Ilma Rakusa, Dr. phil.
Slavistin, Schriftstellerin, Übersetzerin und Publizistin
Zürich
Geboren 1946 in Rimavská Sobota, Slowakei
Studium der Slavistik und Romanistik an den Universitäten
Zürich, Paris und St. Petersburg
Arbeitsvorhaben
Erzählungsband "Keine Angst"
Ich habe zwei literarische Projekte.Zum einen plane ich einen Erzählungsband, der gewisse Stoffe, Episoden und Motive aus meinen autobiographischen Erinnerungspassagen "Mehr Meer" (2009) fiktional bearbeitet und vertieft. Dabei interessiert mich besonders die Familiengeschichte, die mütterlicherseits nach Užhorod und bis ins polnische Wilna führt, väterlicherseits nach Slowenien; ferner meine Kindheitsstadt Triest mit ihrer wechselvollen Historie.
Einmal mehr geht es um Fragen wie Exil, Heimat, Identität, Grenze, Gedächtnis, aber auch um die Beschwörung mittelosteuropäischer Städte und Landschaften.
Zum anderen möchte ich eine Art Berlin-(Tage-)Buch schreiben, als Auseinandersetzung mit der Umgebung. Es soll Aufzeichnungen, Gedichte, Essays und Interviews enthalten. Geplant sind einige gezielte Recherchen in russischen und türkischen Milieus.
Lektüreempfehlung
Rakusa, Ilma. Mehr Meer: Erinnerungspassagen. Graz: Literaturverlag Droschl, 2009.
-. Zur Sprache gehen. Dresdner Chamisso-Poetikvorlesungen 2005. Dresden: Thelem Verlag, 2006.
-. Langsamer! Gegen Atemlosigkeit, Akzeleration und andere Zumutungen. Graz: Literaturverlag Droschl, 2005.
Kolloquium, 15.03.2011
Autobiographisches Schreiben als Bildungsroman
Man könnte behaupten, der Ausdruck "autobiographisches Schreiben" sei pleonastisch, denn ist nicht alles Schreiben autobiographisch in dem Sinne, dass der Autor auf persönliche Erfahrungen zurückgreift, ohne sich zwangsläufig mit einer seiner Figuren vollkommen zu identifizieren? Doch gibt es, wie wir wissen, Gradationen des Autobiographischen: Augustins "Confessiones" reklamieren für sich Bekenntnishaftigkeit, nicht anders als Rousseaus "Confessions". Als Bildungsromane autobiographischen Zuschnitts firmieren z.B. Goethes "Wilhelm Meister", Karl Philipp Moritz' "Anton Reiser", Novalis' "Heinrich von Ofterdingen". Lew Tolstoj hat in "Kindheit. Knabenalter. Jünglingsjahre" sein Heranwachsen in fiktionalisierter Form heraufbeschworen, Prousts "A la recherche du temps perdu" ist eine autobiographische Suche, die zum Künstlerroman und Zeitpanorama gerät.
Als stünde Selbstvergewisserung in direktem Verhältnis zur Krisenhaftigkeit der Zeit, bringt das 20. Jahrhundert zahllose autobiographisch grundierte literarische Werke hervor, wobei ich Memoirenliteratur im engen Wortsinn bewusst ausklammere. Nicht zuletzt die Shoah hat Texte provoziert, die Erinnerung und Identitätssuche zum Thema machen und über das individuelle Zeugnis hinaus gewissermaßen kollektive Gedächtnisarbeit leisten (Imre Kertész, Danilo Kiš).
Im Zuge literaturwissenschaftlicher Debatten über den "Tod des Autors" ist Autobiographik eine Zeitlang in Verruf geraten, doch seit den 1980er Jahren haben autobiographische bzw. autofiktionale Texte Konjunktur, wobei sie in der Regel jede Naivität in bezug auf Mimesis und Ich-Entwurf vermissen lassen. Sie zeichnen sich vielmehr durch einen hohen Reflexionsgrad aus, indem sie Ich und Erinnerung als brüchig entlarven und auf den Konstruktionscharakter des Erzählten verweisen. Das geschieht ohne Pathos, ohne dass die Differenz zwischen 'Wirklichkeit' und 'Fiktion' ständig ausgestellt würde, in einer erstaunlichen Vielfalt unterschiedlicher Verfahrensweisen und Modelle.
Fragen, die sich im Zusammenhang mit autobiographischem Schreiben heute in besonderer Schärfe stellen, betreffen die Rolle/Art und Weise der Erinnerung bzw. Wahrnehmung, die Konstruktion von Identität, das Verhältnis zwischen Empirie und Erfindung, Fakt und Fiktion, Mimesis und Mimikry, betreffen die Form der Narration, das Genre und last not least die Intention: soll der Eindruck authentisch-wahrhaftiger Selbstsuche vermittelt oder das Lebensnarrativ zum Bildungsroman stilisiert werden? Oft sind wir mit Uneindeutigkeit konfrontiert, die es als Leser zu entziffern gilt.
In meinem letzten Buch, "Mehr Meer" (2009), habe ich selber ein autobiographisches Projekt realisiert. Über dessen Prämissen und Problematik möchte ich in diesem Kontext ebenfalls berichten, ergänzt durch eine Leseprobe und durch den Hinweis auf mein aktuelles Vorhaben, einen auf autobiographischem Material basierenden Erzählungsband.
Publikationen aus der Fellowbibliothek
Rakusa, Ilma (Graz, 2022)
Rakusa, Ilma (Graz, 2021)
Gedankenspiele über die Eleganz Gedankenspiele über
Rakusa, Ilma (Berlin, 2020)
Gesammelte Werke ; Band 2 ; "Lichtregen" : Essays und Erinnerungen Gesammelte Werke ; Band 2
Rakusa, Ilma (Graz, 2019)
Rakusa, Ilma (Berlin, 2018)
Rakusa, Ilma (Graz, 2016)
Impressum: Langsames Licht : Gedichte
Rakusa, Ilma (Graz, 2014)
Einsamkeit mit rollendem "r" : Erzählungen
Rakusa, Ilma (2014)
Zögern ist gut - oder Mein Europa
Rakusa, Ilma (Graz, 2013)
Aufgerissene Blicke : Berlin-Journal