Steven M. Lukes, D. Phil.
Professor der Soziologie
New York University
Born in 1941 in Newcastle on Tyne, UK
Studied Philosophy, Politics, and Economics at Oxford University
Arbeitsvorhaben
Soziologie der Sitten
An enquiry into the conceptual history and current diversity of the meanings of "moral", leading to a study of how to investigate empirically the nature and extent of moral diversity.Recommended Reading
Lukes, Steven M. Emile Durkheim, His Life and Work: a Historical and Critical Study. London: Penguin Books, 1973.
__. Marxism and Morality. Oxford: Clarendon Press, 1985.
__. Moral Relativism. New York: Picador/Macmillan, 2008.
Kolloquium, 23.03.2010
Die Vielfalt der Moral
Das Reden über Moral und Sittlichkeit war bisher vor allem eine Domäne ihrer akademischen Wächter - der Philosophen - und ihrer gesellschaftlichen Wächter - der Priester und Pädagogen. Doch jüngst ist Moral auch für Psychologen, Kognitionswissenschaftler, Ethologen, Biologen und sogar Verhaltensökonomen ein aktuelles Forschungsthema geworden, allerdings noch nicht für Anthropologen und Soziologen. Ich möchte "Moral" aus einer naturalistischen Perspektive betrachten: also als ein menschliches Phänomen, das ein Ergebnis biologischer und kultureller Prozesse und ein Forschungsgegenstand von Natur- und Sozialwissenschaftlern ist. Die Koevolution von Genen und Kulturen hat zu zentralen moralischen Universalien und einer Vielfalt konkreter moralischer Praktiken geführt. Ich möchte hier auf eine ausgesprochen soziologische Fragestellung zu sprechen kommen: Wie groß ist die moralische Vielfalt? Zunächst möchte ich aber zeigen, warum dies eine wichtige Frage ist und warum man sie stellen sollte. Auch versuche ich, die Fragestellung als solche zu klären und die Schwierigkeiten bei der Beantwortung der Fragen zu berücksichtigen.
Die Frage ist wichtig, denn ein Großteil der gegenwärtigen Politik besteht darin, auf Vielfalt zu reagieren - sowohl in der Geopolitik als auch in der Innenpolitik. Die Vielfalt, um die es hier geht, ist unterschiedlicher Art: die Vielfalt von Sitte und Tradition, ethnischer Identität und Religion. Diese prägen die Normen, die Menschen als verbindlich akzeptieren. Ich gehe davon aus, dass Moral diese Normen umspannt, und behaupte, dass heftige politische Probleme entstehen können, wenn sie divergieren.
Was also ist moralische Vielfalt? Charles Darwin, der als erster "von der Naturgeschichte her" eine plausible Genealogie der Moral formuliert, schreibt: "[...] von all den Unterschieden zwischen dem Menschen und den niederen Tieren ist das moralische Empfinden oder das Gewissen bei weitem der wichtigste [...] es wird zusammengefasst in jenem kurzen, aber herrischen Wort ‚sollen', das von so großer Bedeutung ist". Es steckt in Kants Pflichtbegriff und in Adam Smiths "unparteiischem Zuschauer" (der "Mann in der Brust"), der unser moralisches Empfinden normativ leitet, indem er anzeigt, wann wir uns selbst und wann wir anderen die Schuld geben sollen, wann es angemessen ist, Mitleid, Zorn, Empörung, Dankbarkeit, Übelnehmen oder Verletztsein [resentment], Reue, Schuld, Scham, Ekel etc. zu empfinden. Es hat den Anschein, dass dieses moralische Empfinden selbst und die dazugehörige Gefühlspalette universell und kulturübergreifend sind, aber auf sehr unterschiedliche Weise umgesetzt werden; auch die Reichweite der moralischen Belange ist variabel - vom Stamm bis zur gesamten Menschheit und den "niederen Tieren". Während sich einige ("moralische Realisten" oder "Kognitivisten") dieser Variationen bewusst sind, glauben sie trotzdem, dass es nur eine wahre Moral gibt: Gäbe es Übereinstimmung in allen nichtmoralischen Fragen (einschließlich der theologischen), gäbe es auch keine moralischen Meinungsverschiedenheiten mehr. Andere (die "Non-Kognitivisten") halten das nicht für plausibel. Welche Auswirkungen haben die Befunde aus den Geschichts- und Sozialwissenschaften auf diese Debatte?
Unter den Schwierigkeiten, denen wir bei der Untersuchung dieser Frage begegnen, sind drei diskussionswürdige Punkte: Wie man die Verdinglichung von Kulturen vermeidet; wie man das Benehmen beschreibt, über das es moralische Meinungsverschiedenheiten gibt - wenn sich die Parteien selbst uneins darüber sind, was eigentlich geschieht; und wie man echte oder "grundlegende" moralische Meinungsverschiedenheiten von solchen unterscheidet, bei denen es um nichtmoralische Tatsachen geht.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Lukes, Steven M. (London, 19921982)
The rules of sociological method : and selected texts on sociology and its method
Lukes, Steven M. (London [u.a.], 2009)
The curious enlightenment of Professor Caritat : a comedy of ideas
Lukes, Steven M. (London, 2008)
Lukes, Steven M. (Colchester, 2006)
Lukes, Steven M. (Basingstoke [u.a.], 2005)
Power : a radical view ; [the original text with two major new chapters]
Lukes, Steven M. (London [u.a.], 2003)
Liberals and cannibals : the implications of diversity
Lukes, Steven M. (Aldershot [u.a.], 1994)
Essays in social theory Modern revivals in sociology series
Lukes, Steven M. (London [u.a.], 1992)
Emile Durkheim : his life ans work; a historical and critical study Peregrine books
Lukes, Steven M. (London, 1992)
Power : a radical view Studies in sociology