Anne van Aaken, Dr. iur.
Max Schmidheiny-Stiftung Tenure Track Professor für Law and Economics, Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht
Universität St. Gallen
Geboren 1969 in Bonn;
Studium der Volkwirtschaftslehre und Journalistik an der Universität Freiburg i. Ü. (Schweiz) und Rechtswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Europa Universität Viadrina, Frankfurt/Oder
Arbeitsvorhaben
Staatshaftung im offenen Gewährleistungsstaat
Die Rolle und das Verständnis des Staates haben sich im Zuge von Internationalisierung und Privatisierung erheblich geändert. Diese gewandelte Rolle spiegelt sich in der Diskussion um Gewährleistungsverantwortung des Staates wider, die von einer weitgehenden Verantwortungsteilung zwischen Staat und Privatem ausgeht. Eine solche wird aber bislang nicht in einem gewandelten Verständnis der Staatshaftung aufgenommen. Wenn Verantwortungsstufung und-teilung nicht ein Euphemismus für Verantwortungsverwischung bzw. -verlust sein sollen, dann muss untersucht werden, welche Verantwortung der Staat - gerade in der Form der Staatshaftung - noch trägt, in welcher Form und unter welchen Umständen. Hier kommt es gewissermaßen "zum Schwur" auch bezüglich des Staatsverständnisses. Staatshaftung ist nicht als eigenständiger Untersuchungsgegenstand im Rahmen der Literatur zum Gewährleistungsstaat zu finden. Ebenso wenig wird in der Literatur zur Staatshaftung die Brücke zur Gewährleistungsdebatte geschlagen. Diese Lücke soll das vorliegende Forschungsprojekt schließen, indem verschiedene Verantwortungsstufen jeweils exemplarisch auf ihre haftungsrechtlichen Implikationen untersucht werden.
Warum ist Haftungsrecht überhaupt relevant für die Gewährleistungsdiskussion? Haftungsrecht ist immer auch Risikozuweisungsrecht. Steuerungstheoretisch betrachtet dient Haftungsrecht nicht nur der Wiedergutmachung, sondern auch als Anreiz für die Akteure, sich in bestimmter Weise zu verhalten und damit ihre Verantwortung wahrzunehmen (oder auch nicht). Kompliziert wird das Staatshaftungsrecht im Gewährleistungsstaat dadurch, dass bei vermehrter Aufgabe der Erfüllungsverantwortung Dreiecksverhältnisse entstehen zwischen Staat, Dienstleistungsempfänger und Dienstleistungserbringer. Nicht außer Acht zu lassen ist dabei, dass Staatshaftung durch die Budgetrelevanz die Allgemeinheit der Steuerzahler belasten kann. Inwieweit Haftungsrecht notwendige und hinreichende Bedingung für den Steuerungsansatz im Verwaltungsrecht ist, ist innerhalb des Projektes zu diskutieren. Methodisch wird funktional, steuerungsperspektivisch und rechtsvergleichend vorgegangen.
Lektüreempfehlung
Aaken, Anne van. Rational Choice in der Rechtswissenschaft: Zum Stellenwert der ökonomischen Theorie im Recht. Dissertation. Baden-Baden: Nomos, 2003, Neudruck 2009.
-. "International Investment Law Between Commitment and Flexibility: A Contract Theory Analysis." Journal of International Economic Law 12, 2 (2009): 507-538.
-. "Primary and Secondary Remedies in Investment Arbitration and State Liability: A Functional and Comparative View." In International Investment Law and Comparative Public Law, herausgegeben von Stephan Schill. Oxford: Oxford University Press, 2010.
Kolloquium, 05.07.2011
Staatshaftung im sich transformierenden Staat: Wer zahlt?
Die Transformation des Staates wird seit längerem diskutiert. Sie findet auf zweierlei Wegen statt: vertikal, d.h. immer mehr Staatsaufgaben werden auf höhere Ebenen verschoben (europäisch oder international), oder horizontal, d.h. immer mehr Staatsaufgaben werden von Privaten wahrgenommen. Es gibt viele Beispiele für die beschriebene Transformation: Flugsicherung, privatisierte Sicherheit (Gefängnisse und Militär), Wasserversorgung, Schulbusse etc. Es ist kein neues Problem, dass Aktivitäten, die potentiell Grundrechte Dritter verletzen können, durch Private ausgeführt werden (Kernenergie, Verwendung von Chemikalien, Nanotechnologie, Emissionen), aber die rechtlichen Wege, damit umzugehen, könnten im transformierten Staat nicht mehr ausreichen. Aus rechtswissenschaftlicher Sicht wird dies zumeist nur als problematisch betrachtet im Hinblick auf das demokratische Prinzip. Aber gibt es auch ein Problem für die Rechtstaatlichkeit im Sinne von Verantwortung des Staates?
Der normale Weg, um mit Rechtsverletzungen umzugehen, ist der Primärrechtsschutz, der den status quo ante wieder herstellt. Staatshaftung dagegen kompensiert die Rechtseinbußen durch Schadensersatz oder Entschädigung. Staatshaftung wurde im Rahmen des sich transformierenden Staates nur wenig diskutiert: weder horizontal noch vertikal (letzteres ist ein zukünftiges Buchprojekt).
Eher konzentriert sich die Diskussion auf das Leitbild des Gewährleistungsstaates. Eine neue Arbeitsteilung zwischen Staat und Privaten ist das Kernstück des Leitbildes. Der Staat kann hierbei klassisch Erfüllungsverantwortung wahrnehmen, er kann sich seiner Aufgaben völlig entledigen (z. B. Telekommunikation) oder er kann Verantwortung teilen. Im letzteren Fall liegt Gewährleistungsverantwortung in den Unterformen von Überwachungs- und Regulierungsverantwortung sowie Auffangverantwortung vor.
Ich interessiere mich für die Frage, ob die "Gewährleistungsverantwortung" in ihrem Kern auch "Staatshaftung" beinhaltet oder ob sie nur ein Ausdruck ist, der mangelnde Verantwortung vertuscht. Wenn nämlich reduzierte Verantwortung mit der Gewährleistungsverantwortung einhergeht, können durch die veränderte Risikoverteilung auch potentiell falsche Anreize gesetzt werden.
Ich versuche, diese Frage zu beantworten, indem ich 1) frage, ob die neuen Handlungsformen (Regulierung, Aufsicht) durch das geltende Staatshaftungsrecht erfasst werden, und 2) ob es andere Möglichkeiten der Zurechnung des privaten Handelns zum Staat gibt; wenn Zurechnung möglich ist, kann Staatshaftung konstruiert werden. Verfassungsrechtlich betrachtet gibt es zwei Möglichkeiten: die Schutzpflichten des Staates für die Grundrechte sowie die Kernstaatsaufgabenlehre. Sollte Zurechnung scheitern, dann kann überlegt werden, welche anderen rechtlichen Mittel es gibt, falls man das Verantwortungsniveau des Staates unverändert lassen möchte.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Aaken, Anne (2016)
Aaken, Anne (2010)
Balancing of human rights : constitutional interpretation in international law
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Einwirkungen des Völkerrechts auf das Sozialverfassungsrecht am Beispiel der Daseinsvorsorge
Aaken, Anne (2009)
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Effectuating public international law through market mechanisms?
Aaken, Anne (2008)
Funktionale Rechtswissenschaftstheorie für die gesamte Rechtswissenschaft : eine Skizze
Aaken, Anne (2008)
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Funktionale Rechtswissenschaftstheorie für die gesamte Rechtswissenschaft : eine Skizze
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Perils of success? : the case of international investment protection