantischen Elements als einer totalen transformativen Bewegung manifestierte sich in der berühmten Definition romanischer Poesie als einer "progressiven Universalpoesie" (Athenäums-Fragmente, Nr. 116).
Obwohl sich die Jenaer Bewegung und ihr wichtigstes Organ, die Zeitschrift "Athenäum", als kurzlebig erwiesen, leisteten sie einen entscheidenden Beitrag zur Entstehung eines neuen metaphysischen Bewusstseins, dessen verschiedene Facetten und Manifestationen sich im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts in der europäischen Kulturszene verbreiteten. Diesem Bewusstsein eignete ein feines Gleichgewicht zwischen den begeisterten Versuchen, zur Unendlichkeit der objektiven Welt zu gelangen und der nüchternen Einsicht, dass diese Versuche eine ewige Reise ohne Aussicht auf Ankunft sind. Wenn dieses Gleichgewicht gestört wird, wenn die selbstsubversive Seite (was Schlegel "romantische Ironie" nannte) dieses Versuchs verloren geht, könnte das fatale Folgen haben. Die Gefahren utopischen Eigensinns spiegelten sich in einer pessimistischen Wende der Idee von der "romantischen Ehe", wie sie sich in zahlreichen literarischen Werken im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts zeigte. In meinem Vortrag möchte ich einige Beispiele für diese Tendenz in den Werken von Goethe, Chateaubriand und Puschkin erörtern.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Gasparov, Boris (Berlin [u.a.], 2010)
Speech, memory, and meaning : intertextuality in everyday language Trends in linguistics