Angelika Linke, Dr. phil.
Professorin der Sprachwissenschaft
Universität Zürich
Geboren 1954 in Geislingen a. d. Steige, Baden Württemberg
Studium der Germanistik, Allgemeinen Geschichte und Skandinavistik an den Universitäten Zürich und Stockholm
Arbeitsvorhaben
Verzehr und Kommunikation: Eine Sinngeschichte ihrer Verschränkung
Verzehr und Kommunikation sind für den Menschen gleichermaßen lebensnotwendig: Essen als Mittel seiner körperlichen, Kommunikation als Mittel seiner sozialen Erhaltung. Nahrungsaufnahme per se ist allerdings keine gesellige, sondern eine egoistische Aktivität. Zudem schließen rein physiologisch Essen und Reden einander aus. Demgegenüber steht die Tatsache, dass ihre Verbindung in der Tischgesellschaft zu unseren kulturellen Selbstverständlichkeiten gehört und sich Gesellschaften nicht zuletzt durch spezifische Formen der Verschränkung von Reden und Essen auszeichnen.Zu diesen gehören etwa die Markierung von Eröffnung und Abschluss des Essens durch verbale oder körperkommunikative Rituale, die Verteilung des Rederechts während des Essens aufgrund sozialer Faktoren sowie die Ausbildung von spezifischen "kleinen Formen" der Kommunikation wie Tischgebet, Trinksprüche, Toaste. Unterschiedliche räumliche und zeitliche Ordnungen (Sitzordnung, Aufteilung in unterschiedliche Gänge) eröffnen bestimmte Möglichkeiten der Kommunikation bzw. schränken sie ein.
Ich möchte mich mit den historischen Ausformungen der Verbindung von Reden und Essen (frühe Neuzeit bis Gegenwart) befassen und die sozialsemiotischen Signifikanzen des jeweiligen Ensembles von Essensanrichtung, Verzehrpraktiken und kommunikativen Mustern untersuchen.
Eine zweite, abstraktere Perspektive (die die erstgenannte überlagert) möchte ich unter Bezug auf die Begriffe von Präsenz und Sinn (H. U. Gumbrecht) aufgreifen: Hier geht es mir um die semiotische "Zurichtung" (und Zurichtbarkeit) von Körperlichkeit und Verbalität jenseits von deren medialer Gegebenheit und um die Veränderung dieser Zurichtung in der Geschichte der Neuzeit.
Lektüreempfehlung
Linke, Angelika. Sprachkultur und Bürgertum: Zur Mentalitätsgeschichte des 19. Jahrhunderts. Stuttgart: Metzler, 1996.
__. "Das Unbeschreibliche: Zur Sozialsemiotik adeligen Körperverhaltens im 18. und 19. Jahrhundert." In Adel und Moderne: Deutschland im europäischen Vergleich im 19. und 20. Jahrhundert, 247-268. Köln: Böhlau, 2004.
__. "Kommunikation, Kultur und Vergesellschaftung: Überlegungen zu einer Kulturgeschichte der Kommunikation." In Sprache - Kognition - Kultur: Sprache zwischen mentaler Struktur und kultureller Prägung, herausgegeben von Ludwig M. Eichinger und Heidrun Kämper, 24-50. Berlin/New York: de Gruyter, 2008.
Kolloquium, 01.12.2009
Historische Semiotik des Leibes in der Kommunikation Zur Dynamisierung von Körper und Sprache im ausgehenden 17. und im 18. Jahrhundert
Sowohl die Formen menschlicher Kommunikation als auch deren Wahrnehmung sind historisch geprägt; entsprechend veränderlich sind die Normen und Werte, an denen kommunikatives Verhalten zu unterschiedlichen Zeiten gemessen wird. Dies gilt auch für die wissenschaftliche Wahrnehmung, Beschreibung und Theoretisierung von Kommunikation. So lässt sich etwa in der gegenwärtigen linguistischen Gesprächsforschung eine 'Entdeckung' der Multimodalität menschlicher Kommunikation konstatieren und die damit verbundene neue Aufmerksamkeit auf die Zeichenhaftigkeit des Körpers wie auf die Dimension des Raumes tragen zu einem neuen (linguistischen) Verständnis von Kommunikation und letztlich zu einer veränderten Beurteilung sprachlicher Phänomene bei.
Doch schon in frühmoderner Zeit war der gesellschaftliche Blick auf den kommunizierenden Menschen in einer für heutige Maßstäbe bemerkenswerten Weise auf die Beredsamkeit des Leibes gerichtet. Sprachlichkeit wurde als an Leiblichkeit gebunden wahrgenommen, als Teil eines komplexen, raumbezogenen kommunikativen Auftritts, der zudem ständisch geregelt und normiert ist. Dies gilt, wie ich zeigen werde, für das 17. und auf weite Strecken auch noch für das 18. Jahrhundert - erst das bürgerliche Sprachprojekt des späteren 18. und 19. Jahrhunderts löst in der Wahrnehmung die Sprache zunehmend vom Leib.
Vom 17. ins 18. Jahrhundert hinein lassen sich allerdings Veränderungen im Beschreibungsvokabular für den körperlich-sprachlichen Auftritt beobachten, und in Text- wie Bildzeugnissen zeigt sich ein Wandel in diesem Auftritt bzw. im Blick der Zeitgenossen darauf. Es sind diese Veränderungen, die im Zentrum meines Vortrags stehen. Ich werde dafür argumentieren, dass diese Veränderungen sinnvoller Weise als (kollektiv)stilistischer Wandel zu beschreiben sind und ich bestimme den Zeichenwert dieses Wandels - versuchsweise - als ‚Dynamisierung'. Und insofern ich diese (kollektiv)stilistischen Veränderungen als Medium der Selbstformierung der tragenden Sozialformation der Zeit, d.h. der Adelsgesellschaft um 1800, verstehe, wird der beobachtetet Stilwandel als ein Prozess der Selbst-Dynamisierung der gesellschaftlichen Leitformation der Epoche gedeutet.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Linke, Angelika (2019)
Der Esstisch : eine historische Skizze zur raumsemiotischen Nutzung eines Möbelstückes
Linke, Angelika (Düsseldorf, 2011)
Der Mensch lebt nicht vom Wort allein : Angelika Linke über die Sprachen der Geselligkeit ; Alexander Kluge im Gespräch mit Angelika Linke News & Stories
Linke, Angelika (2009)
Wie man Wissen teilt - oder : Vom Glück der Kommunikation
Linke, Angelika (2009)
Linke, Angelika (Tübingen, 2009)
Oberfläche und Performanz : Untersuchungen zur Sprache als dynamischer Gestalt ; [die ... Tagung fand im April 2005 auf dem Monte Verità (Ascona/Schweiz) statt] Reihe Germanistische Linguistik ; 283
Linke, Angelika (2008)
Linke, Angelika (2008)
Linke, Angelika (2008)
Linke, Angelika (2008)
Zur Kulturalität und Historizität von Gesprächen und Gesprächsforschung
Linke, Angelika (Zürich, 2008)
Der Zürcher Sommer 1968 : zwischen Krawall, Utopie und Bürgersinn ; mit digitaler Edition NZZ Libro